Deutschland

Nächster Stromanbieter ist pleite - Verband fordert Eingreifen der Politik

Lesezeit: 3 min
28.12.2021 18:00
In Deutschland stoppen immer mehr Stromanbieter die Belieferung ihrer Kunden.
Nächster Stromanbieter ist pleite - Verband fordert Eingreifen der Politik
Eine Glühbirne. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Kunden des Stromdiscounters Stromio werden seit vergangenem Mittwoch nicht mehr von dem Unternehmen beliefert. Wie die Stromio GmbH auf ihrer Homepage mitteilte, wurden alle Stromlieferverträge für die Marken "Stromio" und "Grünwelt Energie" mit Ablauf des 21. Dezember beendet.

Als Grund gab der Stromanbieter eine "historisch einmalige Preisentwicklung im Strommarkt" an. Seit einigen Wochen sei man mit einer nie dagewesenen Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen konfrontiert, hieß es in dem Schreiben. Die Ereignisse und ihre Folgen seien nicht vorauszusehen gewesen. Das Unternehmen aus dem rheinischen Kaarst teilte auf dpa-Anfrage schriftlich mit, dass es nicht insolvent sei. Branchenkenner gehen davon aus, dass mehrere hunderttausend Kunden von der Kündigung durch Stromio betroffen sind.

Verbraucherinnen und Verbraucher müssen keinen Stromausfall befürchten. Es gibt in solchen Fällen keine Versorgungsunterbrechung, wie die Verbraucherzentrale betonte. Der örtliche Grundversorger übernimmt die Stromlieferung zunächst als sogenannte Ersatzversorgung. Der Grundversorger ist immer das Unternehmen, das in einem bestimmten Netzgebiet die meisten Kunden beliefert. Meistens sind das die Stadtwerke. Die Vergleichsportale Check24 und Verivox richteten im Internet Seiten mit Hinweisen für Stromio-Kundinnen und -Kunden ein.

Stromio kündigte an, die Kundenbeziehung "sachgerecht" abwickeln zu wollen. "So werden wir im Rahmen der Endabrechnung Ihnen zustehende Guthaben sowie auch (zeitanteilig) Neukundenboni an Sie auszahlen", hieß es. Die Schlussrechnung soll innerhalb von sechs Wochen kommen. Das Unternehmen bat die Kunden, umgehend den Zählerstand zu notieren und dem Netzbetreiber mitzuteilen.

Anfang Dezember hatte ein Schwesterunternehmen von Stromio, das unter den Marken gas.de und Grünwelt Gas verkauft hatte, seine Gaslieferungen an Haushaltskunden eingestellt. Als Grund hatte die Firma ebenfalls eine "nie dagewesene Preisexplosion an den europäischen Energiehandelsplätzen" angegeben.

Die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), die für die Stabilität des Stromnetzes zuständig sind, hatten zuvor ihre Verträge mit Stromio kurzfristig gekündigt. Dies wird unternommen, wenn etwa ein Stromanbieter nicht mehr so viele Strommengen liefert wie er liefern müsste. Grund dafür könnten zum Beispiel die derzeit hohen Einkaufspreise im Großhandel sein, sofern der Anbieter keine langfristigen Strom-Lieferverträge abgeschlossen hat.

Nach Angaben der Bundesnetzagentur haben im laufenden Jahr bislang 38 Energielieferanten (ohne Stromio) die Beendigung der Belieferung angezeigt. Zwölf davon haben ihre Lieferungen bereits eingestellt, darunter jüngst erst am Dienstag Neckermann Strom, das nach eigenen Angaben Insolvenz anmeldete. Bei den übrigen soll die Belieferung zum 31.12.2021 enden. Von den 38 Unternehmen lieferten sechs Strom und Gas, 28 nur Strom und 4 nur Gas. In den fünf Jahren zuvor haben insgesamt 97 Energielieferanten bei der Bundesnetzagentur die Beendigung der Belieferung angezeigt, die meisten (74) im Jahr 2017. 2020, 2019 und 2018 waren es jeweils fünf. Umgekehrt haben der Behörde seit 2016 insgesamt 471 Energielieferanten die Aufnahme von Lieferungen angezeigt.

Verband fordert Eingreifen der Politik

Vor dem Hintergrund der kurzfristigen Einstellung von Strom- und Gaslieferungen durch Energiediscounter fordert die etablierte Energiewirtschaft von der Politik mehr Sicherheit für Grundversorger. Diese Unternehmen, meistens Stadtwerke, müssen Kunden übernehmen, deren ursprüngliche Lieferanten nicht mehr liefern. "Unsere Unternehmen stehen vor erheblichen Herausforderungen aufgrund der explodierenden Energiebeschaffungspreise", sagte Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) laut einer Mitteilung vom Donnerstag. Für die Neukunden in der sogenannten Ersatzversorgung müssten die Unternehmen zu den aktuell extrem hohen Preisen zusätzlich Energie zukaufen.

Der BDEW forderte von der Bundesregierung in solchen Fällen die Möglichkeit, dass Energieversorger temporär auf zinslose Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau zurückgreifen können. Auch brauche es dringend eine gesetzliche Absicherung für eine rechtssichere Einführung von Neukunden-Tarifen in der Grundversorgung, sagte Andreae. Im Sinne des Verbraucherschutzes sei es nur fair, wenn Bestandskunden nicht für das Verhalten der Discountunternehmen aufkommen müssten.

Verbraucherschützer sehen in solchen Fällen die Einführung von neuen Tarifen für Neukunden kritisch. In manchen Fällen zahlten Betroffene mit Neuverträgen in der Grundversorgung mehr als das Doppelte als vergleichbare Bestandskundinnen und -kunden, sagte der Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW, Udo Sieverding, laut einer Mitteilung vom Mittwoch. Diese Ungleichbehandlung sei rechtlich als zweifelhaft anzusehen. "Diese Vorgehensweise widerspricht unserem Verständnis des freien Marktes und der Liberalisierung im Energiemarkt deutlich." Eine Bestrafung von Kundenkreisen, die den Anbieter gewechselt haben, kritisiere man scharf. "Die Spaltung der Grundversorgungstarife darf als Folge der extremen Energiepreisanstiege daher nicht von Dauer sein."

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) verteidigte die Einführung eigener Tarife für Neukunden. Gerade die kommunalen Stadtwerke hätten vorausschauend geplant und könnten daher ihren Kunden Unsicherheit und noch größere Preissprünge ersparen, sagte Ingbert Liebing, VKU-Hauptgeschäftsführer. Zugleich nähmen sie gestrandete Kunden in der Ersatzversorgung auf. "Mit differenzierten Tarifen können dabei die negativen Folgen für Bestandskunden begrenzt werden." Im Zusammenhang mit den Liefereinstellungen durch Billiganbieter forderte der VKU eine "effizientere Aufsicht der Bundesnetzagentur über unseriöse Anbieter".

Laut Sieverding war es die Beschaffungsstrategie von Discountern, sich kurzfristig zu günstigen Preisen am Spotmarkt einzudecken. "Das Modell der Discounter hat jahrelang gut funktioniert, jetzt fallen sie damit reihenweise auf die Nase", sagte der Energieexperte der "WAZ" (Donnerstag).


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Technologie
Technologie Der Chefredakteur kommentiert: Kleiner Blackout - kein neuer Strom mehr in Oranienburg! Echt jetzt?
19.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Städtereisen neu entdeckt: Easyjet läutet Renaissance der Rollkoffer ein
19.04.2024

Vor genau 20 Jahren eroberte Easyjet mit seinen günstigen Flügen das Festland der EU. Der Start in Berlin-Schönefeld begann...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft G7-Außenministertreffen: Israel-Iran Konflikt überschattet Agenda
19.04.2024

Nach israelischem Angriff auf Iran: G7-Außenministertreffen auf Capri ändert Agenda. Diskussionen zu China und Cyber-Sicherheit werden...

DWN
Politik
Politik Forsa-Zahlen: Die Grünen unterliegen den Fliehkräften der Abwärtsspirale
19.04.2024

Und schon wieder eine Etage tiefer. Der Sog verstärkt sich und zieht die Partei Bündnis 90/Grüne immer weiter hinab in der Wählergunst....

DWN
Technologie
Technologie Sehnsuchtsort Mond – Wettlauf um Macht und Rohstoffe
19.04.2024

Forscher, Technologiefirmen und ganze Staaten streben nach neuen galaktischen Ufern. Der Mond lockt mit wertvollen Rohstoffen und dient...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Trotz Exportbeschränkungen: Deutsche Ausfuhren in den Iran gestiegen
19.04.2024

Deutsche Exporte in den Iran trotzen geopolitischen Spannungen: Anstieg trotz EU- und US-Sanktionen. Welche Kritikpunkte gibt es in diesem...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: So ist die Lage
19.04.2024

Nach neuen Angriffen: USA und NATO erhöhen Unterstützung für Ukraine, während Russland seinen Machtanspruch verstärkt.

DWN
Immobilien
Immobilien Wie viel Immobilie kann ich mir 2024 leisten?
19.04.2024

Wie günstig ist die aktuelle Marktsituation für den Erwerb einer Immobilie? Auf welche Haupt-Faktoren sollten Kaufinteressenten momentan...