Finanzen

Hundertjährige Österreich-Staatsanleihe: Käufer erleiden schwere Verluste

Lesezeit: 5 min
08.05.2022 09:00
Auf dem Höhepunkt der weltweiten Anleiheblase haben Investoren sogar 100-jährige Staatsanleihen mit negativer Rendite gekauft. Das rächt sich im jetzigen Umfeld. Durch hohe Inflationsraten und die Aussicht auf steigende Zinsen kommen riskante Anleihen unter die Räder.
Hundertjährige Österreich-Staatsanleihe: Käufer erleiden schwere Verluste
Die globale Anleihe-Blase beginnt zu platzen. (Foto: dpa)

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Im Sommer 2020 platzierte Österreich zum zweiten Mal nach 2017 über ein Konsortium von Großbanken eine hundertjährige Staatsanleihe. Das Volumen belief sich auf zwei Milliarden Euro. Es handelte sich um eine sogenannte Nullkupon-Anleihe, bei der Zinszahlungen nicht laufend, sondern einmalig zum Laufzeitende ausgezahlt werden – in diesem Fall nach einhundert Jahren. In einer so langen Zeitspanne gibt es extrem viele Risiken, die eine Anleihe entwerten könnten – darunter Inflation und schwere Wirtschaftskrisen. Wer sich ein wenig mit Währungs-Geschichte auskennt, wird außerdem bezweifeln, dass der Euro in hundert Jahren überhaupt noch existiert.

Auf dem Höhepunkt der globalen Anleiheblase wurde dieses Angebot von Investoren begeistert angenommen - trotz seiner unattraktiven Konditionen. Die hundertjährige Staatsanleihe wurde letztendlich bei einer Rendite von 0,88 Prozent platziert. Eine hohe Nachfrage sorgte innerhalb der folgenden Monate sogar für eine negative Umlaufrendite. Der Marktwert der Papiere war zwischenzeitlich doppelt so hoch wie der Nominalwert.

Nun sind Inflation und rapide steigende Zinserwartungen über langlaufende Staats-Papiere hereingebrochen und haben die 2017 aufgelegte Österreich-Anleihe mit einem Kursabsturz von grob 50 Prozent innerhalb weniger Monate förmlich pulverisiert.

Dennoch ist der Marktwert seit Auflage der Anleihe nur um zehn Prozent gesunken und liegt immer noch über dem Nennwert. Anscheinend rechnen die Marktteilnehmer nur mit einer relativ kurzen inflationären Phase.

Ich teile diese Ansicht nicht und verweise nochmals darauf, dass die Rückzahlung - von heute an gerechnet - 100 Jahre in der Zukunft liegt. Steigen die Renditen in den kommenden Jahren nur auf fünf Prozent, dann fällt der Kurs der Hundertjahr-Anleihe auf 20 Prozent des Nennwerts. Im Zweifelsfall können unglückliche Käufer dann nur noch darauf hoffen, dass die europäische Zentralbank die Papiere weit über Marktwert aufkauft.

Kapitalmärkte hängen am Tropf der Niedrigzinsen

Die Finanzmärkte sind bisweilen ein wenig schizophren. Vor nicht allzu langer Zeit war das Jammern über die Nullzins-Landschaft groß. Mit niedrigen Zinsen und riesigen Geldmenge-Ausweitungen würden die Notenbanken die Preise verzerren, die Zinsmarge der Banken auf ein prekäres Niveau schrumpfen lassen und Zombie-Unternehmen subventionieren, die sich nur noch dank niedrigster Zinskosten am Leben erhalten könnten. Zugleich waren die Kapitalmärkte aber auch angewiesen auf das billige Geld der Notenbanken, das in Phasen von Liquiditätsmangel das Bankensystem stabilisierte und zudem auch die Aktien- und Anleihemärkte stützte.

Jetzt, wo sich die langfristigen Zinsen wieder nach oben bewegen, ist das Geschrei auch wieder groß. Die Aktienmärkte stocken auf einmal und der hauptsächlich inflationsbedingte Renditeanstieg führen gleichzeitig zu starken Kursverlusten bei fest verzinslichen Anleihen. Verstärkt werden diese auf breiter Front zu beobachtenden Kurseinbrüche durch die lange Zeit nahe der Nulllinie oder sogar im negativen Bereich notierenden Zinsen.

Insbesondere bei Anleihen hatten die Nullzinsen eine absurde Finanzblase hervorgebracht. Die Anleihe-Preise waren im Durchschnitt so hoch, dass zwischenzeitlich grob 20 Billionen Dollar an festverzinslichen Wertpapieren, überwiegend Staatsanleihen, – oder mehr als 20 Prozent aller Anleihen weltweit – negativ rentierten (im hypothetischen Fall des Kaufs der Anleihe zum aktuellen Marktpreis und Haltens bis zur Rückzahlung des Nennwerts erhält ein Anleger weniger Geld zurück, als er für die Anleihe gezahlt hat).

In Zeiten hoher Inflationsraten lässt sich ein solches Preisniveau nicht konservieren. Eine hohe Inflation pulverisiert sämtliche Anleihen mit fester Verzinsung, weil die Zinszahlungen konstant bleiben und somit real entwertet werden. Nicht betroffen sind inflations-indexierte Anleihen, bei denen die Zinszahlungen an die Inflationsrate gekoppelt sind – diese sind jedoch deutlich in der Minderheit. Insbesondere institutionelle Anleger leiden unter dem neuen Marktumfeld, denn Versicherungen und Pensionskassen müssen aus regulatorischen Gründen einen Teil der Kundengelder in Anleihen investieren.

Die Zinsen im Dollarraum haben sich seit Jahresbeginn verdoppelt. Ein massiver Abverkauf sorgte für einen Anstieg der Rendite von US-Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren (sogenannte 10-year-treasuries) über die Marke von drei Prozent. Verantwortlich sind dafür neben der hohen Inflationsrate von derzeit 8,5 Prozent auch die Markterwartungen weiterer Zinserhöhungen durch die US-Notenbank – bis jetzt wurde der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken bei der Fed refinanzieren können, nur von 0,25 auf 1,0 Prozent erhöht. Die Märkte erwarten weitere Zinsschritte auf 2,5 Prozent bis Ende 2022.

Im Euroraum kam es bisher nicht zu Zinserhöhungen - die EZB zeigt sich noch sehr zögerlich. Es ist durchaus möglich, dass der Leitzins noch bis Jahresende bei null Prozent gehalten wird. In Euro denominierte Anleihen mussten infolge der explodierenden Inflation dennoch Federn lassen. Die Rendite 10-jähriger italienischer Staatsanleihen hat sich seit Jahresbeginn verdreifacht und steht aktuell bei 2,9 Prozent. Die 10-jährigen Bundesanleihen Deutschlands notieren jetzt bei 0,9 Prozent, nachdem sie Ende 2021 noch negativ rentierten.

Riskante europäische Unternehmens-Anleihen (auch High-Yield Bonds oder Junk Bonds genannt) wurden abverkauft. Die Rendite der Schrott-Anleihen hat sich mit circa fünf Prozent im Vergleich zu Jahresanfang verdoppelt, wie der „Euro High Yield Index“ der Bank of America anzeigt.

Trotz alledem: Diese Bewegungen sind nicht gigantisch, sondern reflektieren nur ein Zinsniveau, wie es in einem halbwegs normalen, nicht manipulierten Markt ungefähr sein sollte. Auf sehr lange laufende Anleihen hat solch ein Zinsniveau aber einen immensen Einfluss – im negativen Sinne, versteht sich.

Anleihen reagieren sehr sensibel auf höhere Inflationsraten

Je länger die Laufzeit einer Anleihe, umso sensitiver reagiert ihr Wert auf Veränderungen bei Inflationsraten und Zinsniveau. Zumindest wird Neukäufern das gigantische Risiko jetzt wieder mit einer positiven Umlaufrendite vergütet.

Käufer länger laufender Anleihen profitierten viele Jahre vom Trend der kontinuierlich sinkenden Marktzinsen, welcher ihren Langläufern in der Regel schnell ein Kursplus bescherte. Der eine oder andere Investor hat es hier übertrieben und auf der Jagd nach schnellen Gewinnen den Rückzahlungs-Zeitpunkt der Anleihen aus den Augen verloren.

Fast prophetisch hatte der Economist schon 2019 über die hundertjährige Nullkuponanleihe berichtet: „Österreichs 100-jährige Anleihe verzeichnet beeindruckenden Wertanstieg. Der Preis wird einbrechen, wenn die Zinsen ansteigen. Aber die meisten Käufer werden nicht lange genug leben, um es zu bereuen.“ Nun ist der Crash doch relativ schnell eingetreten, gerade mal drei Jahre hat es gedauert. Wer hier aufgrund des laut Lehrmeinung sehr niedrigen Ausfallrisikos europäischer Staaten investierte, hat anscheinend vergessen, dass es auch noch ein erhebliches Kursrisiko gibt.

Nicht nur Österreich, sondern auch Staaten wie Argentinien haben erfolgreich hundertjährige Anleihen am Kapitalmarkt lanciert. Das Bundesland NRW hat erst letztes Jahr eine Anleihe mit Laufzeitende 2121 aufgelegt, deren Wert sich dem jüngsten Umfeld entsprechend halbierte. Wertpapiere mit einem derart grottenschlechten Chance-Risiko-Verhältnis kann man vermutlich nur in der Endphase eines 40-jährigen Bullenmarktes erfolgreich am Markt anbieten.

Versicherungen und Pensionsfonds waren die wichtigsten Abnehmer hundertjähriger Anleihen

Wer kauft so etwas? Laut Marktbeobachtern sind das bestimmte institutionelle Investoren. 2020, zum Zeitpunkt der Auflage der zweiten hundertjährigen Österreich-Anleihe, wurde in der Financial Times hierzu Mohit Kumar, Leiter der Zinsstrategie bei Jefferies, zitiert. „Auch wenn die Anleihe eine sehr lange Laufzeit hat, würde ihr Laufzeitprofil zu institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften passen.“

Wolfgang Bauer, Fondsmanager des "M&G Absolute Return Bond Fund", gab damals folgende kritische Einschätzung ab: „Aus einer Chance-Risiko-Perspektive betrachtet, glaube ich nicht, dass die Anleger bei einer Gesamtrendite von 0,88 Prozent besonders großzügig für die erwarteten Preisschwankungen entschädigt werden.“ Dem ist nur beizupflichten. Ich frage mich, welche Versicherungen und Pensionskassen diese Papiere wohl noch in den Büchern haben und hoffe inständig, dass wenigstens keine Privatanleger auf der Käuferseite sind.

Kleinanleger könnten allerdings auch indirekt über Anleihe-ETFs investiert sein. So investiert zum Beispiel der "Lyxor Euro Government Bond 25+Y (DR) UCITS ETF" explizit in Euro-Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von mindestens 25 Jahren. Die Performance der letzten fünf Jahre ist eine prägnante Zusammenfassung vom Aufblähen und Platzen der Anleiheblase.

Das Fondsvolumen beträgt momentan 206 Millionen Euro. Aus dem letzten Jahresbericht geht hervor, dass der ETF zum 31. Oktober 2021 mit einer Gewichtung von 1,57 Prozent in hundertjährige Österreich-Anleihen investiert war.

Im Übrigen könnten es auch Anleihen mit noch längerer Laufzeit an den Kapitalmarkt schaffen. Obwohl die US-Administration Ende 2020 eine geplante Auflage von 50-jährigen Anleihen (aufgrund des geringen Interesses von Großinvestoren) auf Eis legte, schlagen einige amerikanische Ökonomen vor, dass die US-Regierung Staatsanleihen mit unendlich langer Laufzeit begeben sollte, um das Risiko einer teuren Refinanzierung von Staatsschulden zu vermeiden. Ich erspare mir an dieser Stelle eine Kommentierung.


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