Die Bundesregierung hat in den vergangenen beiden Jahren in enormem Umfang neue Schulden aufgenommen. Hunderte Milliarden Euro wurden seit Frühling 2020 vom Bundesfinanzministerium ausgeliehen, um Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und zur Abfederung wirtschaftlicher Härten für zehntausende Firmen und Haushalt zu finanzieren.
Als Folge dieser Schuldenoffensive stiegen die expliziten Staatsschulden Deutschlands auf über 2,25 Billionen Euro (Stand Ende Juni 2021) an. Ende 2019 lagen die Verbindlichkeiten noch bei rund 1,9 Billionen Euro. Die Schuldenquote – also das Verhältnis der gesamten Verbindlichkeiten zur jährlichen Wirtschaftsleistung – lag Ende 2019 knapp unter 60 Prozent und dürfte Ende des laufenden Jahres zwischen 75 und 80 Prozent erreichen.
Dadurch wurde der im Zuge der Politik der „Schwarzen Null“ im Jahr 2009 angestoßene Schuldenabbau abrupt gestoppt und die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages wieder nicht erfüllt. Erstmals seit vielen Jahren hatte Deutschland die im Vertrag vorgesehene Schuldenobergrenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2019 erfüllt.
Doch wie genau nimmt die Bundesregierung hunderte Milliarden Euro Neuschulden auf – und bei wem? Und wie funktioniert der Anleihemarkt überhaupt?
Wie funktionieren Anleihen? Ein kurzer Überblick
Anleihen werden von Staaten, Unternehmen oder Finanzinstituten mit dem Ziel verkauft (emittiert), Geld auszuleihen. Dem Käufer der Anleihe (dem Geldgeber) wird der verliehene Betrag – der sogenannte Nennwert – am Ende der vereinbarten Laufzeit der Anleihe vollständig zurückgezahlt. In der Zwischenzeit erhält er regelmäßig (meist jährlich) feste Zinszahlungen, den sogenannten (Zins-)Kupon. Die Höhe der Zinsen richtet sich maßgeblich an der herrschenden Nachfrage nach den Papieren am Markt sowie an der Vertrauenswürdigkeit des Emittenten aus.
Jede Anleihe wird zu 100 Prozent des Nennwertes emittiert. Im Zeitraum bis zur Fälligkeit der Papiere kann dieser Kurs jedoch schwanken und dabei die Marke von 100 Prozent sowohl unter- als auch überschreiten. Für Geldgeber, welche die Anleihe bis zur Rückzahlung halten, macht dies keinen Unterschied, weil sich der Kurs wieder schrittweise dem Nennwert von 100 Prozent angleich, je näher der Termin der Rückzahlung rückt. Wird die Anleihe vom Investor jedoch weiterverkauft, können die nachfolgenden Besitzer der Papiere mit den im Zeitablauf schwankenden Kursen spekulieren und neben Zins- auch Kursgewinne erzielen.
Generell gilt: Steigt in einem Währungsraum das Zinsniveau – etwa, weil die Zentralbank die Leitzinsen anhebt – sinken die Kurse von Anleihen tendenziell. Sinken die Zinsen hingegen, steigen die Kurse, weil neue Anleihen angesichts des gesunkenen Zinsniveaus von Emittenten höchstwahrscheinlich zu niedrigeren Zinssätzen verkauft werden können, was die Attraktivität der Papiere für Investoren mindert.
Eine Finanzagentur kümmert sich um den Nachschub an frischem Geld
Die Aktivitäten der Bundesrepublik am Anleihe- und Kreditmarkt werden seit 2001 zentral von der „Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH“ mit Sitz in Frankfurt am Main gesteuert. Etwa 300 Mitarbeiter sorgen dafür, dass Deutschland möglichst günstig Anleihen emittieren oder Kredite aufnehmen kann. Die Finanzagentur ist in der Rechtsform einer GmbH organisiert, befindet sich aber im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland und wird vom Finanzministerium kontrolliert.
Etwa drei Dutzend deutsche und internationale Banken bieten an von der Finanzagentur veranstalteten Auktionen um den Zuschlag, der Bundesrepublik Geld leihen zu dürfen indem sie ihre Konditionen für die vom deutschen Staat beantragten Neuschulden übermitteln. Banken, die einen Zuschlag erhalten, buchen die Anleihenpakete entweder als Aktiva in ihrer Bilanz ein, nutzen sie als Pfand für Interbankenkredite oder handeln mit den Papieren, indem sie sie an andere Banken, Fonds oder Versicherungen weiterverkaufen.
Welche Banken von der Finanzagentur autorisiert wurden, bei den Auktionen mitzubieten, ist nicht genau bekannt. Glaubt man Presseberichten, waren in der Vergangenheit die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Schweizer UBS, die Barclays Bank und die US-Großbank JP Morgan regelmäßige Käufer deutscher Papiere.
Interessant ist, was das Magazin "Zaster" zu den Anleiheemissionen berichtet. Demnach dürfen die Banken die deutschen Anleihen nicht mit eigenem Geld kaufen, sondern müssen sie mit Zentralbankgeld erwerben. Dieses erhalten sie von der Bundesbank, welche als Sicherheiten für ihre Ausleihungen Wertpapiere der Finanzinstitute bei sich hinterlegt. Bei den von der Bundesregierung aufgenommenen Neuschulden handelt es sich demnach um Liquidität, die von der staatseigenen Bundesbank aus dem Nichts geschöpft wird.
„Man könnte auch sagen: Bei den Wertpapieren, die von den Banken als Sicherheit hinterlegt werden müssen, darf es sich um die verbrieften Staatsschulden selbst handeln. Schulden verwandeln sich so wie durch Zauberhand in Guthaben, Werte entstehen aus dem Nichts. Das funktioniert natürlich nur, solange genügend Menschen dem Staat vertrauen. Falls das eines Tages nicht mehr der Fall sein sollte, bricht das System wie ein Kartenhaus zusammen. Zudem entsteht dadurch eine unheilvolle Abhängigkeit des Staats von Banken“, kommentiert das Magazin.
Bund profitiert von negativen Zinsen
Weil die Zinsen für Bundesanleihen seit einigen Jahren im negativen Bereich notieren, nimmt das Finanzministerium mit den Anleiheemissionen unter dem Strich Geld ein.
Bei der Emission von Bundeswertpapieren zur Finanzierung des Haushalts einschließlich Sondervermögen wurden „Zahlungen in Höhe von rund 5,855 Milliarden Euro vereinnahmt.“ Das geht aus einem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Antwortschreiben von Finanzstaatssekretär Florian Toncar (FDP) auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Christian Görke von der Linkspartei hervor. „Deutschland hat viele Probleme, aber die Staatsfinanzierung ist keines davon“, sagte Görke dazu. „Auch in diesem Jahr hat der Bund Milliarden verdient beim Schuldenmachen.“
Wegen der hohen Corona-Kosten hat sich der Bund im zu Ende gehenden Jahr die Rekordsumme von rund 483 Milliarden Euro am Finanzmarkt geliehen. Das ist noch einmal rund ein Fünftel mehr als im alten Rekordjahr 2020. Die Durchschnittsrendite der emittierten Bundeswertpapiere habe bei minus 0,56 Prozent gelegen, erklärte Toncar. Dennoch waren die Auktionen 1,7-fach überzeichnet.
Für das kommende Jahr sehen die Planungen der Finanzagentur Emissionen von 410 Milliarden Euro vor. Der Bund steht bei Investoren hoch im Kurs, da seine Bonität von allen großen Ratingagenturen mit der Bestnote „AAA“ bewertet wird und die Rückzahlung damit als sehr sicher gilt. Zudem gibt es einen riesigen Markt für den Handel mit diesen Papieren, weshalb Bundeswertpapiere für Pensionsfonds, Vermögensverwalter und andere Anleger nahezu Bargeld-Status genießen. Zudem tritt die Europäische Zentralbank (EZB) in großem Stil als Käufer von Bundeswertpapieren auf. Dadurch steigt die Nachfrage, was wiederum die Renditen drückt.
Die Bedingungen auf den Kapitalmärkten sind für Deutschland zwar günstig – trotzdem müssen die aufgenommenen Gelder bei Fälligkeit irgendwann zurückgezahlt werden – auch, wenn es ein paar Milliarden weniger sind, als ausgeliehen wurden. Bei langlaufenden Papieren, etwa Bundesanleihen mit zehn oder dreißig Jahren Laufzeit, besteht darüber hinaus ein Zinsrisiko. Denn sollte die Europäische Zentralbank die ultralockere Geldpolitik beenden, etwa, indem die Kaufprogramme für Staatsanleihen eingestellt und die Leitzinsen angehoben werden, sinken die Kurse der Papiere. Im Fall einer sich verfestigenden hohen Inflation könnte dieser Fall schneller eintreten, als manch einem bewusst ist.