Politik

Russlands Außenpolitik: Anspruch auf Macht und Größe

Lesezeit: 6 min
12.12.2021 12:15  Aktualisiert: 12.12.2021 12:15
Russland versteht sich nach wie vor als Großmacht, wenn nicht sogar als Weltmacht. Zumindest auf dem europäisch-asiatischen Doppelkontinent ist das Riesenreich ohne Zweifel auch immer noch ein äußerst relevanter Akteur und vertritt seinen Anspruch auf Dominanz mittels einer offensiven Außenpolitik.
Russlands Außenpolitik: Anspruch auf Macht und Größe
Moskau, Roter Platz: Parade am "Tag des Sieges". (Foto: dpa)

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Moskau misst sich gerne mit der westlichen Vormacht der USA. Die russische Regierung legt Wert darauf, von Washington als gleichrangig behandelt zu werden. Daher wurde im Kreml der Ansatz des früheren amerikanischen Präsidenten Donald Trump, Probleme mit Wladimir Putin im direkten Dialog zu lösen, auch sehr begrüßt. Dabei waren die erzielten Verbesserungen aber eher atmosphärischer Natur, die wirklichen Konfliktpunkte blieben auch in der Amtszeit Trumps ungelöst.

Unter dem neuen US-Präsidenten Joe Biden sind die Beziehungen zu Moskau weiter abgekühlt, wenngleich beide Seiten bemüht sind, den Dialog nicht vollkommen abreißen zu lassen. So traf sich Biden im Juni 2021 zu einem Vieraugengespräch mit Putin. Wenige Monate zuvor hatte der Amerikaner den russischen Präsidenten noch als einen „Mörder“ bezeichnet. Auf dem NATO-Gipfel, der wenige Tage vor Bidens Treffen mit Putin stattfand, sagte der Amerikaner: „Ich suche keinen Konflikt mit Russland. Aber wir werden antworten, wenn Russland seine schädlichen Aktivitäten fortsetzt.“ Biden meint dies „in Bezug auf die Cybersicherheit und andere Aktivitäten.“ Nicht zuletzt beschuldigt Biden die russische Führung, Donald Trump im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf unterstützt zu haben.

Zugleich betonte der US-Präsident, dass Amerika „die Souveränität und territoriale Integrität“ der Ukraine weiter unterstützen werde. Fakt ist: Die USA haben sich im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eindeutig auf der Seite Kiews positioniert. Ein weiterer außenpolitischer Streitpunkt ist die russische Unterstützung für den syrischen Diktator Assad in seinem Kampf gegen die Rebellen.

Doch vermutlich will Putin einen offenen Konflikt mit den USA vermeiden. So sagt Victoria Zhuravleva, Leiterin der Nordamerika-Studien am

Moskauer „Primakov Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen“, dass die USA für Russland ein Gegengewicht zu China bilden könnten: „So könnte man zwischen diesen beiden Mächten balancieren.“ Die Frage ist allerdings, ob Peking und vor allem Washington Moskau diesen Spielraum lassen werden.

Verhältnis zu China

Die aktuelle russische Außenpolitik ist vor allem durch eine enge Kooperation mit China geprägt. Putin sieht Peking als Partner bei der Schaffung einer multipolaren Welt. So handelt es sich bei der chinesisch-russischen Partnerschaft vor allem um ein geopolitisches Zweckbündnis gegen die USA.

Es gibt allerdings auch Reibungspunkte in den Beziehungen. Peking hat die russische Annexion der Krim nicht diplomatisch anerkannt, und Moskau ist kein Unterstützer der territorialen Ansprüche Chinas im südchinesischen Meer. Zugleich hat Russland schon seit sowjetischer Zeit gute Beziehungen zu Indien und Vietnam, die beide Rivalen Chinas sind und von Russland auch Waffenlieferungen erhalten.

Auch in Zentralasien besteht eine gewisse Konkurrenz zwischen Russland und China. Allerdings gibt es in der Region durch das gemeinsame Bestreben, den Islamismus zu bekämpfen und den Einfluss des Westens zurückzudrängen, zugleich ein verbindendes Element zwischen beiden Staaten. Auch die Reaktion auf die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und der Wille, mit diesen zu verhandeln, offenbarte Parallelen zwischen Moskau und Peking.

Die wirtschaftliche Kooperation zwischen China und Russland hat sich in den letzten Jahren verstärkt. Deutliche Zuwächse gibt es vor allem im beiderseitigen Handel. Im fernen Osten Russlands ist China jetzt der mit Abstand wichtigste Investor. Dort waren bereits Ende 2019 umgerechnet 16 Milliarden Euro in über 30 verschiedene Projekte geflossen.

Zielbranchen sind neben dem Rohstoffsektor besonders die Bereiche Nahrungsmittel-Industrie und Landwirtschaft. In den zentralrussischen Regionen haben sich vor allem chinesische Automobilfirmen und Zulieferer sowie Produzenten für Haushaltstechnik niedergelassen. Daneben sind größere chinesische Investitionen in Projekte geflossen, die im Zusammenhang mit dem Ausbau der „Neuen Seidenstraße“ stehen.

Eurasische Union

Putin sagte bereits 2005: „Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts.“ Eine Aussage, die im Baltikum, der Ukraine oder Georgien – nicht unbedingt überraschend – mehrheitlich nicht geteilt wird.

Daher wird jeder Versuch der russischen Führung, wieder einen Führungsanspruch im postsowjetischen Raum geltend zu machen, in den meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion abgelehnt oder zumindest kritisch gesehen. Dies gilt aber weniger für die wirtschaftliche Ebene. So ist es der russischen Regierung gelungen, mit Kasachstan, Weißrussland, Armenien und Kirgisien die „Eurasische Wirtschaftsunion“ (EAWU) zu vereinbaren. Diese hat sich die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums und eines gemeinsamen Energiemarktes zum Ziel gesetzt.

Die EAWU hat durchaus Erfolge erzielt, insbesondere beim Abbau von Zöllen zwischen den Mitgliedsstaaten. Schwerer sind Fortschritte bei der Schaffung eines gemeinsamen Energiemarktes zu erzielen. Die wirtschaftliche Dominanz Russlands stellt eine Belastung für die EAWU dar. Moskau sieht die Organisation als Gegenmodell zur EU, also auch mit politischen Funktionen. Diese Sichtweise wurde bisher in Kasachstan und Weißrussland nicht geteilt. Dort will man es bei einer rein wirtschaftlichen Kooperation belassen, wobei das rohstoffreiche Kasachstan eine stärkere Position hat als Weißrussland.

Post-sowjetischer Raum

Die russisch-weißrussische Union ist ein weiteres Projekt russischer Reintegrationsbestrebungen. Obwohl die Abkommen zur Bildung einer Union bereits 1996 und 1997 unterzeichnet wurden, ist die Union beider Staaten in einigen Ansätzen stecken geblieben. Grund dafür sind zum einen wiederholte wirtschaftliche Streitigkeiten zwischen den Regierungen in Moskau und Minsk, beispielsweise um die Preise für russisches Gas oder den Öltransit über Weißrussland. Zum anderen bestehen in Weißrussland Ängste, von Russland vereinnahmt zu werden. Zudem fürchtet der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko offensichtlich den Machtverlust, den die Bildung eines Unionsstaates für ihn bedeuten würde.

Die großen Demonstrationen nach den weißrussischen Präsidentschaftswahlen im Sommer und Herbst 2020, die Verhaftungen mehrerer Oppositionsführer und die nachfolgenden Sanktionen der EU gegen Weißrussland haben die Karten jedoch neu gemischt. Lukaschenko steht nun erheblich unter Druck. So haben sich Putin und Lukaschenko im September auf 28 Unionsprogramme geeinigt, die Putin als „ernsten Schritt in Richtung der Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums" bezeichnete. Der russische Präsident betonte zugleich, dass man über eine politische Union nicht gesprochen habe. Allerdings sieht er das Abkommen als eine „wirtschaftliche Grundlage“ für eine spätere Union solcher Art.

Eng sind die Beziehungen Russlands auch mit Kasachstan. Der zentralasiatische Staat mit knapp 20 Millionen Einwohnern ist durch seine große russische Minderheit mit seinem nördlichen Nachbarn verbunden. Nach der Annexion der Krim 2014 kamen in Kasachstan aber Ängste auf, Russland wolle sich nun auch den überwiegend russisch besiedelten Norden des Landes einverleiben. Doch es gelang Moskau rasch, diese Ängste zu beschwichtigen.

Historische Bindungen an Russland hat Armenien, das das Riesenreich stets als Rückversicherung gegen seine ihm feindlich gesonnenen islamischen Nachbarn Türkei und Aserbaidschan betrachtete. Beim letzten Waffengang um die armenische Exklave Berg-Karabach 2020 griff Russland aber erst ein, als die Aserbaidschaner mit türkischer Hilfe größere Teile des Gebietes erobert hatten. Moskau vermittelte einen Waffenstillstand und schickte Truppen zur Überwachung der Waffenruhe. Die späte Intervention Russlands wurde als „Bestrafung“ der armenischen Regierung gedeutet. Diese hatte sich zuvor dem Westen angenähert.

Belastet ist das Verhältnis Russlands zu Georgien. Dort hatte Russland 2008 militärisch interveniert, als georgische Truppen die abtrünnige Teilrepublik Südossetien angriffen. Bei dem kurzen Waffengang drangen russische Truppen weit ins georgische Kernland vor. Seitdem hat Georgien über Südossetien ebenso wie über die Teilrepublik Abchasien, die ebenfalls von Russland unterstützt wird, praktisch keine Kontrolle mehr.

Das schlechteste Verhältnis unter den Nachfolgestaaten der Sowjetunion hat Russland zur Ukraine. Putin gibt klar zu erkennen, dass er die Krim als festen Bestandteil der russischen Föderation sieht. In der Ostukraine sind anfängliche Befürchtungen, dass Russland das Gebiet annektieren könnte, nicht eingetreten. Vermutlich hatte Putin dies auch nie ernsthaft vor. Der russische Präsident scheint die Ostukraine eher als Faustpfand gegen die Regierung in Kiew nutzen zu wollen, zum Beispiel im Hinblick auf deren Wunsch, der NATO beizutreten. Das passt zu dem knallharten Realpolitiker Putin, dessen Außenpolitik sich vor allem an machtpolitischen Grundsätzen ausrichtet.


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