Finanzen

Zehnjährige Bundesrendite könnte erstmals seit 2019 wieder über null steigen

Die viel beachtete Rendite für zehnjährige Bundesanleihen hat zuletzt stark zugelegt. Erstmals seit fast drei Jahren könnte sie nun über die Marke von 0 Prozent steigen.
11.01.2022 09:00
Lesezeit: 3 min

Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen wurde am Montagmorgen mit minus 0,03 Prozent gehandelt. Damit steht sie kurz davor, zum ersten Mal seit fast drei Jahren über die Nulllinie zu klettern. In der vergangenen Woche war die viel beachtete Rendite bereits auf den höchsten Stand seit Mai 2019 gestiegen. Mitte Dezember lag der Wert noch bei minus 0,4 Prozent.

Der weltweite rasche Anstieg der Renditen wird von den USA angeführt. Die Anleger erwarten derzeit, dass die großen Zentralbanken ihre lockere Geldpolitik wieder zurücknehmen werden, die sie in Zeiten von Corona noch verstärkt haben. Denn wegen der zuletzt hohen Inflationsraten sehen sich die Zentralbanken gezwungen, ihre Anleihekäufe zurückzufahren und die Zinssätze zu erhöhen.

Dass die Zinsen für Bundesanleihen schon seit fast drei Jahren im negativen Bereich verharren, ist eine Folge der Wertpapierkäufe durch die Europäische Zentralbank. Nach Ansicht von Mike Riddell, Portfoliomanager bei Allianz Global Investors dürfte eine Reduzierung der Käufe zu einem Anstieg führen, zitiert ihn die Financial Times.

Auch die Rendite 10-jähriger italienischer Anleihen ist in der vergangenen Woche auf ein 18-Monats-Hoch von 1,32 Prozent gestiegen, nachdem die Inflation in der Eurozone im Dezember auf 5 Prozent angestiegen war. Dies ist die höchste Inflationsrate seit Einführung der Gemeinschaftswährung vor zwei Jahrzehnten.

Die Rendite 10-jähriger deutscher Staatsanleihen war 2016 erstmals unter die Nulllinie gefallen, nachdem die EZB im Rahmen der griechischen Schuldenkrise ihren Leitzins unter 0 Prozent abgesenkt hatte. Die einst undenkbare Verschiebung der Renditen in den negativen Bereich bedeutete, dass die Anleger tatsächlich bereit waren, Deutschland dafür zu bezahlen, dass man dem Land für zehn Jahre Geld leihen durfte.

In der Folge zogen die Renditen wieder etwas an. Doch im Jahr 2019 drückten erneute Wertpapierkäufe der EZB, die mit einer schwachen Konjunktur gerechtfertigt wurden, die zehnjährige Bundesrendite erneut unter die Marke von 0 Prozent, wo sie seitdem verharrt. Im Rahmen der Corona-Krise verstärkte die Notenbank ihre Wertpapierkäufe, was die negativen Renditen verfestigte.

Zwar hat die EZB auf ihrer Dezembersitzung angekündigt, dass sie die Ankäufe von Vermögenswerten auch nach dem Auslaufen ihres Anleihekaufprogramms im März fortsetzen wird. Doch will sie dies in einem geringeren Umfang tun, als Anleger erwartet hatten. Deshalb und weil die USA zu einer strafferen Politik tendieren, ist die Bundesrendite zuletzt wieder deutlich gestiegen.

Deutschland hat zuletzt zwei Quartale in Folge ein negatives Wirtschaftswachstum verzeichnet. Die meisten Ökonomen erwarten aber, dass dies den Aufschwung in Europas größter Volkswirtschaft nur verzögert und dass Deutschland 2022 ein starkes Wachstum erzielen wird, das durch hohe Staatsausgaben unterstützt wird, bevor die strengeren Haushaltsregeln im nächsten Jahr wieder in Kraft treten.

Zwar hat Deutschland als Reaktion auf die Corona-Krise seine Schuldenbremse ausgesetzt. Doch die historische Abneigung des Landes gegen eine zu lockere Finanzpolitik hat dafür gesorgt, dass die Bundesanleihen in den letzten Jahren knapp waren, während zugleich die EZB einen immer größeren Anteil des Marktes für sich beansprucht hat.

Laut Sven Jari Stehn, Chefvolkswirt für Europa bei Goldman Sachs, werden die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen bis zum Jahresende 0,3 Prozent erreichen. "Der gemeinsame Anstieg der europäischen Anleiherenditen und Aktienkurse seit der globalen geldpolitischen Wende Mitte Dezember deutet darauf hin, dass der Anstieg der Bundrenditen in erster Linie auf die verbesserte Wachstumsstimmung zurückzuführen ist."

Die Einrichtung des mit 800 Milliarden Euro ausgestatteten EU-Rettungsfonds, für den Brüssel eigene Schulden aufnimmt, könnte für Europa einen neuen Referenzwert schaffen, der mit den Bundesanleihen konkurriert. Zudem hat Bundeskanzler Olaf Scholz eine größere Offenheit für die Aufnahme von Krediten signalisiert als seine Vorgängerin Angela Merkel.

Diese veränderten Umstände könnten dazu, die Verknappung der deutschen Anleihen zu mildern. "Wir hatten das EU-Konjunkturpaket und dann einen Regierungswechsel in Deutschland", zitiert die Financial Times Ludovic Colin, ein Anleiheportfoliomanager bei Vontobel Asset Management. Die Deutschen seien nicht über Nacht zu Italien geworden, "aber sie sind vielleicht ein bisschen italienischer geworden".

Doch andere Analysten sind skeptisch, was eine plötzliche Trendwende bei den Bundesrenditen angeht. Laut Camille de Courcel, Zinsanalystin bei BNP Paribas, wird die Bundesregierung dieses Jahr Bundesanleihen im Umfang von netto 54 Milliarden Euro ausgeben, während aber die EZB zugleich 71 Milliarden Euro mehr Bundesanleihen aufkaufen wird.

Zwar kauft die EZB damit 88 Milliarden Euro weniger Bundesanleihen, doch die Nachfrage übersteigt die Ausgabe neuer Papiere dennoch um 17 Milliarden Euro, was die Verknappung aufrecht erhalten wird. "Wir gehen davon aus, dass sich [der Zinsanstieg] bis zum Jahresende fortsetzen wird, wenn auch in begrenztem Umfang", sagt Camille de Courcel.

Die Märkte preisen derzeit eine Zinserhöhung durch die EZB in diesem Jahr ein. Doch nach Ansicht von Richard McGuire, Stratege bei der Rabobank, wird die Bundesrendite nur schwer aus dem negativen Bereich herauskommen. "Wir haben Kunden, die uns sagen, dass es an der Zeit ist zu kaufen, wenn sie den Nullpunkt erreicht. Ein positiver risikofreier Zinssatz in der Eurozone wäre eine große Veränderung."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Wie schützt man seine Krypto-Wallet? CLS Mining ermöglicht Nutzern eine stabile tägliche Rendite von 6.300 €.

Der Kryptowährungsmarkt erholte sich heute umfassend, die Stimmung verbesserte sich deutlich. Meme-Coins führten den Markt erneut an....

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen nach Nvidia-Zahlen im Aufwind: Wie Anleger jetzt von KI-Investitionen profitieren
20.11.2025

Die US-Börsen zeigen sich am Donnerstag zum Start mit Zuschlägen. Nachdem die Nvidia-Quartalszahlen deutlich besser als erwartet...

DWN
Immobilien
Immobilien Baukosten: Bund will Bauen günstiger und schneller machen
20.11.2025

Weniger Vorschriften, mehr Wohnraum: Der Gebäudetyp E soll das Bauen nicht nur günstiger, sondern auch flexibler für Bauherren machen.

DWN
Unternehmen
Unternehmen MAN Truck & Bus: LKW-Hersteller baut 2.300 Stellen in Deutschland ab
20.11.2025

Der Lastwagen- und Bushersteller MAN will in Deutschland rund 2.300 Stellen abbauen. Belastend seien hohe Strom- und Arbeitskosten und der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Anpassung an die Klimakrise: EU erhöht Druck beim Ausstieg aus Öl und Gas
20.11.2025

Deutschland hatte sich schon im Vorfeld zusammen mit anderen Staaten in Belém für einen Fahrplan zur Abkehr von Öl, Gas und Kohle stark...

DWN
Politik
Politik Sie gehört zu den mächtigsten Frauen der EU: Jetzt geht sie auf Konfrontationskurs mit Trump
20.11.2025

Die Spannungen zwischen der EU und den USA erreichen einen neuen Höhepunkt. Donald Trump attackiert europäische Digitalgesetze, droht mit...

DWN
Technologie
Technologie Unser neues Magazin ist da: Deutschland digital – warum die Zukunft nicht warten kann
20.11.2025

Deutschland steht an der Schwelle zu einer digitalen Zeitenwende – doch wir zögern. Zwischen überbordender Bürokratie,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen EU untersucht Google wegen möglicher „Herabstufung von Nachrichteninhalten“
20.11.2025

Brüssel nimmt Googles Anti-Spam-System ins Visier. Die EU vermutet, dass das Google-Ranking Nachrichtenwebseiten systematisch herabstuft...

DWN
Finanzen
Finanzen Ukraine-Hilfen: EU-Kommission rechnet mit möglichen Kriegsende bis Ende 2026
20.11.2025

Die EU plant weitere 135,7 Milliarden Euro Ukraine-Hilfe. Dabei basieren die Vorschläge der EU-Kommission zur finanziellen Unterstützung...