In den ersten zwei Amtszeiten Putins von 2000 bis 2008 war die russische Wirtschaftspolitik durch Reformen und hohe Wachstumsraten geprägt. Das galt auch noch für die Zeit der Präsidentschaft Dmitri Medwedews (2008-2012), auch wenn sie von der Finanzkrise überschattet war. Seitdem hat der Reformeifer aber deutlich nachgelassen.
Das liegt nicht zuletzt am Konflikt mit der Ukraine. Die westlichen Sanktionen gegen Russland machten der russischen Führung deutlich, dass das eigene Land ökonomisch verwundbar ist. So schrumpfte die russische Wirtschaft 2014 um 0,8 Prozent und 2015 um zwei Prozent. Als Folge wurde man risikoscheu, verzichtete tendenziell auf Reformen und Experimente.
Re-Nationalisierung der Wirtschaftsstrukturen
Um die Abhängigkeit vom Westen zu verringern, beschloss die russische Führung Maßnahmen, um Importe aus den USA und der EU durch einheimische Produkte zu ersetzen. Im Lebensmittelsektor wurde dies durch die Einführung von „Gegensanktionen“ erreicht. Westliche Produkte verschwanden vielfach aus den Supermarktregalen und wurden durch russische Waren ersetzt. In der Folge konnten die russische Lebensmittel-Industrie und der Agrarsektor ein deutliches Wachstum erreichen.
Auch in anderen Sektoren wurde versucht, die einheimische Produktion zu stärken. So wurden ausländische Unternehmen, die in Russland produzieren, verpflichtet, bevorzugt bei russischen Zulieferern zu kaufen. Dieses Programm der Importsubstituierung war jedoch nicht in allen Branchen erfolgreich. In einigen Sektoren fehlen bisher einfach geeignete russische Zulieferer. Sie aufzubauen, erfordert Zeit.
Durch Sanktionen, Gegensanktionen und Importsubstituierung hat sich die Wirtschaft Russlands in Teilen vom Weltmarkt entkoppelt. Das dämpft einerseits die Wirkung von externen Einflüssen wie Sanktionen und Finanzkrisen. Andererseits wurde dadurch die Wettbewerbsfähigkeit geschwächt, zumindest außerhalb des Rohstoffsektors
Förderung des Mittelstands?
Um das Wachstum zu stärken und das Land zugleich von ausländischen Investitionen unabhängiger zu machen, hat die russische Regierung das Programm der „nationalen Projekte“ aufgelegt. Durch diese sollen Projekte in der Infrastruktur, aber auch der Landwirtschaft und der Bildung realisiert werden.
Eines der nationalen Projekte hat die Aufgabe, kleinere und mittlere Unternehmen (KMUs) stärker zu fördern und ihren Anteil an der Wertschöpfung zu erhöhen. Bisher haben die KMUs nur einen Anteil von knapp 20 Prozent an der russischen Wirtschaftsleistung. In der EU liegt der Anteil bei über 50 Prozent. Bis 2030 will die russische Führung den Anteil auf 32 Prozent steigern, zumindest offiziell.
Ob die russische Regierung tatsächlich ernsthaft plant, den Mittelstand stärker zu fördern, ist allerdings zweifelhaft. Großunternehmen werden in
Russland nämlich häufig ganz oder teilweise vom Staat kontrolliert, wodurch sie stärker an Vorgaben und Weisungen der Politik gebunden sind, was letzterer natürlich entgegenkommt. Hinzu kommt, dass sich jeder zweite Arbeitsplatz in Russland in einem der Großunternehmen befindet. Diesen kommt für die soziale Stabilität also eine größere Bedeutung zu als den KMU.
Abhängigkeit von Rohstoffen
Unter den größten Unternehmen des Landes sind die Sektoren Rohstoffe, Rüstung, Energiewirtschaft sowie die Finanzbranche überrepräsentiert. Durch die Konzentration auf einige dominante Sektoren ist die russische Wirtschaft allerdings zu einseitig aufgestellt. In den genannten Branchen ist Russland durchaus international konkurrenzfähig, in anderen Branchen jedoch weit weniger.
Eine Folge der zu einseitigen Wirtschaftsentwicklung ist Russlands starke Abhängigkeit vom Öl- und Gaspreis. Sind die Preise niedrig, wächst die russische Wirtschaft wenig oder gar nicht. Betrachtet man dies aus historischer Perspektive, sind die Probleme des heutigen Russlands nicht neu. Schon das Zarenreich war stark auf Rohstoffe, vor allem den Export von Getreide, spezialisiert. Erst zu Anfang des 20. Jahrhunderts begann die Industrialisierung, vor allem in Moskau und Petersburg. Revolution, Bürgerkrieg und Zwangskollektivierung bedeuteten aber schwere Rückschläge für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
Einfluss der Sanktionen
Letztendlich sind viele der heutigen wirtschaftlichen Probleme Russlands ein Erbe der sowjetischen Vergangenheit, wobei das Fehlen eines unternehmerischen Mittelstandes an erster Stelle zu nennen sind. Die Sanktionen des Westens haben vorhandene Probleme ohne Zweifel noch verstärkt, sind aber nicht die Hauptursache für die strukturellen Schwächen Russlands. Die Gegensanktionen Russlands im Lebensmittelsektor bedeuteten sogar ein Wachstums- und Arbeitsplatzprogramm für diese Branche (in anderen Sektoren fehlen dagegen durch die Sanktionen Investitionen). Russland versucht, die entstandenen Lücken durch eigene Produkte und/oder Importe aus Ostasien zu ersetzen.
Durch diese Entwicklung hat Deutschland stark im Handel mit Russland verloren. Besonders China, aber auch Südkorea und Japan haben die Lücken gefüllt, die sich Ihnen durch die westlichen Sanktionen geöffnet haben. So hat China seit einigen Jahren Deutschland als wichtigsten Handelspartner Russlands abgelöst. Der russische Wirtschaftsminister Reschetnikow sagt zu den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen: „Sie basieren auf Vertrauen, das zeit- und krisenerprobt ist und durch erfolgreiche gemeinsame Wirtschaftsprojekte gestärkt wurde.“
Das politische Ziel der Sanktionen, Russland zum Nachgeben im Konflikt um die Krim und die Ostukraine zu bringen, ist gescheitert. Die Sinnhaftigkeit der Sanktionen wird dann auch von vielen Wirtschaftsexperten bezweifelt.
Corona
Corona ist auch für die russische Wirtschaft zu einer Belastung geworden. Allerdings war der Einbruch in Russland schwächer als in vielen anderen europäischen Ländern und das trotz zeitweise sehr hoher Inzidenz-Zahlen und vieler Todesfälle. Der Grund liegt in der nicht so stark in die Weltwirtschaft integrierten Wirtschaft Russlands und der damit einhergehenden geringeren Bedeutung von Im- und Export. So haben die massiven wirtschaftlichen Einbrüche in westlichen Ländern Russland nur bedingt getroffen. Die russische Wirtschaftsleistung sank 2020 um drei Prozent, während der Rückgang in Deutschland knapp fünf und in Frankreich sogar neun Prozent betrug. Die russische Wirtschaft wird mit einem Wachstum von etwa vier Prozent bereits in diesem Jahr das Niveau von 2019 übertreffen (als das Niveau des Jahres vor Corona).
Konsum und Inflation
Die Russen sind ein konsumfreudiges Volk. Allerdings sind die Realeinkommen seit 2014 rückläufig, wenngleich sich für 2021 erstmals wieder ein Wachstum abzeichnet. Hier liegt wohl die größte Herausforderung für das System Putin. Wenn die Erwartungen und Zukunftswünsche der Bevölkerung enttäuscht werden, kann politische Apathie schnell in Wut und Protest umschlagen. Um das zu verhindern, sollte die russische Regierung viel mehr die kreativen und unternehmerischen Potenziale des Landes stärken. Wenn viele der gut ausgebildeten Russen ins Ausland abwandern, ist dies ein Alarmzeichen.
Fazit
Klein- und Mittelunternehmen sollten mehr unternehmerische Freiheiten erhalten und stärker gefördert werden. Russland gehört zu den Ländern mit der niedrigsten Staatsverschuldung in Europa (17 Prozent des BIP), die Währungs- und Gold-Reserven des Landes liegen bei 600 Milliarden US-Dollar. Das heißt, die Mittel für Investitionen in die Zukunft des Landes und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sind durchaus vorhanden. Doch seit einigen Jahren verfolgt die russische Regierung eine Politik des eisernen Sparens. Reschetnikow betont, dass „die Schuldenquote beherrschbar sein muss“.
Zugleich müsste die weitverbreitete Korruption viel rigider bekämpft werden. Sie erschwert sowohl vielen Privatunternehmern als auch den einfachen Russen das tägliche Leben. Begleitet werden sollten diese Maßnahmen mit Investitionen in den darbenden Gesundheitssektor.
Putin und die Regierung wären gut beraten, schnell zu handeln. Denn nur durch umfangreiche staatliche und private Investitionen kann die Zukunft Russlands gesichert werden.