Weltwirtschaft

Wann beendet die Soja-OPEC die niedrigen Fleischpreise im Supermarkt?

Lesezeit: 8 min
02.01.2022 11:00
Die Nachfrage nach Soja ist gewaltig, die Produzenten haben die Preismacht. Wird Fleisch bald massiv teurer werden?
Wann beendet die Soja-OPEC die niedrigen Fleischpreise im Supermarkt?
Brasilien: Mähdrescher auf einem Soja-Feld. (Foto: dpa)

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Viel ist die Rede von Umwelt- und Klimaschutz sowie von gesunder Ernährung. Doch wie sieht die Realität aus? Nichts davon wird umgesetzt, im Gegenteil: Wir befinden uns in einem fatalen globalen Kreislauf. Laut Statistik essen die Europäer im Schnitt mehr als doppelt so viel Fleisch, wie es ihrer Gesundheit zuträglich wäre – Krankheiten wie unter anderem Diabetes, Rheuma, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Arthrose werden dadurch verursacht oder zumindest verschlimmert. Um die nachgefragten riesigen Fleischmengen produzieren zu können, setzten die Bauern Soja als Futtermittel ein, das das Wachstum der Tiere beschleunigt. Um ausreichend Fläche für den Anbau von Soja zu schaffen, rodet Brasilien – der weltweit größte Soja-Produzent – seinen Regenwald, der einen entscheidenden Beitrag zum Schutz des globalen Klimas leistet.

Die Lösung für all diese Probleme liegt auf der Hand: Die Menschen müssen deutlich weniger Fleisch essen, was zum einen sowohl ihrer Gesundheit zugute käme und zum anderen den Soja-Bedarf senken würde, was wiederum einen gewaltigen Beitrag zur Schonung des Regenwalds leisten würde. Aber: Wer ist schon zu einem solchen Verzicht bereit?

Allerdings könnte der Fleisch-Konsum in absehbarer Zeit doch zurückgehen (und damit auch der Soja-Bedarf). Der Grund: Der Fleischpreis könnte gewaltig nach oben schnellen. Und zwar, weil sich der Preis des Sojas massiv erhöhen könnte. Noch ist Soja zwar relativ billig, doch erinnert die Situation an die Lage des Erdölmarktes in den siebziger Jahren. Soja dominiert mittlerweile den Futtermittel-Weltmarkt (so wie Öl den Energie-Markt dominierte), und so zeichnet sich bereits ab, dass die Produzenten an der Preisschraube drehen werden. Mit einer „Soja-OPEC“ wäre es vorbei mit den niedrigen Fleischpreisen im Supermarkt.

Die fatalen Folgen des übermäßigen Fleischkonsums

Die Analyse des mörderischen Kreislaufs rund ums Soja muss beim Fleischkonsum und seinen Folgen ansetzen. In der Medizin herrscht die Meinung vor, dass ein hoher Fleischkonsum

  • einen hohen Blutdruck und einen erhöhten Spiegel an schädlichem Cholesterin zur Folge hat
  • das Herzinfarkt-Risiko steigen lässt
  • die Arteriosklerose
  • Diabetes Typ 2
  • sowie Darmkrebs fördert.

In einer Reihe von Studien wird darüber hinaus betont, dass Fleisch einen wesentlichen Beitrag zur Fettleibigkeit leistet, und zwar nicht nur durch das in ihm enthaltene Fett, sondern besonders durch das Eiweiß. Derzeit steht die Adipositas besonders im Fokus, weil sie die Widerstandskraft gegen Krankheiten und damit auch gegen Covid-19 in hohem Maße schwächt.

Das bislang skizzierte erschreckende Szenario sollte eigentlich schon genügen, um den übermäßigen Fleischkonsum in Frage zu stellen.

Man muss nicht Vegetarier oder Veganer sein, um gesünder zu leben

Dabei heißt die Konsequenz keineswegs „Schluss mit Fleisch“. Die Europäerin, der Europäer isst im Schnitt etwa 65 Kilogramm Fleisch im Jahr. In Deutschland ist der Verbrauch in letzter Zeit zurückgegangen, liegt aber immer noch bei 57,3 Kilo im Jahr, also über einem Kilo (1000 Gramm) in der Woche. Demgegenüber empfiehlt die „Deutsche Gesellschaft für Ernährung“ 300 bis 600 Gramm, also circa ein Drittel bis die Hälfte. Nachdem eine Reduktion von derzeit etwas mehr als einem Kilo, also 1.100 Gramm pro Woche auf 300 Gramm doch extrem wäre, sei auf den Höchstwert von 600 Gramm abgestellt und ein Blick in die Speisekarte gewagt:

  • Viele meinen, dass ein „ordentliches“ Steak mindestens 200 Gramm haben muss, bei 600 Gramm Fleisch pro Woche könne man also lediglich drei Mal in der Woche die beliebte Rindfleisch-Variante genießen. Manche Angebote sind allerdings auch bei 150 Gramm attraktiv, da käme man auf vier Mal.
  • In den vergangenen Jahren hat das Huhn in deutschen Landen viele zusätzliche Anhänger gewonnen. Gewichte von 100 bis 150 Gramm pro Mahlzeit sind gängig, und damit sechs bis vier Mahlzeiten die Woche.
  • Ähnliche Menge sind beim Schweinebraten üblich, vier Mal in der Woche sind auch hier akzeptabel.

Nun sind In den oben genannten 600 Gramm allerdings alle Fleischprodukte enthalten, also auch der Burger zwischendurch sowie die Wurst auf dem Brot und der Schinken auf der Semmel. Das muss man beachten, wenn man sich eine Mahlzeit zusammenstellt. Übrigens: Fisch ist auch äußerst schmackhaft und sehr gesund – das sei nur nebenbei bemerkt.

Das Aufregende an diesen mit Zahlen unterlegten Überlegungen ist die Tatsache, dass man keineswegs Vegetarier oder gar Veganer werden muss, um die schädlichen Folgen des Fleischverzehrs zu korrigieren. Es genügt, bei den Mahlzeiten in Abständen das Fleisch zu streichen und dem Gemüse, dem Salat oder dem Fisch die Dominanz des Menüs zu übertragen.

Die gigantische Nachfrage nach Fleisch ist derzeit nur mit dem Einsatz von Soja zu befriedigen

Um die gigantischen Mengen an Fleisch produzieren zu können, die derzeit nachgefragt werden, müssen eiweißreiche Futtermittel eingesetzt werden, die dafür sorgen, dass die Tiere viel Fleisch ansetzen und rasch wachsen. Dies gilt in erster Linie für die immer stärker nachgefragten Hühner, für die nach wie vor in den Menüs stark vertretenen Schweine und auch für die Rinder. Wobei Soja das dominante Futtermittel ist - Alternativen wie Raps, Mais, Weizen oder Luzerne sorgen nicht für ein Angebot, das der Nachfrage entsprechen würde. Gemessen am Eiweiß-Ertrag ist ohne Zweifel eine saftige Wiese nicht zu schlagen; wollte man sich allerdings auf die im Grünen weidenden Tiere beschränken, gäbe es nur auf wenigen Esstischen Fleisch. Soja hat nicht nur besonders viel Eiweiß, es ist auch einfach einzusetzen. Die EU importiert jährlich über 30 Millionen Tonnen, etwa 63 Kilogramm für jeden EU-Bürger, wobei Brasilien der größte Lieferant ist, vor den USA, Kanada und der Ukraine.

Daher wird versucht, Soja in Mitteleuropa anzubauen. In Deutschland wurde die Menge an heimischem Soja seit 2016 sogar verdoppelt, allerdings erst auf 90.500 Tonnen, was nur 2,3 Prozent der benötigten Menge entspricht. Insgesamt importierte Deutschland 2020 3,9 Millionen Tonnen, wovon 1,9 Millionen auf die USA entfielen und 1,4 Millionen auf Brasilien.

Wie bereits erwähnt, wird man in Europa nicht müde, Brasilien wegen der Rodung des Regenwalds zu kritisieren. Der alte Kontinent gehört aber, das muss betont werden, zu den großen Importeuren genau jener Pflanzen, die auf dem Bodes des ehemaligen Regenwalds wachsen. Da hilft auch nicht die Rechtfertigung, dass andere doch noch viel mehr Soja verbrauchen: China importiert jährlich 90 Millionen Tonnen. Nein, ein solches Sich-herausreden-wollen ist fehl am Platz.

Die Bekämpfung der Gentechnik ist unbegründet

Die öffentliche Diskussion in Europa dreht sich nicht um den eigenen Fleischkonsum, sondern primär um den Regenwald und um eine Reihe andere Themen. Zu nennen ist hier vor allem die immer wieder vorgebrachte Kritik, dass Soja gentechnisch verändert wird, vor allem um die Widerstandsfähigkeit gegen Herbizide zu erreichen. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung wurden dann auch verschiedentliche Restriktionen beschlossen, die den Einsatz der Gentechnik in Europa bremsen. In diesem Sinne besteht beispielsweise eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel und somit auch für Soja-Sorten, die gentechnisch verändert wurden.

Von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen sind jedoch Produkte wie Eier, Milch als auch das Fleisch von Tieren, welche mit GVO – Gentechnisch Veränderte Organismen - gefüttert wurden. Womit die Farce sehr deutlich wird – genverändertes Soja ist zu kennzeichnen, das Fleisch von einem mit genverändertem Soja gefütterten Tier allerdings nicht.

Die Farce geht sogar noch weiter: Gentechnisch veränderte Produkte können in die EU eingeführt werden. Derzeit besteht für etwa 130 GVO eine Importerlaubnis, die auch für Soja gilt.

Dass peinlich genau jeder Sack mit gentechnisch verändertem Sojafutter eine entsprechende Kennzeichnung aufweist, wird wohl niemand ernsthaft behaupten, zumal in den Erzeugerländern der Einsatz der Gentechnik selbstverständlich erfolgt.

Die Groteske hat vor kurzem einen neuen Höhepunkt erreicht. Nachdem sich die EU-Kommission seit zwanzig Jahren rund um das Thema mit Verboten und Doch-Nicht-Verboten windet, stellt sich nun heraus, dass die Aufregung übertrieben war. Vor kurzem konnte man auf der Homepage der EU-Kommission folgenden Text lesen: „So manche mit NGT – Neue Gen-Technologien - erzeugte Pflanzen sind für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt genauso sicher wie solche aus konventioneller Züchtung. Eine Studie der EU-Kommission kommt zu dem Schluss, dass es deutliche Hinweise darauf gibt, dass die geltenden GVO-Rechtsvorschriften aus dem Jahr 2001 für einige NGT und ihre Erzeugnisse nicht zweckmäßig sind und an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst werden müssen.“

Die Ablehnung der Gentechnik in der Getreidewirtschaft wurde von Anfang an von besonnenen Agrar-Experten kritisiert. Gentechnik, so betonen sie, sei die moderne Weiterentwicklung der seit Jahrtausenden betriebenen Kreuzung von Sorten. Man dürfe den Getreidebereich nicht mit den problematischen Versuchen, Tiere zu klonen, verwechseln. Bei den Pflanzen geht es um die Entwicklung von Produkten, die widerstandsfähiger sind und höhere Erträge liefern. Dies sei notwendig, um die Ernährung der ständig wachsenden Weltbevölkerung zu sichern. Erst kürzlich, im Jahr 2020, wurde der Chemie-Nobelpreis an die beiden Molekularbiologinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna verliehen, die eine neue Methode des Genome Editierung, also die zielgerichtete Veränderung von DANN, entwickelt haben. Diese Erkenntnisse haben nicht nur das Potential, den Pflanzenbereich und somit die Welternährung zu revolutionieren, sondern auch generell der Genetik neue Dimensionen zu eröffnen.

Soja wird verteufelt – seine positiven Eigenschaften werden ignoriert

Die öffentliche Diskussion hat Soja verteufelt. Dabei liefert diese Pflanze von sich aus, schon ohne Gentechnik, einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Welternährung durch ihren hohen Eiweißgehalt. Wenig beachtet wird der von der Natur hervorgebrachte - und von genialen Chemikern übernommene - Vorgang, der die Eiweißproduktion ermöglicht: Die Soja-Pflanze ist in besonderem Maße aufgrund ihrer natürlichen Eigenschaften in der Lage, Stickstoff in Eiweiß umzuwandeln. Dazu benötigt sie das Zusammenwirken mit so genannten Knöllchen-Bakterien, die den Stickstoff in verwertbarer Form bereitstellen. Nur wenige Böden liefern diese idealen Voraussetzungen. Daher werden in die Soja-Samen Knöllchen-Bakterien injiziert, die die Stickstoff-Umwandlung ermöglichen, wobei nicht nur der Stickstoff aus dem Boden, sondern auch der Stickstoff aus der Luft genützt wird. Zur Erinnerung: Die Atmosphäre besteht zu 78 Prozent aus Stickstoff. So wurde Soja zu dem verlässlichen Eiweißproduzenten, der die Weltmärkte erobert hat und einen wichtigen Beitrag zur Welternährung leistet.

Fragen am Rande: Warum wurden und werden diese Zusammenhänge in erster Linie bei Soja und vor allem in den USA genützt, um einen Welterfolg zu schaffen, und kaum in Europa? Das geschilderte System funktioniert bei vielen Hülsenfrüchten (wenn auch nicht so bequem wie bei der Soja-Pflanze, die zudem das europäische Klima nicht sehr schätzt). Vielleicht ändert sich das mit der Klimaerwärmung.

Soll man sich damit trösten, dass die europäische Firma Bayer den umstrittenen US-Giganten Monsanto mit einer 60-Milliarden-Investition gekauft und den Namen „Monsanto“ gestrichen hat?

Glyphosat – ein Allesvernichter, der jedoch eine reiche Ernte sichert

Soja ist von Natur aus eine freundliche Pflanze, die nicht aggressiv ist und die sich nicht wehrt. Also gehen die kämpferischen Konkurrenten über Soja hinweg, und das Gleiche tut auch das Unkraut. Folglich muss Soja gegen die Umwelt geschützt werden, und da kommt das viel zitierte und umstrittene Glyphosat ins Spiel. Dieses Produkt ist ein so genanntes Totalherbizid, das, wie die Bezeichnung schon signalisiert, alles vernichtet. Setzt man Glyphosat ein, um Soja zu schützen, so wird auch Soja vernichtet, außer man verändert die Pflanze gentechnisch und macht sie durch einen Eingriff gegen Glyphosat resistent. Dann erweist sich das Herbizid als perfektes Mittel, um eine reiche Ernte zu garantieren. Allerdings mit dem Kollateralschaden, dass auf den betroffenen Feldern und rundum nichts Anderes wächst, für die Betreiber der Produktion ein durchaus willkommener Effekt, für die Erhaltung der Biodiversität allerdings eine verheerende Folge.

Nun muss man einwenden, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ein selbstverständlicher und seit langem verbreiteter Vorgang ist. Mehr noch: Glyphosat, einmal aufgebracht, „wandert“ weniger zu den Nachbar-Feldern als andere Produkte, außerdem ist das Mittel nur beschränkt schädlich für Tiere, folglich aus Sicht der Bauern eine bedienerfreundliche Variante. Die in der öffentlichen Debatte oft wiederholte Behauptung, dass Glyphosat krebserregend sei, wurde bislang wissenschaftlich nicht bestätigt. Gibt es in Sachen Glyphosat also eine nicht fundierte Aufregung wie bei der Bekämpfung des Genome Editing? Vom Standpunkt vieler Agrar-Experten lautet die Antwort „ja“. Aus der Perspektive der Umweltschützer lautet sie „nein“.

Soja wird zu einer Art Monopolprodukt - und damit zu einer tickenden Preisbombe

Fakt ist: Soja entwickelt sich zu einem dominanten Produkt. Von der geschätzten Agrarfläche der Welt im Ausmaß von circa 1.400 Millionen Hektar entfallen bereits 130 Millionen (also mehr als neun Prozent) auf Soja. Trotz dieser gigantischen Dimension ist der Preis der Pflanze moderat. Derzeit liegt er bei 12,67 Dollar, gegenüber einem Durchschnittswert von 2016 bis 2020 zwischen acht und zehn Dollar. Im letzten Quartal 2020 stieg der Preis allerdings, wenn auch nur kurzzeitig, auf 16 Dollar. Auch wenn sich die Börse wieder beruhigt hat, so müssen Bauern und Konsumenten zur Kenntnis nehmen, dass die dominierenden Anbieter, allen voran Brasilien, jederzeit kräftig an der Preisschraube drehen können. Eine Preisexplosion wie bei Erdöl in den siebziger Jahren zeichnet sich ab: Als die Erdöl-Industrie erfolgreich die Kohle zurückgedrängt hatte, stieg der Preis für ein Fass Erdöl von der heute unvorstellbar geringen Summe von zwei Dollar auf die mittlerweile üblichen Beträge, die zwischen 50 und 140 Dollar schwanken.

Zum Schluss

Soja hat, wie jede Pflanze, Vor- und Nachteile. Wenn das Futter dominant aus Soja besteht, geht in der Fleischqualität viel verloren, und das spürt der Konsument. Früher – die Älteren werden sich noch erinnern - wurde allerdings häufig Fischmehl aus Abfällen als Futtermittel für Hühner verwendet, was man am Fleisch nur zu häufig schmeckte. Da erweist sich ein Soja-Huhn sicher als Fortschritt. Auf den nächsten Fortschritt, wenn man beim Verzehr des Fleisches unterschiedliche Futtermittel und möglichst beim Huhn noch ein paar Körner vom Bauernhof und beim Rind ein paar Gräser von der Wiese schmeckt, darf man sich jetzt schon freuen. Vor allem dann, wenn man - zum Leidwesen der Soja-Industrie - drei oder vier Mal in der Woche nur Salat und Gemüse isst.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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