Die Parlamentswahl in Russland endete mit dem erwarteten Sieg für Putins Partei „Einiges Russland“ (Edinaja Rossija). Mit 49,8 Prozent erzielte sie allerdings etwa vier Prozent weniger als bei der letzten Wahl. Dagegen konnte die Kommunistische Partei auf 19 Prozent zulegen, nachdem sie 2017 nur rund 13 Prozent erhalten hatte. Drei kleinere Parteien blieben unter 10 Prozent, zogen aber ins Parlament ein. Es gab massive Fälschungsvorwürfe von Seiten der außerparlamentarischen Opposition, der unabhängigen Wahlbeobachterorganisation „Golos“ sowie der Kommunisten. Dennoch sah der Generalsekretär von „Einiges Russland“, Andrei Turtschak, seine Partei bestätigt: „Das Geheimnis des Erfolges unserer Partei liegt in der täglichen Arbeit für das Wohl der Menschen.“
Bis vor etwa einem Jahr erschien Putins Dominanz in der russischen Politik noch ungefährdet. Es war ihm gelungen, sich aus den Niederungen des politischen Alltags zu erheben und sich als ein politischer Führer zu präsentieren, der von den meisten Russen akzeptiert wird. Probleme wie die allgegenwärtige Korruption und den vor allem in ländlichen Regionen niedrigen Lebensstandard lastete die Bevölkerung selten dem Präsidenten an. Erfolge wie beispielsweise bei der Bekämpfung der Kriminalität wurden dagegen ihm zugerechnet.
Putin erfüllte die Sehnsucht vieler Russen nach einem starken politischen Führer. Ein Bedürfnis, das sich besonders mit der Erinnerung an die chaotischen und wirtschaftlich sehr schwierigen 90er-Jahre unter Präsident Boris Jelzin erklären lässt. Die ersten zwei Amtszeiten Putins von 2000 bis 2008 waren von einem starken wirtschaftlichen Aufschwung und von Reformen geprägt. Mit der Finanzkrise 2009 brach diese Boomphase allerdings jäh ab. Zwar konnte sich danach die Wirtschaft wieder erholen, doch mit den Sanktionen des Westens in Folge des Ukraine-Konflikts 2014 und dem Fall der Ölpreise geriet Russlands Wirtschaft erneut in eine Krise.
In den letzten Jahren ist der Lebensstandard vieler Russen gesunken. Zwar ist das Bruttosozialprodukt pro Kopf ist immer noch deutlich höher als in anderen postsowjetischen Staaten wie der Ukraine, Belarus oder Georgien, doch viele Russen ziehen eher den Vergleich mit den wohlhabenderen Staaten Westeuropas. Zudem ist die Inflationsrate auf aktuell fast sieben Prozent gestiegen.
Kommunisten gestärkt?
Das Wahlergebnis zeigt, dass die Kommunisten von der sozialen Unzufriedenheit profitieren konnten. Partei-Chef Gennadi Sjuganow vermutet sogar ein in Wahrheit noch höheres Ergebnis als das, was seine Partei offiziell erzielte: „Dieses Mal haben wir eine solche Unterstützung erfahren wie noch nie seit 1999. Wir müssen nun um unsere Stimmen kämpfen, dann können wir unser Resultat verdoppeln und verdreifachen.“
Bisher hatten die Kommunisten bei vielen Abstimmungen in der Duma Putin unterstützt. Das taten bislang auch die beiden anderen
Oppositionsparteien in der Duma, die rechtsnationalistische Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR / 7,5 Prozent) und die eher linke Partei „Gerechtes Russland“ (7,6 Prozent). Wie sich die mit 5,3 Prozent neu ins Parlament gekommene Partei „Neue Menschen“ (Nowije Ljudi) positionieren wird, ist noch unklar.
Die Rolle Nawalnys
Ebenfalls nicht eindeutig lässt sich sagen, ob die Kampagne von Alexei Nawalny und seiner Unterstützer Erfolg hatte, die dazu aufgerufen hatten, den aussichtsreichsten Kandidaten der Opposition im jeweiligen Wahlkreis zu wählen. Aber zumindest die Kommunisten, die in vielen Regionen schon bisher die stärkste Oppositionskraft waren, scheinen davon profitiert zu haben.
Es ist zweifelhaft, ob es zu einem dauerhaften Bündnis zwischen den Kommunisten und der außerparlamentarischen Opposition kommt. Bisher dominiert in der kommunistischen Partei Russlands der orthodoxe Flügel, der immer noch der Sowjetunion nachtrauert. Ihm steht auch Parteichef Sjuganow nahe. Die Reformer sind in der Minderheit.
Dagegen hat sich Nawalny in den letzten Jahren zu Demokratie und Marktwirtschaft bekannt. Es ist allerdings zweifelhaft, wie ernsthaft dieses Bekenntnis ist. So nahm Nawalny in früheren Jahren am „Russischen Marsch“ teil, einem Demonstrationszug radikaler Nationalisten in Moskau. Auch die Besetzung der Krim im Jahr 2014 wurde von Nawalny anfangs begrüßt, wie übrigens auch von einer großen Mehrheit der Bevölkerung.
Nawalny ist auch in der außerparlamentarischen russischen Opposition alles andere als unumstritten. Vielleicht ist aber genau dies die Chance der parlamentarischen Opposition – unterschiedliche Positionen vertreten und den Mut dazu aufbringen, bei wichtigen politischen Fragen auch mal gegen die Regierung zu stimmen.
Vielfalt der Regionen
Zu wenig Beachtung wird in den Medien der Lage in den russischen Regionen geschenkt. In Moskau und Petersburg erfreuen sich breitere Bevölkerungsschichten eines Wohlstandes, der bei vielen die Eigentumswohnung, den Urlaub im Ausland und den Mittelklasse-Pkw fast als selbstverständlich erscheinen lässt. So etwas findet sich auch in der Provinz – aber vielfach eben auch das genaue Gegenteil, nämlich Lebensverhältnisse, die alles andere als angenehm sind, wovon sich der Autor dieser Zeilen bei verschiedenen Aufenthalten abseits der Metropolen selbst überzeugen konnte.
Nischni Nowgorod, Kaluga oder Kasan gehören zu den aufstrebenden Städten, deren Zentrum durch belebte Einkaufsstraßen und viele Restaurants und Geschäfte geprägt ist, darunter nicht wenige aus dem Luxussegment. In den Vorstädten findet man triste Plattenbauten ebenso wie die schmucken Einfamilienhäuser der Mittelschicht.
Andere Städte wie beispielsweise Rjasan, 200 km südlich von Moskau, wirken dagegen auch im Zentrum fast wie Relikte der Sowjetzeit. Bei Regen verwandeln sich die von unzähligen Schlaglöchern übersäten Straßen in kleine Seen. Spricht man mit Einwohnern der Stadt, spürt man neben Resignation auch Wut, vor allem auf den regionalen Gouverneur.
Bedeutung der Gouverneure
Den Gouverneuren kommt in dem Riesenland eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Das Sprichwort „Russland ist groß, der Zar ist weit“ hat auch heute noch seine Gültigkeit. Putin ist sich der Macht der Gouverneure durchaus bewusst. Dafür spricht eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2004, mit dem die Wahl von Gouverneuren durch die Bevölkerung abgeschafft wurde. Seit 2012 ist die Direktwahl der Gouverneure zwar wieder möglich, allerdings werden fast alle von der Regierungspartei gestellt.
Mitunter werden Gouverneure durch Putin auch einfach abgesetzt, wie der Fall von Sergei Furgal aus der ostsibirischen Region Chabarowsk zeigt. Er wurde angeklagt, in den Jahren 2004 und 2005 Morde an Geschäftsleuten in Auftrag gegeben zu haben. Seine Absetzung und Inhaftierung führten zu wochenlangen Protesten in der Region. Putin wurde beschuldigt, nur einen unliebsamen Konkurrenten seiner Partei aus dem Weg geräumt zu haben.
Fazit
Die Masse der Russen ist politisch eher apathisch. Da es wirtschaftlich zumindest bis 2014 voran ging und der Lebensstandard einer Mehrheit der Russen stieg, sahen die meisten Bürger das Land bei Putin in guten Händen und konzentrierten sich vor allem auf Konsum und Karriere. Die wirtschaftliche Stagnation in den letzten Jahren hat das Vertrauen in Präsident und Regierung aber geschwächt.
Der westliche Medien-Mainstream, der das Land überwiegend in düsteren Farben darstellt, trifft die Wahrheit ebenso wenig wie die russische Regierungs-Propaganda, die ein allzu rosiges Bild von Russland und vor allem von den eigenen Leistungen zeichnet. Russland ist zu groß und zu vielfältig, als dass sich pauschale Urteile über das Land treffen ließen.