Finanzen

Omikron und Lieferketten-Krise: Anleger müssen kühlen Kopf bewahren, auch wenn es schwerfällt

Lesezeit: 2 min
30.12.2021 14:19  Aktualisiert: 30.12.2021 14:19
Mit dem plötzlichen Auftritt von Omikron hat die große weite Anlegerwelt das Risiko wiederentdeckt. Und wenn die Verunsicherung erst einmal einen Lauf hat, dann werden auf einmal auch Inflation, brüchige Lieferketten und Schuldenblasen zum Schreck, die vorher keine große Rolle spielten.
Omikron und Lieferketten-Krise: Anleger müssen kühlen Kopf bewahren, auch wenn es schwerfällt
Die Anleger sollten nicht verzweifeln. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Wir Menschen haben Emotionen, die vor allem in Geldfragen gerne über die Stränge schlagen und die Vernunft ausblenden. Wenn die Börse läuft, setzt man die Risiko-Scheuklappen auf. Umgekehrt ist man mit Tränen in den Augen blind und sieht die Chancen nicht. Das konnte zuletzt beim Auftreten von Omikron beobachtet werden. Als Anleger muss man lernen, sein „Mütchen“ zu kühlen, was viel einfacher gesagt als getan ist.

Mit dem plötzlichen Auftritt von Omikron hat die große weite Anlegerwelt das Risiko wiederentdeckt. Und wenn die Verunsicherung erst einmal einen Lauf hat, dann werden auf einmal auch Inflation, brüchige Lieferketten und Schuldenblasen zum Schreck, die vorher keine große Rolle spielten. Viel Wasser auf die Angst-Mühlen leiten nicht zuletzt die vielen jungen und Neu-Anleger, die bislang nur die Leichtigkeit des Aktien-Seins kennen und von einem Bärenmarkt ähnlich auf dem falschen Fuß erwischt werden wie ein Torwart.

An der Börse ist die Angst nicht ausgestorben und das wird sie auch nie, denn sie gehört dazu. Doch sollten Anleger trotz manchmal überwältigender Emotionen die längerfristige Perspektive nicht außer Acht lassen. Denn Aktien bleiben trotz aller Trading-Strategien vor allem ein Langfristinvestment.

Das positive Aktienbild hat sich nicht eingetrübt

Es wäre ein Leichtes, aus der Omikron-Variante ein medizinisches und konjunkturelles Desaster mit Hollywood-Format herzuleiten. Aber warum sollte ein „smarter“ Virus seinen Wirt in den Exodus treiben und so seine Vermehrung behindern? Es müsste das größte Interesse daran haben, nur leichtere Krankheitsverläufe nach sich zu ziehen und dramatisch ansteckend sein, damit die vorherigen gefährlicheren Varianten in die Defensive geraten. Ich bin kein Virologe, aber ist dies nicht die Beobachtung, die bisher mit Omikron-Fällen gemacht wurde? Könnte also ausgerechnet Omikron dazu führen, dass wir Corona zukünftig besser im Griff haben?

Unabhängig davon müsste die Politik weltweit mit der Muffe gepufft sein, wenn man erneut die Wirtschaft generell schließen würde. Allenfalls ist von partiellen Lockdowns auszugehen, die aber den konjunkturellen Prozess so wenig wie möglich stören. Überhaupt, das, was wir jetzt konjunkturell wegen technischen Flaschenhälsen bei Vorprodukten nicht schaffen, holen wir ab Frühjahr 2022 nach, wenn die Engpässe in den Wirtschafts-Arterien wieder nachlassen.

Ohnehin sind die langfristigen Fundamentalaussichten vielversprechend. Mit der industriellen Revolution 4.0 und der Dekarbonisierung erleben wir gleich zwei dramatische Strukturbrüche, die der Weltwirtschaft noch lange reichlich Nahrung geben. Insofern kommen auch High-Tech- und Klimaschutz-Aktien in den Genuss einer lang anhaltenden Sonderkonjunktur.

Nicht zuletzt hält die ausbleibende Renaissance von attraktiven Zinsen u.a. wegen Überschuldung und Verhinderung einer Euro-Sklerose den Anlagenotstand pro Aktien aufrecht. Übrigens sollte man Anleihen erst dann kaufen, wenn die Zinsen den Gipfel erreicht haben. Denn dann kommt man neben dem soliden Kupon auch noch in den Genuss von Kursgewinnen. Erschwerend für Zinstitel kommt die Inflation hinzu, die geldpolitisch nicht kompensiert wird. Für Aktien als Sachkapital hingegen ist die nicht bekämpfte Inflation wie beim Bobfahren ein starker Anschieber.

Die Börse ist auch nicht nur ein Ponyhof

Sicherlich müssen wir uns an mehr Volatilität gewöhnen. Schwarze Schwäne kommen immer wieder vor. An der Börse gibt es keine letzte Sicherheit. Wer hätte vor zwei Jahren mit Corona gerechnet? Auch wird es zwischenzeitlich zu „stabilitätspolitischen Anfällen“ der Notenbanker kommen, die sich zwar letztlich nicht wirklich materialisieren, aber durchaus Irritationen auslösen können.

Ebenso ist das Verhältnis der USA zu China bzw. zu Russland - wie aktuell in der Ukraine-Frage - wahrlich keine Liebesbeziehung.

Grundsätzlich sollte man nur so viel Kapital investieren, dass man nachts noch gut schlafen kann. Der persönliche Seelenfrieden ist unbezahlbar.

Aber Kursschwankungen darf man auch nicht nur als schlecht ansehen. Ist man von Einzeltiteln nachhaltig überzeugt, sollte man sie bei vorübergehenden Börsenturbulenzen nicht schmeißen. Ein Ehestreit führt ja auch nicht unweigerlich zur Trennung. Und so sollte man auch seine liebsten Aktien nachkaufen, zu einem günstigeren Preis. Versöhnung kann doch so schön sein.

Und bevor man gar nichts tut, setzt man auf regelmäßige Sparpläne, die mit überschaubaren Beiträgen nicht schmerzen und längerfristig eine ordentliche Vermögensposition mit hoher Durchschnittsrendite bieten. Nur so kann man vor der zinsseitigen „Altersentsorge“ fliehen.

Ja, vor Emotionen und Angst ist niemand gefeit, auch nicht der Schreiberling dieser Kolumne. Aber man kann es drehen und wenden wie man will, an Aktien führt auch 2022 kein Weg vorbei.

Glück auf!

                                                                            ***

Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse-Abteilung der Baader Bank. Er ist einer der bekanntesten Finanzanalysten im DACH-Raum.


Mehr zum Thema:  

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

DWN
Politik
Politik Neue EU-Kommission: Nach heftigen Streit auf „umstrittenes“ Personal geeinigt
21.11.2024

Nach erbittertem Streit haben sich die Fraktionen im EU-Parlament auf die künftige Besetzung der Europäischen Kommission geeinigt. Warum...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit neuem Rekordhoch - geht es jetzt Richtung 100.000 US-Dollar?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag legt die wichtigste Kryptowährung direkt nach. Seit dem Sieg von Donald Trump bei...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Wirecard-Zivilprozess: Ein Musterkläger für 8500 Aktionäre - Kommt eine Entschädigung für Aktionäre?
21.11.2024

Holen sich Wirecard-Aktionäre jetzt eine Milliarden-Entschädigung von EY? Viereinhalb Jahre nach der Wirecard-Pleite geht es vor dem...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Ifo-Umfrage: Industrie bewertet Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit miserabel
21.11.2024

Seit 1994 hat die Industrie ihre Lage nicht mehr so schlecht eingeschätzt, sagt das ifo Institut. Im EU-Vergleich stehen deutsche...

DWN
Panorama
Panorama Finnland startet Ermittlungen zum Kabelschaden in der Ostsee
21.11.2024

Nachdem die schwedischen Behörden bereits tätig wurden, hat nun auch die finnische Kriminalpolizei Ermittlungen zu einem Kabelschaden in...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Nach vier Jahren: Castor-Transport erreicht Deutschland
20.11.2024

Nach vier Jahren hat erstmals wieder ein Castor-Transport mit hochradioaktiven Abfällen aus dem Ausland Deutschland durchquert. Der Zug,...