Politik

Risikoanalyse: Große Inflations-Unruhen beginnen im Jahr 2022

In Europa, Deutschland und dem Rest der Welt könnte die inflationäre Entwicklung bis 2023 und darüber hinaus zu großen sozial-wirtschaftlichen Unruhen führen. Denn der Nahrungsmittelpreis-Index steigt rasant an. Europas Politiker sollten soziale und wirtschaftliche Präventiv-Maßnahmen treffen, bevor es zu spät ist.
18.12.2021 19:56
Aktualisiert: 18.12.2021 19:56
Lesezeit: 3 min

Im aktuellen Umfeld fokussiert sich die Öffentlichkeit auf die deutschen und europäischen Protestwellen gegen die Corona-Maßnahmen.

Die inhaltliche Debatte ist derart polarisiert, dass an dieser Stelle auf ein anderes ernsthafteres Problem hingewiesen werden muss, das Deutschland und Europa heimsuchen könnte.

Die WHO hatte kürzlich bekanntgegeben, dass das „Epizentrum“ der Pandemie Europa geworden ist. Dieser Hinweis ist ganz entscheidend, zumal damit logischerweise Pandemiemaßnahmen verbunden sind, die zu einer Vertiefung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen werden. Halten wir fest: Die Pandemiemaßnahmen werden die europäischen Wirtschaften nachhaltig schwächen.

Gleichzeitig hat weltweit längst eine Phase der Inflation eingesetzt, die auf die Billiggeld-Politik der Zentralbanken und die Beschädigung der Lieferketten im Verlauf der Pandemie (Angebotsknappheit) zurückzuführen ist. Eine Hyperinflation ist mittelfristig nicht auszuschließen, sondern stellt mittlerweile eine reale Gefahr dar. In diese Phase wird die Welt wahrscheinlich ab dem kommenden Jahr eintreten.

Was bedeutet das für die Proteste in Deutschland und Europa? Ein Blick auf den „Food Price Index“ der UN (FAO Food Price Index) gibt uns einen Hinweis darauf, was in den kommenden zwei Jahren passieren könnte.

Immer dann, wenn der „Food Price Index“ massiv steigt, kommt es weltweit in diversen Regionen der Welt zu Unruhen. So spielte beispielsweise beim Ausbruch des Arabischen Frühlings in Tunesien die Nahrungsmittelinflation die Hauptrolle.

Seit Januar 2021 hat sich der „Food Price Index“ folgendermaßen entwickelt:

Januar 2021:113.5

Februar 2021: 116.6

März 2021: 119.2

April 2021: 122.1

Mai 2021: 128.1

Juni 2021: 125.3

Juli 2021: 124.6

August 2021: 128.0

September 2021: 129.2

Oktober 2021: 132.8

November 2021: 134.4

Das Augenmerk ist separat auch auf die Weizenpreise zu richten. Im November 2016 lag der Weizenpreis pro Tonne bei 113.28 Euro. Im April 2021 kostete eine Tonne Weizen 165.43 Euro. Anschließend stieg der Weizenpreis bis zum November 2021 auf 277.77 Euro pro Tonne. Dieser Trend hält an und wird sich verschärfen. Die wichtigsten Exportländer von Weizen nach Ausfuhrwert waren im Jahr 2020 Russland (17,7 Prozent Weltmarktanteil), die USA (14,1 Prozent Weltmarktanteil), Kanada (14,1 Prozent Weltmarktanteil), Frankreich (10,1 Prozent Weltmarktanteil) und die Ukraine (8,0 Prozent Weltmarktanteil), so das Fachmagazin „Weltexporte“.

Die Universität München führt in einem Papier aus: „Empirische Ergebnisse deuten darauf hin, dass zwischen Januar 1990 und Januar 2011 der Anstieg der Lebensmittelpreise zu erhöhten politischen Unruhen geführt hat.“

Die Nachrichtenwebseite „Axios“ bestätigt: „Frühere Preisspitzen bei Grundnahrungsmitteln waren mit Perioden sozialer Unruhen verbunden, einschließlich des Arabischen Frühlings. Wenn die Preise weiter steigen – zusätzlich zu den Schmerzen der Pandemie – könnte der Welt eine holprige Zukunft bevorstehen.“

Die „Weltbank“ führt im Rahmen ihres „Food Riot Radar“ aus, dass es zwei Typen von sozialen Unruhen gibt. Der eine Typ wird durch eine Nahrungsmittelinflation ausgelöst, während der zweite Typ von einer Angebotsknappheit befördert wird.

Die Sprengkraft des aktuellen Trends bei den Nahrungsmittelpreisen sollte von der Bundesregierung und allen weiteren europäischen Regierungen nicht unterschätzt werden. Wenn man dieser DWN-Analyse das „Food Riot Radar“ zugrunde legt, könnte sich in den kommenden zwei Jahren eine besonders explosive Situation ergeben, weil sich aktuell beide Typen sozialer Unruhen in einer Phase der Entwicklung befinden – Beginn einer Nahrungsmittelinflation bei geleichzeitiger Angebotsknappheit aufgrund der Probleme bei den Lieferketten (insbesondere bei Düngemitteln).

In den kommenden zwei Jahren könnte es in Deutschland und Europa voraussichtlich zu Protesten kommen, die in ihrer Schwere alles übersteigen werden, was wir bisher beobachtet haben. Die Emotionalisierung der Massen im Verlauf der Corona-Pandemie bildet dabei nur die Basis für größere Verwerfungen. Diese Emotionalisierung führt zu einer zunehmenden Politik- und Demokratieverdrossenheit.

Es ist völlig egal, wie die EZB und alle anderen Zentralbanken handeln. Die Preisstabilität kann von den Währungshütern nicht mehr garantiert werden.

Die Bundesregierung und alle anderen europäischen Regierungen sollten Überlegungen anstellen, wie eine direkte oder indirekte fiskalpolitische Nahrungsmittelsubvention durchgeführt werden könnte.

Was könnte getan werden, um die zerstörerischen Auswirkungen der aufkommenden Krise möglichst gering zu halten? Die erste Alternative könnte darin bestehen, die Energiepreise in den kommenden Jahren möglichst niedrig zu halten. Doch das wäre nur dann möglich, wenn die Klimaziele aufgeschoben werden, um weiterhin auf Kohle- und Atomkraft zu setzen.

Weiterhin sollten sich die Politikmacher überlegen, wie die Mietpreise für Wohnungen und Häuser durch staatliche Eingriffe gesenkt werden könnten – zumindest über einen klar festgelegten Zeitraum.

Sobald die Fixkosten der europäischen Haushalte und die Nahrungsmittelpreise bis ins Unermessliche steigen, wird es auf den Straßen der europäischen Städte brenzlig werden.

Die erwartbaren Ereignisse würden dann nicht nur eine Gefahr für die einzelnen Regierungen, sondern für die europäischen Demokratien als Ganzes darstellen, weil subversive Elemente Kundgebungen ausnutzen und kanalisieren könnten, um möglicherweise im Auftrag eine Destabilisierung der Gesellschaften herbeizuführen. Folglich sollten die Bürger wachsam sein, um sich nicht instrumentalisieren zu lassen.

Es muss unter allen Umständen verhindert werden, dass ein signifikanter Teil der Bürger und die einheimischen Sicherheitskräfte als Gegner/Feinde gegeneinander aufgebaut werden.

Die Politik sollte die Auswirkungen von sozialen und wirtschaftlichen Daten als Hinweisgeber für den Verlauf von Ereignissen nicht unterschätzen, sondern genauestens studieren.

Eine offensive politische Rhetorik (Unterstellungen, Diffamierungen und Vorwürfe) in Zeiten von sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen (unabhängig von der Impfdebatte) würde den Unmut der Bürger nur noch steigern.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Kryptowährungsmarkt im Fokus: ETFs, XRP und Moon Hash – Weihnachtsbonusverträge beflügeln Cloud-Computing-Trends

Zum Jahresende erlebt der Kryptowährungsmarkt einen neuen Aufschwung. Kryptowährungs-ETFs und XRP ziehen zunehmend Gelder traditioneller...

avtor1
Cüneyt Yilmaz

                                                                                ***

Cüneyt Yilmaz ist Absolvent der oberfränkischen Universität Bayreuth. Er lebt und arbeitet in Berlin.

DWN
Technologie
Technologie Natrium-Batterien: Wie China die nächste Akkurevolution vorantreibt
20.12.2025

Chinesische Hersteller treiben die Entwicklung von Natrium-Batterien rasant voran und bedrohen damit das bisherige Lithium-Dominanzmodell...

DWN
Politik
Politik Härtefallfonds für bedürftige Ostrentner schliesst: 425 Millionen Euro ungenutzt
20.12.2025

Aus dem Härtefallfonds für bedürftige Rentner aus der ehemaligen DDR und Osteuropa fließen zu Jahresende mehrere Hundert Millionen Euro...

DWN
Panorama
Panorama Grüne Stadt der Zukunft: Wie realistisch CO2-neutrale Metropolen bis 2040 sind
20.12.2025

Städte sollen Europas Klima-Rettungsanker werden – doch zwischen Vision und Wirklichkeit klafft eine Lücke. EU-Ziele, Modellstädte und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chefin der Wirtschaftsvereinigung Stahl warnt: Die Deindustrialisierung ist real
20.12.2025

Kerstin Maria Rippel ist Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Im DWN-Interview sagt sie, dass Berlin nach dem...

DWN
Immobilien
Immobilien Eigenkapitalbildung: Immobilienkauf laut IfW-Studie für Millennials schwerer
20.12.2025

Eigenkapitalbildung wird für viele Kaufwillige zur größten Hürde: Eine neue Studie vergleicht, wie stark sich die Anforderungen für...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU-CO2-Zoll wird ausgeweitet: Kommt die nächste Stufe für Waschmaschinen und andere Haushaltsgeräte?
20.12.2025

Der EU-CO2-Zoll steht vor der nächsten Ausbaustufe: Brüssel will ihn auf Haushaltsgeräte und weitere Industrieprodukte ausdehnen. Ab...

DWN
Politik
Politik Neues Ranking: Wer jetzt über Europas Zukunft entscheidet
20.12.2025

Donald Trumps Aufstieg an die Spitze des aktuellen Politico-Rankings zeigt, wie stark externe Kräfte Europas Politik inzwischen bestimmen....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Rallye mehrerer Technologieunternehmen treibt US-Aktien an
19.12.2025

Die US-Aktien unterbrachen ihre jüngste Verlustserie und stiegen am Freitag, da Anzeichen einer abkühlenden Inflation und nachlassende...