Technologie

China: Roboter als Staatsanwälte sollen Bürger selbstständig anklagen können

Chinesische Wissenschaftler haben eine Künstliche Intelligenz zum Einsatz in der Justiz entwickelt, die als Staatsanwalts agieren und selbstständig Bürger anklagen kann.
21.03.2022 10:03
Aktualisiert: 21.03.2022 10:03
Lesezeit: 2 min

Forscher in China haben eine Maschine entwickelt, die Menschen mithilfe von Künstlicher Intelligenz eines Verbrechens anklagen kann. Auf der Grundlage einer verbalen Beschreibung des Falles kann die Maschine eine Anklage mit einer Genauigkeit von mehr als 97 Prozent erheben. Sie wurde bei der Staatsanwaltschaft Shanghai Pudong entwickelt und getestet.

Die Technologie könnte die tägliche Arbeitsbelastung der Staatsanwälte verringern, sodass diese sich auf schwierigere Aufgaben konzentrieren können, zitiert SCMP Professor Shi Yong, Direktor des Big-Data- und Wissensmanagement-Labors der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und leitender Wissenschaftler des Projekts.

"Das System kann Staatsanwälte bei der Entscheidungsfindung bis zu einem gewissen Grad ersetzen", so Shi und seine Kollegen in einem Artikel, der in diesem Monat in der Fachzeitschrift Management Review veröffentlicht wurde.

Die Anwendung von KI-Technologie in der Strafverfolgung hat weltweit zugenommen. So setzt die Staatsanwaltschaft in Deutschland KI-Technologie zur Bilderkennung und zur digitalen Forensik ein, um die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Fallbearbeitung zu erhöhen. Doch Chinas Staatsanwälte waren Vorreiter, als sie 2016 mit dem Einsatz von KI begannen.

Viele chinesische Staatsanwälte verwenden bereits ein KI-Tool namens System 206. Das Tool kann die Stärke der Beweise, die Bedingungen für eine Verhaftung und die Gefährlichkeit eines Verdächtigen für die Öffentlichkeit bewerten. Alle bestehenden KI-Tools spielen aber nur eine begrenzte Rolle, denn "sie beteiligen sich nicht am Entscheidungsprozess für die Erhebung von Anklagen und die Festlegung von Strafen", so Shi.

Der nun von Shis Team entwickelte KI-Staatsanwalt könnte auf einem Desktop-Computer laufen. Er würde für jeden Verdächtigen eine Anklage erheben, die auf 1.000 "Merkmalen" basiert, die aus der von Menschen erstellten Fallbeschreibung stammen und von denen die meisten zu klein oder zu abstrakt sind, um für Menschen Sinn zu ergeben. Das bewährte System 206 würde dann die Beweise bewerten.

Die neue KI-Maschine wurde anhand von mehr als 17.000 Fällen aus den Jahren 2015 bis 2020 "trainiert". Bislang kann sie die acht häufigsten in Shanghai auftretenden Straftaten erkennen und selbstständig zur Anzeige bringen. Dabei handelt es sich um:

  1. Kreditkartenbetrug,
  2. Betreiben eines Glücksspiels,
  3. gefährliches Fahren,
  4. vorsätzliche Körperverletzung,
  5. Behinderung von Amtshandlungen,
  6. Diebstahl,
  7. Betrug und
  8. Anzetteln von Streitigkeiten und Provokation von Unruhen

Professor Shi und seine Kollegen sagen, dass der KI-Staatsanwalt mithilfe von Upgrades bald noch leistungsfähiger sein wird. Er werde dann in der Lage sein, auch weniger häufige Straftaten zu erkennen und gegen einen Verdächtigen gleich mehrere Anklagen zu erheben.

Ein Staatsanwalt in der südlichen Stadt Guangzhou, der anonym bleiben möchte, hat Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von KI bei der Erhebung von Anklagen. "Die Genauigkeit von 97 Prozent mag aus technologischer Sicht hoch sein, aber es wird immer die Möglichkeit eines Fehlers geben. Wer übernimmt die Verantwortung, wenn so etwas passiert? Der Staatsanwalt, die Maschine oder der Entwickler des Algorithmus?"

Die direkte Einbeziehung von Künstlicher Intelligenz in die juristische Entscheidungsfindung könnte auch die Autonomie eines menschlichen Staatsanwalts beeinträchtigen. Die meisten Staatsanwälte wollten nicht, dass Computerwissenschaftler sich in ein juristisches Urteil "einmischen", sagte der Staatsanwalt aus Guangzhou.

Nichtsdestotrotz setzt Chinas Regierung Künstliche Intelligenz in fast allen Bereichen aggressiv ein, um die Effizienz zu verbessern, die Korruption zu verringern und die Kontrolle zu verstärken. Einige chinesische Städte haben Maschinen eingesetzt, um die sozialen Kreise und Aktivitäten von Regierungsangestellten zu überwachen und Korruption aufzudecken, so die beteiligten Forscher.

Viele chinesische Gerichte setzen Künstliche Intelligenz ein, um Richter bei der Bearbeitung von Fallakten und bei Entscheidungen zu unterstützen, etwa bei der Entscheidung, ob eine Berufung angenommen wird. Auch die meisten chinesischen Gefängnisse haben KI-Technologie eingeführt, um den physischen und psychischen Zustand der Häftlinge zu überwachen und so die Gewalt zu verringern.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Kryptowährungsmarkt im Fokus: ETFs, XRP und Moon Hash – Weihnachtsbonusverträge beflügeln Cloud-Computing-Trends

Zum Jahresende erlebt der Kryptowährungsmarkt einen neuen Aufschwung. Kryptowährungs-ETFs und XRP ziehen zunehmend Gelder traditioneller...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Natrium-Batterien: Wie China die nächste Akkurevolution vorantreibt
20.12.2025

Chinesische Hersteller treiben die Entwicklung von Natrium-Batterien rasant voran und bedrohen damit das bisherige Lithium-Dominanzmodell...

DWN
Politik
Politik Härtefallfonds für bedürftige Ostrentner schliesst: 425 Millionen Euro ungenutzt
20.12.2025

Aus dem Härtefallfonds für bedürftige Rentner aus der ehemaligen DDR und Osteuropa fließen zu Jahresende mehrere Hundert Millionen Euro...

DWN
Panorama
Panorama Grüne Stadt der Zukunft: Wie realistisch CO2-neutrale Metropolen bis 2040 sind
20.12.2025

Städte sollen Europas Klima-Rettungsanker werden – doch zwischen Vision und Wirklichkeit klafft eine Lücke. EU-Ziele, Modellstädte und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chefin der Wirtschaftsvereinigung Stahl warnt: Die Deindustrialisierung ist real
20.12.2025

Kerstin Maria Rippel ist Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Im DWN-Interview sagt sie, dass Berlin nach dem...

DWN
Immobilien
Immobilien Eigenkapitalbildung: Immobilienkauf laut IfW-Studie für Millennials schwerer
20.12.2025

Eigenkapitalbildung wird für viele Kaufwillige zur größten Hürde: Eine neue Studie vergleicht, wie stark sich die Anforderungen für...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU-CO2-Zoll wird ausgeweitet: Kommt die nächste Stufe für Waschmaschinen und andere Haushaltsgeräte?
20.12.2025

Der EU-CO2-Zoll steht vor der nächsten Ausbaustufe: Brüssel will ihn auf Haushaltsgeräte und weitere Industrieprodukte ausdehnen. Ab...

DWN
Politik
Politik Neues Ranking: Wer jetzt über Europas Zukunft entscheidet
20.12.2025

Donald Trumps Aufstieg an die Spitze des aktuellen Politico-Rankings zeigt, wie stark externe Kräfte Europas Politik inzwischen bestimmen....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Rallye mehrerer Technologieunternehmen treibt US-Aktien an
19.12.2025

Die US-Aktien unterbrachen ihre jüngste Verlustserie und stiegen am Freitag, da Anzeichen einer abkühlenden Inflation und nachlassende...