Deutschland

Vorboten von Massenentlassungen erschüttern Volkswagen

Arbeitslos ins E-Zeitalter: VW-Chef Diess soll im Rahmen einer Präsentation die Entlassung von bis zu 30.000 Mitarbeitern angedeutet haben. Die Konzernspitze rudert zurück - dass in Zukunft weniger Angestellte benötigt werden, ist aber sicher.
14.10.2021 11:00
Aktualisiert: 14.10.2021 11:23
Lesezeit: 4 min

Der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Herbert Diess, soll nach Informationen aus Unternehmenskreisen bei einer Aufsichtsratssitzung im September die Entlassung von bis zu 30.000 Mitarbeitern in einem negativen Szenario angedeutet haben. Dabei sei es aber nicht um ein etwaiges, unmittelbares Szenario drohender Arbeitsplatzverluste gegangen, betonte nun VW.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, Diess habe mit den 30.000 Stellen wohl Bezug auf die Krise von VW im Jahr 1994 genommen. Dort war ein Stellenabbau in gleicher Höhe durch die Viertagewoche abgewendet worden. Damals habe der Konzern aber am Boden gelegen, anders als heute, so zumindest die Sicht der Arbeitnehmervertreter.

Die Konzernspitze versuchte am Mittwoch, Spekulationen um einen signifikanten Arbeitsplatzabbau entgegenzutreten. „Ein Abbau von 30.000 Stellen ist kein Thema“, berichtet die dpa aus dem Umfeld von Diess.

Im Nachgang des Treffens der Aufsichtsräte gewann die Diskussion über die Auslastung der Standorte von Europas größtem Autohersteller wieder an Schärfe. In wenigen Wochen stehen konkrete Beschlüsse zu den Investitionen für die kommenden Jahre an. Die traditionell Mitte November beendete „Planungsrunde“ dürfte erneut im Zeichen des Umbaus in Richtung E-Mobilität und Vernetzung stehen - mit den zugehörigen Konflikten und Interessengegensätzen zwischen etlichen Standorten.

Arbeitslos ins E-Zeitalter

Das fundamentale Problem: Elektrofahrzeuge sind weitaus einfacher aufgebaut als Verbrenner, weswegen ihr Bau auch weniger Arbeiter und Vorpordukte benötigt, was wiederum hunderte Zulieferbetriebe in Bedrängnis bringt. Es wird deshalb in der deutschen Autobranche aufgrund des von der Politik geforderten und von den Konzernen forcierten Umstiegs auf die E-Mobilität so oder so zu signifikanten Stellenstreichungen kommen. Bislang konnten diese weitgehend im Rahmen von Rentenrotationen abgewickelt werden.

„Die Debatte ist jetzt angestoßen, und es gibt bereits viele gute Ideen“, ließ Diess zum Beispiel zum E-Projekt „Trinity“ in Wolfsburg ab 2025/2026 erklären. Wohl aber sei es nötig, die Kostenlage und Auslastung intensiv zu diskutieren: „Es steht außer Frage, dass wir uns angesichts der neuen Marktteilnehmer mit der Wettbewerbsfähigkeit unseres Werks in Wolfsburg befassen müssen.“ Es geht dabei vor allem um den US-Rivalen Tesla und dessen neue deutsche Fabrik bei Berlin.

Die Firma von Elon Musk werde in Grünheide „neue Maßstäbe in der Produktivität setzen“. Tesla produziert etwa mit vergleichsweise wenigen Batterievarianten und einer speziellen Technik im Karosseriebau, was die Fertigung großer Stückzahlen profitabler macht. Volkswagen habe jedoch ungeachtet dessen die Chance, mit Konzepten wie „Trinity“ selbst „den Standort Wolfsburg zu revolutionieren und Arbeitsplätze nachhaltig abzusichern“.

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo wandte sich im Intranet an die Belegschaft: „Die Schlagzeilen vom heutigen Vormittag haben bei vielen von euch zu Recht Fragen und zum Teil leider auch Sorgen ausgelöst.“ Ein Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen wäre „absurd“, schrieb sie. Sie erwarte, „dass der Konzernvorstand sofort unmissverständlich klarstellt: Es gibt keine Gedankenspiele über irgendeinen Arbeitsplatzabbau.“ Die bei Volkswagen sehr einflussreiche IG Metall betonte: „Klar ist, dass ein Stellenabbau von 30.000 Arbeitsplätzen nicht diskutabel ist.“

Zuvor hatte bereits eine andere Quelle berichtet, Diess habe ein mögliches Langfrist-Szenario vorgetragen, was passieren könnte, falls die Lieferkrise bei Mikrochips anhalten sollte oder die Terminierung von VW-Zukunftsprojekten überdacht werden müsse. In dem Zusammenhang habe er dann auch die Lage am Hauptsitz offensiv thematisiert - zur Überraschung der Kontrolleure. Das Handelsblatt beschrieb auch einen neuen „Eklat“ mit den Aufsehern. Von einem Streit dieser Größenordnung war laut anderen Stimmen zunächst nicht die Rede.

Gleichwohl ist Volkswagen unter Druck. Vor allem in Wolfsburg hat das Unternehmen gerade erheblichen Leerlauf. Mehrfach musste Kurzarbeit für Zehntausende Beschäftigte verlängert werden, weil hier - wie bei anderen Anbietern - wichtige Halbleiter fehlen. Unabhängig von diesen akuten Engpässen gibt es in Teilen der Belegschaft Sorgen um eine ausreichende Werkbelegung in der bevorstehenden Zeit.

Der Betriebsrat forderte etwa bereits, neben „Trinity“ mindestens ein weiteres Elektromodell in der Konzernzentrale anzusiedeln. Außerdem wird es darauf ankommen, ob andere Großvorhaben wie der geplante „Tesla-Fighter“ in Hannover, die Erweiterung der Mobilitätsdienste und der Ausbau der konzerneigenen Software-Sparte Cariad zünden.

Möglicherweise werden bis Mitte November zudem Eckdaten genannt, wo genau weitere angekündigte Batteriezellwerke entstehen. Dabei rechnen sich auch Niedersachsen und Sachsen Chancen aus, der Betriebsrat hatte zumindest eine zusätzliche Zellfabrik in Deutschland gefordert.

Grundsätzlich haben Belegschaftsvertretung und Firmenleitung in vielen Punkten dasselbe Ziel. Möglichst bald sollen weitere E-Modelle mit zunehmend selbst entwickelter Vernetzungstechnik folgen. Einen offenen Machtkampf wie Mitte 2020, als Diess Aufsichtsratsmitglieder wegen Indiskretionen eines kriminellen Verhaltens bezichtigt hatte, gibt es nach dpa-Informationen nicht. Der VW-Chef soll damals nur dank einer internen Entschuldigung seinen Rauswurf verhindert haben.

Diess ist bekannt dafür, dass er seine Überlegungen in Sitzungen oft spontan und - für den Geschmack der Gewerkschaftsseite - recht provokant einbringt. Mit dem langjährigen Betriebsratschef Bernd Osterloh, der inzwischen Personalvorstand der VW-Nutzfahrzeug-Holding Traton ist, lieferte er sich mehrfach einen heftigen Schlagabtausch.

Osterlohs Nachfolgerin Cavallo hatte erklärt, einen ruhigen Ton zu bevorzugen. In der Sache wolle sie allerdings ebenso hart für die Belegschaftsinteressen kämpfen. Cavallo sitzt - wie die Vertreter der Familien Porsche/Piëch und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) - im mächtigen Präsidium des Volkswagen-Aufsichtsrats.

Diess erhielt gerade im Sommer einen Anschlussvertrag bis zum Herbst 2025. Er legte inzwischen auch eine neue Konzernstrategie vor. Bei der genauen Umsetzung der Elektrifizierung und Digitalisierung sei der Ball nun in seinem Feld, hieß es aus Eigentümerkreisen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie AI Continent Action Plan: Wie Europa die USA und China vom KI-Thron stoßen will
28.04.2025

Die Europäische Kommission hat einen ehrgeizigen Plan vorgestellt, um Europa zur führenden Kraft im Bereich der Künstlichen Intelligenz...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft E-Auto-Förderung: Wie geht es weiter und was plant die neue Bundesregierung?
28.04.2025

Das Ziel bleibt eindeutig – der genaue Weg aber offen. "Wir werden die E-Mobilität mit Kaufanreizen fördern", steht im...

DWN
Politik
Politik Üppige Übergangsgelder für Ex-Minister: Steuerzahlerbund kritisiert Selbstbedienung
28.04.2025

Dauerversorgung auf Kosten der Steuerzahler: Bisher bekommen Minister und Kanzler nach ihrem Ausscheiden bis zu 2 Jahren staatliche...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Boeing unter Druck: Zölle verschärfen die Krise beim größten US-Exporteur
28.04.2025

Boeing, der größte US-Exporteur, steckt seit Jahren in einer Krise. Neue Zölle und Handelskonflikte verschärfen sie weiter. Die...

DWN
Panorama
Panorama Stromausfall Spanien und Portugal: Nichts geht mehr - schwierige Suche nach der Ursache
28.04.2025

Ein umfassender Stromausfall Spanien hat am Montagmittag die Iberische Halbinsel erschüttert. Weite Teile Spaniens und Portugals auf dem...

DWN
Politik
Politik Ministerposten der Union: Alle Namen und Überraschungen im Überblick
28.04.2025

Acht Tage vor der geplanten Kanzlerwahl von Friedrich Merz steht die Aufstellung der Ministerposten der Union fest. Die SPD wird ihre...

DWN
Politik
Politik Neue Bundesregierung: Union stellt Personal für Ministerposten vor – Kabinettsliste mit Manager für Digitalisierung
28.04.2025

Rund eine Woche vor der geplanten Wahl von Friedrich Merz zum Kanzler der neuen Bundesregierung haben CDU und CSU ihre Besetzung der...

DWN
Technologie
Technologie Profi für Sicherheitslösungen: Bedrohungen sind alltäglich - so erhöhen Unternehmen die Cybersicherheit
28.04.2025

Cybersicherheitsabteilungen in Unternehmen ähneln zunehmend Notaufnahmen – jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Die Bedrohungen...