Finanzen

Märkte glauben Lagarde nicht, erwarten mindestens 2 Zinserhöhungen noch dieses Jahr

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat wiederholt versichert, dass die Zinsen dieses Jahr unverändert auf dem aktuellen Rekordtief bleiben. Doch die Märte widersprechen dem.
03.02.2022 08:00
Lesezeit: 3 min

Anleger wetten darauf, dass die anhaltend hohe Inflation die Europäische Zentralbank letztlich dazu zwingen wird, die Leitzinsen in diesem Jahr mindestens zweimal anzuheben. Damit stellen sie die Ankündigung der Notenbank in Frage, die Zinssätze bis zum nächsten Jahr oder sogar noch länger auf dem aktuellen historischen Tiefstand einzufrieren.

Seit September 2019 liegt der Einlagensatz bei minus 0,5 Prozent. Das heißt, dass Banken auf Guthaben bei der EZB 0,5 Prozent Strafzinsen zahlen müssen. Doch diese Woche preisen die Märkte nun eine Anhebung des Einlagensatzes auf minus 0,25 Prozent bis Dezember ein. Händler rechnen mit mindestens zwei Zinserhöhungen um 0,1 Prozentpunkte, wie der Handel an den Märkten für kurzfristige Finanzierungen zeigt.

Vor dem Treffen der US-Notenbank in der vergangenen Woche hatten die Märkte noch einen viel geringeren Anstieg auf minus 0,4 Prozent bis zum Jahresende eingepreist. Doch das Fed-Treffen hat Spekulationen auslöste, dass die EZB noch in diesem Jahr gezwungen sein wird, der Fed zu folgen und die Kreditkosten zu erhöhen.

An den Märkten wächst die Überzeugung, dass die Zinsen in der Eurozone zum ersten Mal seit 2011 steigen werden, obwohl EZB-Präsidentin Christine Lagarde wiederholt Forderungen nach einer früheren Straffung zurückgewiesen hat. Die Französin sagte letzten Monat, die Zentralbank habe "allen Grund, nicht so schnell und rücksichtslos" zu handeln wie die Fed.

"Die EZB hat an ihrem Mantra festgehalten, in diesem Jahr keine Zinserhöhungen vorzunehmen, aber der Markt stellt diese Ansicht eindeutig in Frage", zitiert die Financial Times Richard McGuire, Zinsstratege bei der Rabobank. "Die Anleger glauben, dass die EZB durch diese Verschiebung der Inflation verängstigt werden könnte".

Die Inflation in der Eurozone übertrifft seit mehreren Monaten die Prognosen der EZB. Im Dezember erreichte sie mit 5 Prozent ein Rekordhoch. Zwar hat sich die Inflation im Januar auf 4,4 Prozent etwas verringert. Doch für Deutschland, Spanien und Frankreich liegen die Inflationsraten auch im Januar weiter über den Prognosen der EZB.

Nadia Gharbi, leitende Ökonomin bei Pictet Wealth Management, sagte voraus, dass die Löhne in diesem Jahr schneller wachsen werden, nachdem die Arbeitslosenquote in der EU im Dezember auf ein Allzeittief von 7 Prozent fiel und ein Viertel der EU-Unternehmen einen Arbeitskräftemangel meldete. Dies ist ein neuer Höchststand. Der Arbeitsmarkt kann also historischen Niedrigzinsen kaum rechtfertigen.

Die Erwartung einer Zinserhöhung hatte in dieser Woche einen Ausverkauf bei den Anleihen der Eurozone ausgelöst. Die Rendite der maßgeblichen 10-jährigen deutschen Bundesanleihe stieg erstmals seit 2019 wieder über null. Die 2-jährigen Bundesrenditen, die sehr empfindlich auf Zinserwartungen reagieren, sind seit letzter Woche stark gestiegen und erreichten am Dienstag mit minus 0,48 Prozent ein Sechsjahreshoch, womit sie zum ersten Mal seit 2015 sogar über dem Einlagensatz der EZB lagen.

Spyros Andreopoulos, ein leitender Europa-Ökonom bei BNP Paribas, der früher für die EZB arbeitete, sieht bei den Notenbankern die zunehmende Sorge, dass die Inflation noch länger hoch bleiben könnte. "Sie ändern langsam ihre Meinung, und das aus gutem Grund, denn wir sehen, dass der Preisdruck auf breiter Basis zunimmt", zitiert ihn die Financial Times.

So könnte nach Ansicht von Andreopoulos ein Einmarsch Russlands in die Ukraine zu einem weiteren Anstieg der Energiepreise führen und die Inflation in der Eurozone auf über 6 Prozent treiben. Und ein länger anhaltender Preisdruck könnte die EZB nach Ansicht einiger Anleger dazu veranlassen, die Zinsen früher anzuheben, als sie es derzeit erwartet.

"Wenn die Inflation hoch bleibt, halte ich es nicht für unvernünftig zu erwarten, dass das Anleihekaufprogramm der Zentralbank vor Ende des Jahres beendet wird, und dann könnte sie möglicherweise im Dezember eine Zinserhöhung vornehmen", sagte etwa Gareth Colesmith, Leiter des Bereichs Global Rates bei Insight Investment.

Am Donnerstag werden die Mitglieder des EZB-Rats zur Erörterung ihrer Geldpolitik zusammenkommen. Es wird erwartet, dass Lagarde im Anschluss dazu befragt wird, ob sie immer noch glaubt, dass die Inflation in der Eurozone im vierten Quartal unter das 2-Prozent-Ziel der EZB fallen wird und ob es noch immer "sehr unwahrscheinlich" ist, dass die Zentralbank die Zinsen in diesem Jahr anheben wird.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

DWN
Immobilien
Immobilien EH-55-Förderung kehrt zurück: Was Bauherren ab Dezember beachten müssen
27.11.2025

Ab Mitte Dezember fließt wieder Geld für Neubauten im EH-55-Standard. Die KfW öffnet ein bekanntes Förderfenster – doch nur unter...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Neue EU-Regeln: Mehr Bargeld im Supermarkt und besserer Schutz vor Online-Betrug
27.11.2025

Die Europäische Union stellt Zahlungsdienste auf den Prüfstand: Neue EU-Regeln sollen Kunden besser schützen und den Alltag erleichtern....

DWN
Finanzen
Finanzen Wacker Chemie-Aktie steigt: Anlager honorieren Stellenabbau und Sparanstrengungen des Spezialchemiekonzerns
27.11.2025

Wacker Chemie zieht angesichts der anhaltenden Branchenflaute die Reißleine und legt ein Sparpaket auf. Mehr als 1.500 Jobs stehen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Verdi und DGB warnen vor AfD-Kurs der Familienunternehmer
27.11.2025

Der Streit um den AfD-Kurs spitzt sich zu. Nun warnen Verdi und der DGB vor einem Rechtsdrift. Unternehmer verweisen auf die historische...

DWN
Finanzen
Finanzen Puma-Aktie hebt ab: Gerüchte treiben Aktienkurs des Sportartikelherstellers nach oben
27.11.2025

Neue Bloomberg-Gerüchte haben die Puma-Aktie am Donnerstag kräftig bewegt, während der Konzern tief in der Krise steckt. Mehrere...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft GfK-Konsumklima: Droht ein schwacher Weihnachtskonsum?
27.11.2025

Viele Händler blicken vor den Feiertagen skeptisch nach vorn. Aktuelle Umfragen zur Kauflaune liefern ein zwiespältiges Bild. Zwischen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bankenriesen in den USA gefährdet: Cyberangriff auf SitusAMC legt Schwachstellen offen
27.11.2025

Ein gezielter Cyberangriff auf einen zentralen US-Dienstleister zeigt, wie verwundbar selbst die stabilsten Finanzstrukturen sein können....

DWN
Finanzen
Finanzen Droneshield-Aktie profitiert davon aktuell nicht: Europas Armeen setzen auf neue Drohnenabwehr
27.11.2025

Die wachsende Nachfrage nach Abwehrsystemen gegen unbemannte Fluggeräte verschiebt Europas sicherheitspolitische Prioritäten. Dennoch...