Deutschland

Lauterbach außer Rand und Band: Beobachter sprechen von „Chaos“ in deutscher Corona-Politik

Lauterbachs nächtliche Kehrtwende bei der Isolation von Infizierten zeigt: Auch im dritten Jahr der Pandemie hat die Bundesregierung weiter keinen Plan - und überdies den Überblick über die Lage komplett verloren.
06.04.2022 11:00
Aktualisiert: 06.04.2022 11:20
Lesezeit: 3 min

Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) kritisiert das Hin- und Her von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei der Isolation von Corona-Infizierten ab Mai. "Freiwilligkeit, nicht Freiwilligkeit - das ist ja ein Chaos in der deutschen Politik zur Zeit leider", sagt BGA-Präsidiumsmitglied und Logistik-Manager Carsten Taucke.

Lauterbach außer Rand und Band

In einer überraschenden Kehrtwende hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach die freiwillige Quarantäne-Regelung für Corona-Infizierte ab dem 1. Mai plötzlich wieder zurückgezogen. "Die Beendigung der Anordnung der Isolation nach Coronainfektion durch die Gesundheitsämter zugunsten von Freiwilligkeit wäre falsch und wird nicht kommen. Hier habe ich einen Fehler gemacht", schrieb Lauterbach am Mittwochmorgen kurz nach drei Uhr auf Twitter (!). Wenige Stunden zuvor hatte er dies in der ZDF-Talkshow "Lanz" angekündigt (!).

Erst am Montag hatte der SPD-Politiker den Vorschlag des Gesundheitsministeriums und des Robert-Koch-Instituts (RKI) für eine neue Quarantäneregelung vorgestellt, nach der sich nur noch das Personal in medizinischen Einrichtungen oder Alten- und Pflegeheimen nach einer Infektion zwingend mindestens fünf Tage hätte absondern müssen. Für den Rest der Bevölkerung sollte nur noch die "dringende Empfehlung" gelten, sich fünf Tage in Isolation zu begeben. Diesem Vorschlag hatten auch die Gesundheitsminister der Länder am Montag zugestimmt.

Einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung über den Impfzwang im Bundestag begründete Lauterbach seine Korrektur damit, dass das Signal einer Abschaffung der bisher vorgeschrieben Isolation von Corona-Infizierten ein "falsches und schädliches Signal" sei. "Der Fehler lag bei mir und hat nichts mit der FDP oder Lockerung zu tun", sagte er angesichts der heftigen Kritik der Länder und Kommunen an der vor allem von Justizminister Marco Buschmann (FDP) erzwungenen Lockerung des Infektionsschutzgesetzes. SPD- und Grünen-Politiker hatten dies mitgetragen, aber danach betont, ihnen persönlich wäre eine weitere allgemeine Maskenpflicht lieber gewesen.

Die Liberalen hatten auch auf eine Lockerung der Quarantäneregeln gedrängt. Hintergrund ist, dass sich derzeit wegen der hohen Fallzahlen bei Corona-Infektionen eine sehr hohe Zahl an Menschen in Quarantäne befindet und die Krankheitsverläufe bei Infektionen mit der Virus-Variante Omikron im Schnitt milder sind als bei früheren Varianten. Am Mittwoch waren laut RKI 4,257 Millionen Personen in Isolation. Die seit Wochen hohen Infektionszahlen führten dazu, dass die Gesundheitsämter ihrer Aufgabe, eine Isolation nach einem gemeldeten positiven Test anzuordnen und zu überwachen, meist gar nicht mehr nachkommen. Lauterbach hatte seinen Schritt zur Freiwilligkeit ab dem 1. Mai mit der gewünschten Entlastung der Gesundheitsämter begründet.

Es ist nicht das erste Mal, dass Lauterbach über Nacht weitreichende Entscheidungen trifft ohne diese zu begründen oder im Vorfeld anzukündigen. Mitte Januar verfügte er quasi von einem Tag auf den anderen, dass der Genesenenstatus halbiert werde und dass Menschen, die sich mit dem Präparat von Johnson&Johnson impfen lassen haben, ihren Status als Geimpfte verlieren.

Komplett den Überblick verloren

Seit Tagen gibt es aber auch Kritik daran, dass mittlerweile der Überblick verloren geht, wie viele Menschen sich überhaupt mit dem Virus infiziert haben. Denn das von der Ampel-Regierung gelockerte Infektionsschutzgesetz hat auch die Testpflicht deutlich zurückgeschraubt. Dies wird als ein möglicher Grund für sinkende offizielle Infektionszahlen gesehen.

Das RKI meldete am Mittwoch 214.985 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Das sind 53.492 Fälle weniger als am Mittwoch vor einer Woche. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz sank weiter auf 1322,2 von 1394,0 am Vortag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen sich innerhalb einer Woche auf 100.000 Personen neu infizieren. 340 weitere Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus.

Kommt der Impfzwang?

Am Donnerstag soll der Bundestag über die Einführung eines Impfzwangs abstimmen. Am Dienstagabend hatten die bisherigen Befürworter eines Impfzwangs ab 18 und die eines Impfzwangs ab 50 dazu einen Kompromiss vorgelegt. Danach soll nun ein Impfzwang ab 60 beschlossen werden. Im September soll geprüft werden, ob die Pandemie-Entwicklung auch die Erweiterung eines Impfzwangs ab 18 Jahren nötig macht. Eine Mehrheit im Bundestag für den Kompromiss gilt dennoch als unsicher, weil zahlreiche Ampel-Politiker von SPD, Grünen und FDP keinen Impfzwang oder andere Regelungen wollen. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der oppositionellen CDU, Tino Sorge, kündigte den Widerstand der Union an. Diese hatte ein eignes Konzept einer abgestuften Impfpflicht auf Vorrat vorgelegt. CDU-Chef Friedrich Merz hatte am Dienstag kritisiert, dass es nicht überzeugend sei, dass die Ampel erst die Maskenpflicht weitgehend abschaffe und eine freiwillige Quarantäne einführe und dann einen Impfzwang beschließen wolle.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Elterngeld: Warum oft eine Steuernachzahlung droht
12.07.2025

Das Elterngeld soll junge Familien entlasten – doch am Jahresende folgt oft das böse Erwachen. Trotz Steuerfreiheit lauert ein...

DWN
Finanzen
Finanzen Krypto ersetzt Börse: Robinhood bietet Token-Anteile an OpenAI und SpaceX
12.07.2025

Die Handelsplattform Robinhood bringt tokenisierte Beteiligungen an OpenAI und SpaceX auf den Markt. Doch was wie ein Investment klingt,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Meta-KI: Facebook-Mutter wirbt KI-Top-Talente von OpenAI ab – Altman schlägt Alarm
12.07.2025

Der KI-Krieg spitzt sich zu: Meta kauft sich Top-Talente, OpenAI wehrt sich mit Krisenurlaub – und Europa droht im Wettrennen um die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deindustrialisierung: Ostdeutsche Betriebsräte fordern Ende von Habecks Energiewende - Industriestandort gefährdet
11.07.2025

Nach dem Verlust von über 100.000 Industriearbeitsplätzen richten ostdeutsche Betriebsräte einen dramatischen Appell an Kanzler Merz....

DWN
Technologie
Technologie Start-up ATMOS Space Cargo setzt neue Maßstäbe: Deutsche Logistik erobert den Weltraum
11.07.2025

Fracht ins Weltall zu bringen, ist eine Herausforderung. Eine noch größere ist es, sie wieder unversehrt zur Erde zurückzubringen....

DWN
Finanzen
Finanzen JP Morgan-CEO Jamie Dimon rechnet mit Europa ab: „Europa verliert“
11.07.2025

Jamie Dimon, CEO von JP Morgan und einer der mächtigsten Akteure der US-Wirtschaft, warnt europäische Politiker: Der Kontinent droht...

DWN
Immobilien
Immobilien Mietpreisbremse bleibt bestehen: Bundesjustizministerin Hubig kündigt Bußgeldregelung an
11.07.2025

Die Mietpreisbremse wird verlängert – doch ist das genug, um Mieter wirklich zu schützen? Während die Politik nachjustiert, plant das...

DWN
Politik
Politik Trump: Wir schicken Waffen, die NATO zahlt
11.07.2025

Erst Stopp, dann Freigabe: Trump entscheidet über Waffen für Kiew – und kündigt neue Schritte gegen Russland an. Bezahlen will er das...