Politik

Kasachstan versinkt im Chaos landesweiter Proteste

In Kasachstan sind landesweit schwere Proteste ausgebrochen. Die genauen Hintergründe sind bislang unklar - eine Rolle sollen gestiegene Energiepreise spielen.
05.01.2022 14:00
Aktualisiert: 05.01.2022 14:11
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Gewaltsame Proteste gegen hohe Gaspreise an den Tankstellen haben Kasachstan in Zentralasien in eine tiefe Krise gestürzt. Am Mittwoch trat die Regierung nach beispiellosen Unruhen zurück. In mehreren Landesteilen der autoritär geführten Republik wurde der Ausnahmezustand verhängt. In der Wirtschaftsmetropole Almaty kam es zu heftigen Krawallen. Demonstranten stürmten trotz Appellen zu einer friedlichen Lösung die Stadtverwaltung und die Residenz des Präsidenten. Die Rede war von Toten und Hunderten Verletzten. Die Lage war zunächst unübersichtlich.

In Almaty im Südosten des Landes herrschte Chaos. Die Nachrichtenagentur Tengrinews veröffentlichte Videos, die Flammen am Sitz der Verwaltung zeigten. Schwarzer Rauch stieg auf. Es waren immer wieder Knallgeräusche zu hören. Feuer sollen auch in anderen öffentlichen Einrichtungen ausgebrochen sein. Es brannte zudem in der Residenz von Präsident Kassym-Jomart Tokajew. Demonstranten zerstörten Fenster mehrerer Gebäude und zündeten Autos an.

Am Nachmittag war es zunächst schwer, ein genaues Bild von der Lage zu bekommen, da das Internet abgeschaltet wurde - vermutlich um neue Versammlungen zu erschweren. Mehrere Fernsehsender stellten ihren Betrieb vorübergehend ein. Die Behörden sprachen am Nachmittag (Ortszeit) allein in Almaty von rund 500 Verletzten.

Tokajew sagte in einer Ansprache, es gebe auch Tote bei den Ausschreitungen. Zahlen nannte er keine. "Die Situation bedroht die Sicherheit aller Bürger von Almaty. Das kann nicht toleriert werden." Die Sicherheitskräfte würden "so hart wie möglich" vorgehen. Der Präsident kündigte zudem Reformen an. Konkret wurde er aber nicht.

Bereits in der Nacht zuvor hatte es heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gegeben. Den Behörden zufolge wurden 190 Menschen verletzt, darunter 137 Polizisten. 40 Menschen seien in Krankenhäuser gebracht worden. Auch in anderen Städten des ölreichen Landes gingen die Menschen auf die Straße. Landesweit gab es bis Mittwochmorgen dem Innenministerium zufolge 200 Festnahmen. Es wurde damit gerechnet, dass diese Zahl noch deutlich steigen wird.

Der Protest begann am Wochenende zunächst in der Stadt Schangaösen im Westen und weitete sich dann aus. Es ist die größte Protestwelle seit Jahren. Die Ex-Sowjetrepublik mit mehr als 18 Millionen Einwohnern grenzt an Russland, China und im Südwesten ans Kaspische Meer.

Auslöser der Unruhen waren deutlich gestiegene Preise für Flüssiggas an den Tankstellen. Viele Kasachen tanken Flüssiggas, weil es billiger als Benzin ist. Die Regierung hatte die hohen Tankrechnungen zunächst mit einer gestiegenen Nachfrage begründet. Seit Jahresbeginn wird der Gashandel komplett über die Energiebörse abgewickelt. Experten zufolge ist die Inflation zuletzt stark angestiegen.

Präsident Tokajew hatte zunächst mit eindringlichen Appellen versucht, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. "Reagieren Sie nicht auf die Aufrufe, offizielle Gebäude zu stürmen. Das ist ein Verbrechen", sagte der Staatschef, der seit 2019 im Amt ist. Nach seiner Wahl hatte es ebenfalls Proteste mit Hunderten Festnahmen gegeben. Für die neuerliche Gewalt machte der 68-Jährige "in- und ausländische Provokateure" verantwortlich.

Als Konsequenz aus den Unruhen ordnete Tokajew Preissenkungen an. Damit solle die "Stabilität des Landes gewährleistet werden". Viele Demonstranten gaben sich damit nicht zufrieden und forderten zudem den Rücktritt der Regierung. Unter dem Druck der Öffentlichkeit zog sich Regierungschef Askar Mamin zurück. Damit trete auch die Regierung zurück, teilte das Präsidialbüro mit. Der bisherige Vize-Regierungschef Älichan Smajylow übernahm die Amtsgeschäfte.

Mehrere Länder riefen zu einer friedlichen Lösung des Konflikts auf. Probleme müssten "im Rahmen der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Bestimmungen und durch Dialog und nicht durch Unruhen auf den Straßen" gelöst werden, teilte das Außenministerium in Moskau am Mittwoch mit. "Wir hoffen auf eine rasche Normalisierung der Lage."

Um die Kontrolle über die Lage zurückzubekommen, verhängte Tokajew zudem bis zum 19. Januar den Ausnahmezustand über einige Landesteile, darunter in der Hauptstadt Nur-Sultan, in Almaty und in der Region Mangystau im Westen Kasachstans. Damit verbunden sind etwa Ausgangssperren in den Nachtstunden und Versammlungsverbote.

Kasachstan war bis 2019 über Jahrzehnte von Nursultan Nasarbajew regiert worden, der die Amtsgeschäfte an Tokajew übergeben hatte. Auch nach seinem Abgang blieb der Langzeitherrscher einflussreich. Er war unter anderem Chef des Sicherheitsrates. Tokajew kündigte am Mittwoch an, dass er den Vorsitz übernommen habe. Befürchtet wurde, dass es in Kasachstan zu einer Revolution kommen könne. Medien berichteten, Polizisten hätten sich geweigert, Menschen festzunehmen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinas Wirtschaft verlangsamt sich weiter – Regierung prüft Kursanpassungen
20.10.2025

Das Wirtschaftswachstum in China hat sich im dritten Quartal auf 4,8 Prozent abgeschwächt, nach 5,4 Prozent und 5,2 Prozent in den beiden...

DWN
Finanzen
Finanzen Finfluencer: Wie Social Media junge Anleger in die Falle lockt
20.10.2025

Junge Anleger lassen sich von Finfluencern in sozialen Netzwerken verführen – mit fatalen Folgen. Schweden greift jetzt durch: Die...

DWN
Politik
Politik EU-Verteidigungsplan: Brüssel will Drohnenschutz für ganz Europa
20.10.2025

Brüssel plant den größten EU-Verteidigungsplan seit Jahrzehnten: Ein gesamteuropäischer Drohnenschild, gemeinsame Beschaffung und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Im Bürokratie-Dschungel: Über 300.000 neue Stellen in Unternehmen
20.10.2025

Obwohl Bürokratieabbau in Deutschland groß diskutiert wird, mussten Unternehmen in den vergangenen drei Jahren massiv Personal...

DWN
Technologie
Technologie Herbst der Entscheidungen: Wie die Medienhäuser ihre Zukunft sichern
20.10.2025

Die Medienhäuser befinden sich in einer entscheidenden Phase des Wandels. Künstliche Intelligenz, der Einfluss globaler Plattformkonzerne...

DWN
Panorama
Panorama ALDI Süd zieht Konsequenzen: Schluss mit Billigfleisch aus niedrigster Haltungsform
20.10.2025

ALDI Süd will Fleisch aus der untersten Haltungsform schrittweise aus den Regalen nehmen. Produkte aus Haltungsform 1, bei denen nur die...

DWN
Politik
Politik Deutschland stärkt Präsenz im hohen Norden – Verteidigungsminister Pistorius startet Arktis-Reise
20.10.2025

Bei seiner ersten Station in Reykjavík hat Verteidigungsminister Boris Pistorius eine engere sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit...

DWN
Finanzen
Finanzen Krankes Kind: Wie lange dürfen Eltern bei der Arbeit fehlen und wann gibt es Kinderkrankengeld?
20.10.2025

Ein krankes Kind stellt Eltern oft vor schwierige Entscheidungen: Arbeit oder Pflege? Zwischen Jobpflicht und Fürsorge klafft oft eine...