Eine Gruppe von US-Medizinern beschuldigt das Gehirnchip-Startup „Neuralink“ des Tech-Milliardärs Elon Musk der extremen Tierquälerei. Während jahrelanger grausamer Experimente sei Versuchs-Affen „massives Leid“ zugefügt worden. Die Organisation „Ärztekomitee für verantwortungsvolle Medizin“ (PCRM) wirft Neuralink und der kalifornischen Universität UC Davis neun Verstöße gegen das "Bundesgesetz über das Wohlergehen von Tieren" (Animal Welfare Act) vor. Die Klage wurde beim US-Landwirtschaftsministerium (USDA) eingereicht.
„Viele, wenn nicht sogar alle Affen, litten extrem unter unzureichender Pflege und den hochinvasiven experimentellen Kopfimplantaten während der Experimente, die mit dem Ziel durchgeführt wurden, das zu entwickeln, was Neuralink und Elon Musk öffentlich als Gehirn-Maschine-Schnittstelle bezeichnet haben“, schrieb die Gruppe in ihrer Beschwerde an die USDA.
Ein Weibchen habe laut Komitee eine Hirnblutung erlitten und sei daraufhin eingeschläfert worden. In einem Fall wurde ein Affe gefunden, dem angeblich einige Finger und Zehen fehlten, „möglicherweise aufgrund von Selbstverstümmelung oder einem anderen nicht näher bezeichneten Trauma“. Der Affe wurde dann später während eines „tödlichen Eingriffs“ getötet, behauptet die Gruppe in ihrer Beschwerde, die der New York Post vorliegt. Andere Versuchs-Affen reagierten wohl mit bedenklichen Symptomen auf die Implantations-Prozedur. Laut PCRM kam es unter anderem zu Erbrechen, Würgen, Zusammenbrüchen wegen Erschöpfung und schwersten Entzündungen. An den Experimenten waren insgesamt 23 Affen beteiligt. Mindestens 15 von ihnen starben oder wurden eingeschläfert, so die Gruppe, die sich in ihrem Bericht auf gerichtlich erstrittene Unterlagen von Neuralink stützt.
Die Vorwürfe kommen für Neuralink zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn das Unternehmen plant schon Versuche an Menschen und sucht hierfür einen Leiter für klinische Studien, wie aus einer offiziellen Stellenausschreibung hervorgeht. Bisher wurde das Implantat nur an Schweinen und Affen getestet. Möglicherweise sollten die klinischen Studien schon dieses Jahr beginnen. Das geht zumindest aus einem Tweet von Elon Musk vom 2. Februar 2021 hervor.
Mensch-Maschine-Verbindung zur Heilung neuronaler Krankheiten
2016 gründete der Tesla-Chef sein Implantat-Startup, welches die Möglichkeiten einer Schnittstelle zwischen dem menschlichen Gehirn und einem Computer erforscht. Neuralink will Neuronen im Gehirn per drahtloser Funkverbindung an Computer anschließen. Dafür wird ein von außen nicht sichtbarer Chip („Neuralink“ genannt) als Informations-Kanal in den Schädel implantiert, wobei die feinen Leitungen des Mini-Computers mit Hirn-Gewebe verbunden werden.
Musk behauptet, dass implantierte Gehirnchips Menschen eines Tages hyperintelligent machen und gelähmte Menschen wieder laufen lassen werden. Kurzfristig fokussiert man sich auf neurologische Erkrankungen. Der erste Produkt-Prototyp mit dem Namen „N1“ soll es Querschnittsgelähmten, die weder Beine noch Arme bewegen können, ermöglichen, Computer oder Smartphones zu bedienen. Langfristig strebt Neuralink eine umfassende Gehirn-Computer-Schnittstelle an, die menschliche und Künstliche Intelligenz vereint. Erst im Sommer konnte man frisches Geld (insgesamt rund 200 Millionen Dollar) von Google und verschiedenen Startup-Investoren einsammeln.
Gutes Marketing, zweifelhafter Fortschritt
Neuralinks Schnittstellen sollen laut Experten auf dem neuesten Stand der Technik sein, teilweise ist von „cutting-edge“-Technologien die Rede (solche nehmen eine Vorreiterrolle in ihrem jeweiligen Feld ein). Führende Neurowissenschaftler zeigten sich in der Vergangenheit durchaus von den Fortschritten des Medizin-Unternehmens begeistert und bezeichneten die Technologie als „bahnbrechend“.
Aber: „Ich denke, dass Neuralink sehr gut im Marketing ist und sehr selektive Videos erstellt. Aber die Realität ist viel düsterer, wenn man sich genauer anschaut, was diese Implantate für die Tiere bedeuten, denen sie ins Gehirn eingesetzt werden“, so Jeremy Beckham, Tierschützer des Ärzteausschusses PCRM. Das ist nicht ganz falsch. Im Frühjahr 2021 sorgte ein Video auf dem offiziellen Youtube-Kanal von Neuralink für großes Aufsehen. Zu sehen ist ein mit dem Neuralink-Chip implantierter Affe, der auf einem Monitor scheinbar nur per Gedankensteuerung ein Videospiel steuert. Ein Jahr vorher wurde eine Video zum Thema Tierwohl veröffentlicht, in dem ein Bild glücklicher umsorgter Versuchstiere vermittelt wird.
Zugleich gibt es Skepsis unter unabhängigen Forschern, welche die bisherigen Ergebnisse von Musks Startup für überbewertet halten. Unter den Kritikern sind auch solche, die Musk schlichtweg völlig unrealistische Zeitpläne und Größenwahn vorwerfen. Neuralink ist zudem nicht der einzige Bewerber in diesem Forschungsfeld. Die Firma „Synchron“ verfolgt ähnliche Ziele und konnte jüngst sogar den Neuralink-Mitgründer und Ex-Präsidenten Max Hodak vom Konkurrenten abwerben und als Investor gewinnen. Das ist in gewisser Weise symptomatisch, weil heute nur wenige Wissenschaftler des Gründungs-Teams immer noch bei Neuralink arbeiten.
Im Gegensatz zu Neuralink will Synchron die Schnittstelle nicht ins Gehirn, sondern über die Blutgefäße implantieren, was Hodak „eine wirklich sehr elegante Idee“ nennt. Synchron hat das bereits an einigen menschlichen Patienten erprobt und von der US-Medizinbehörde FDA eine Genehmigung für klinische Studien in den Vereinigten Staaten erhalten. Neuralink dagegen hat noch keine Zulassung durch die FDA bekommen.
Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Neuralink angesichts der brisanten Vorwürfe überhaupt so weitermachen wird wie geplant, oder ob Menschenversuche erst einmal auf Eis gelegt werden. Aktuell hat sich das Unternehmen noch nicht offiziell zu den Vorwürfen geäußert. Firmengründer Elon Musk dementierte die Anschuldigungen. Auf Anfrage der "Daily Beast" antwortete er folgendermaßen: „Neuralink unternimmt große Anstrengungen, um die Tiere zu versorgen.“ Eine enge Zusammenarbeit mit der Universität bestritt Musk: „Wir führen keine Forschungsarbeiten an der UC Davis durch - das ist eine fast ausschließlich staatlich finanzierte Einrichtung. Sie stellen uns eine kleine Anzahl von Makakenaffen zur Verfügung, und wir kümmern uns sehr gut um sie.“
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