Politik

Die Ruhe nach dem Knall: Was wird aus Scholz' Zeitenwende?

Es war ein beispielloser Tabubruch: Deutschland liefert Waffen in einen Krieg gegen eine Atommacht. Kanzler Scholz hat dafür international viel Respekt geerntet. Was danach folgte, enttäuscht aber viele – auch in der eigenen Koalition.
16.04.2022 15:19
Aktualisiert: 16.04.2022 15:19
Lesezeit: 4 min

Die Überraschung war groß, der Jubel auch - und zwar international. Für seine Zeitenwende-Rede drei Tage nach Beginn des Ukraine-Kriegs wurde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht nur zu Hause, sondern auch bei den europäischen Bündnispartnern gefeiert. Waffenlieferungen in einen laufenden Krieg, massive Aufrüstung der Bundeswehr mit einem 100-Milliarden-Vermögen, Kehrtwende in der Energiepolitik: Mit einem lauten Knall katapultierte sich Scholz nach nicht einmal drei Monaten im Amt mit an die Spitze der Unterstützer für die Ukraine. Führung statt Zurückhaltung. Entschlossenheit statt Verzagtheit. Das waren die Botschaften.

Aber was ist sieben Wochen danach daraus geworden? Der Jubel ist verhallt, die Erwartungen an Deutschland sind gewachsen. Und der Kanzler ringt darum, seine selbstgewählte Führungsrolle in Europa auszufüllen.

Deutschland „schwer lesbar und wenig vertrauenswürdig“

Längst ist er wieder mit wachsendem Unmut aus Osteuropa konfrontiert. „Der Zeitpunkt, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz der wirkliche Anführer Europas hätte werden können, ist längst verstrichen“, schreibt beispielsweise die liberale Zeitung „Hospodarske noviny“ aus Tschechien. „In Sicherheitsfragen ist Berlin für seine Verbündeten heute ein genauso schwer lesbarer und wenig vertrauenswürdiger Partner wie vor dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar. Die versprochene Zeitenwende ist zu einer verpassten historischen Chance geworden.“

Polens Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk sagt am Donnerstag im öffentlich-rechtlichen polnischen Radio, Deutschland sei das Land in der EU, „das die Kriegsführung in der Ukraine am schwierigsten macht“. Er wirft der Bundesregierung eine Blockadehaltung bei der Drosselung der Energie-Importe aus Russland und Zögerlichkeit bei Waffenlieferungen an die Ukraine vor. „Deutschland tut definitiv zu wenig, um der Ukraine zu helfen“, sagt er.

Borrell: Sanktionen werden Schlacht nicht entscheiden

Die Waffenlieferungen sind längst in den Mittelpunkt der Diskussion über westliche Hilfe für die Ukraine gerückt. Der Grund: Die erwartete russische Großoffensive in der ostukrainischen Region Donbass. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell brachte vor einer Woche die klare Botschaft von seiner Ukraine-Reise mit: „Sanktionen sind wichtig, aber Sanktionen werden das Problem der Schlacht im Donbass nicht lösen.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert für die Schlacht im Donbass schwere Waffen. Unter schweren Waffen versteht man Kampfpanzer, Artilleriegeschütze, Kampfflugzeuge und -hubschrauber oder Kriegsschiffe. Deutschland hat bisher - soweit es bekannt ist - vor allem Panzerfäuste, Maschinengewehre und Luftabwehrraketen in die Ukraine geschickt. Diese Waffen ordnet man in die Kategorien der Klein- und Leichtwaffen ein.

Scholz: „Wir werden keinen Alleingang machen“

„Wir liefern Waffen, die alle anderen auch liefern“, sagt Scholz. Bei der Frage, ob er auch für Lieferung schwerer Waffen wäre, reagiert er stets ausweichend. Er sagt weder Ja noch Nein dazu, sondern Sätze wie: „Wir werden keinen Alleingang machen. Deutschland wird nicht anders agieren als andere Länder.“

Das Problem ist, dass inzwischen nicht mehr ganz klar ist, was eigentlich die gemeinsame Linie der Nato ist. Es gibt Berichte und Gerüchte, dass einzelne osteuropäische Länder bereits schwere Waffen in die Ukraine liefern. Tschechien soll mehrere Dutzend Panzer der sowjetischen Bauart T-72 sowie BMP-1-Schützenpanzer auf den Weg gebracht haben. Polen und die Slowakei haben sich grundsätzlich bereiterklärt, Kampfjets sowjetischer Bauart in die Ukraine zu liefern, was bisher von Deutschland, aber auch den USA abgelehnt wird.

Die USA kündigten am Mittwoch an, der Ukraine rasch elf Hubschrauber russischer Bauart vom Typ Mi-17, 200 gepanzerte Mannschaftstransporter vom Typ M113, 100 gepanzerte Allzweckfahrzeuge vom Typ Humvee sowie 18 Feldhaubitzen vom Typ 155 Millimeter mit 40 000 Artilleriegeschossen zu liefern. Das sind in jedem Fall zumindest teilweise schwere Waffen. „Falls wir mehr schicken müssen, schicken wir mehr“, sagte der Sprecher des Pentagons John Kirby.

Hofreiter: „Das Problem ist im Kanzleramt“

Scholz wird aber nicht nur von der Ukraine und östlichen Bündnispartnern unter Druck gesetzt, sondern auch aus der eigenen Koalition. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte jüngst die Lieferung schwerer Waffen offensiv ein. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schloss sich prompt an: „Ich hoffe sehr, dass die Forderung von Frau Baerbock nicht im Sande deutscher Zuständigkeiten verläuft, sondern dass das Gerät der ukrainischen Armee nun schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt wird.“

Politiker beider Koalitionspartner greifen Scholz nun auch direkt an. „Das Problem ist im Kanzleramt“, sagt der Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Bundestags, Anton Hofreiter. „Wir müssen jetzt endlich anfangen, der Ukraine das zu liefern, was sie braucht, und das sind auch schwere Waffen.“

Waffenfrage wächst sich zum Koalitionskrach aus

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, attestiert Scholz sogar ganz offen Führungsschwäche. „Er hat die Richtlinienkompetenz. Er muss jetzt klar sagen, was er will“, sagt die FDP-Politikerin. „Jetzt macht jeder so sein Ding. Und das geht natürlich nicht.“

Die Waffenfrage wächst sich zu einem handfesten Koalitionskrach aus. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hält den Forderungen von Grünen und FDP verärgert entgegen: „Einfache Antworten, auch bei der Lieferung von schwerem Kriegsgerät an die Ukraine, gibt es nicht. Wer das behauptet, handelt verantwortungslos.“

SPD ist gespalten

Das Hauptargument der Gegner einer Lieferung schwerer Waffen ist, dass die Nato und Deutschland von Russland als Kriegspartei angesehen werden könnten und der Konflikt dann auf die Nato übergreift. Diesem Argument folgen viele in der SPD. Politiker des linken Flügels sprechen sich klar gegen die Lieferung schwerer Waffen aus.

Die Partei ist aber gespalten in dieser Frage. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, war am Dienstag zusammen mit Strack-Zimmermann und Hofreiter in der Ukraine und drückt nun zusammen mit ihnen beim Thema Waffenlieferung aufs Tempo. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass wir Bedenken vor uns hertragen, dass wir abweisend sind“, sagt der SPD-Politiker.

Scholz: „Weil ich nicht tue, was Ihr wollt, deshalb führe ich.“

Die Grünen versuchen, die Wogen wieder etwas zu glätten. Vizekanzler Robert Habeck hat sich inzwischen von der Attacke Hofreiters aufs Kanzleramt distanziert. „In Zeiten wie diesen ist es extrem wichtig, dass Deutschland sich nicht auseinanderdividieren lässt“, sagt er. Von der Forderung nach schweren Waffen distanziert er sich allerdings nicht.

Und Strack-Zimmermann legt am Donnerstagabend sogar noch einmal nach und bekräftigte ihre Forderung nach Führung des Kanzlers. „Kanzler Scholz hat für seine Zeitenwende unsere volle Unterstützung. Dafür ist es jetzt Zeit, zu führen und dabei gemeinsam als Ampel voranzugehen“, sagt sie.

Zu den bekanntesten Scholzschen Weisheiten zählt diese: „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt.“ Für diejenigen, die ihn jetzt für mangelnde Führungsstärke kritisieren, zeigt er null Verständnis. Wenn er auf deren Kritik angesprochen wird, reagiert er trotzig: „Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was Ihr wollt, deshalb führe ich.“

Zwei-Milliarden-Topf für Rüstungshilfe für die Ukraine

Am Freitag wurde bekannt, dass Scholz längst einen großen Geldtopf geplant hat, um der Ukraine weitere Rüstungshilfe zu leisten. Er soll mit zwei Milliarden Euro gefüllt werden und mit dem Nachtragshaushalt beschlossen werden. Geeinigt hat sich Bundesregierung darauf schon in der vergangenen Woche - zunächst ohne darüber zu reden. Das passt zu der Kommunikationsstrategie, die gerade insgesamt beim Thema Waffenlieferungen verfolgt wird.

Finanzminister Christian Lindner wies auf Twitter ausdrücklich darauf, dass die Idee für den Topf vom Chef kam: „Der Bundeskanzler hatte dies frühzeitig angefordert“, twitterte der FDP-Vorsitzende. Die Frage, ob mit dem Geld auch schwere Waffen gekauft werden, ist damit aber noch nicht beantwortet.

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Michael Fischer ist seit 2010 bei dpa, zuletzt war er für die Berichterstattung über Außenpolitik zuständig. Vor seiner Zeit bei dpa war er Kanzlerkorrespondent und stellvertretender Hauptstadtbüroleiter des deutschen Dienstes der Nachrichtenagentur Associated Press.
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