Deutschland

Ärzte warnen vor Kommerzialisierung des Gesundheitswesens

Lesezeit: 2 min
24.05.2022 16:26  Aktualisiert: 24.05.2022 16:26
Auf dem Deutschen Ärztetag wird eine fortschreitende Kommerzialisierung des Gesundheitssystems beklagt. Hinter den Kulissen brennt es offenbar gewaltig.
Ärzte warnen vor Kommerzialisierung des Gesundheitswesens
Das Logo des 126. Deutschen Ärztetages. (Foto: dpa)
Foto: Sina Schuldt

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat vor einem weiter wachsenden wirtschaftlichen Druck auf die Patientenversorgung in Deutschland gewarnt. Preiswettbewerb, Kosteneffizienz und Renditestreben bestimmten mehr und mehr den ärztlichen Alltag, sagte der Chef der Bundesärztekammer am Dienstag beim Deutschen Ärztetag in Bremen.

Ärztinnen und Ärzte würden von Klinikträgern und Finanzinvestoren bei Medizinischen Versorgungszentren zunehmend angehalten, in rein betriebswirtschaftlichen Dimensionen zu denken und nach kommerziellen Vorgaben zu handeln.

„Es kann nicht sein, dass die Versorgung mehr und mehr denjenigen überlassen wird, deren primäres Ziel es ist, für ihre Kapitalinvestoren möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften“, sagte Reinhardt. „Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Gesundheitssystem in ein profitorientiertes Franchise-System umgewandelt wird. Und wir wollen auch keine industriegleichen Abläufe in der stationären Versorgung.“

Nötig sei eine Reform der Krankenhausfinanzierung über starre, auf Wettbewerb ausgerichtete Pauschalen für Behandlungsfälle. Der Einfluss von Finanzinvestoren auf ambulante Einrichtungen müsse gesetzlich eingedämmt werden, machte Reinhardt deutlich.

Bundesländer zahlen nicht

Der Ärzteverband Marburger Bund hat den Bundesländern vorgeworfen, ihre Finanzierungspflicht für Krankenhäuser zu verletzen. Die Kliniken stünden seit vielen Jahren finanziell unter Druck, weil die Länder ihren Investitionskostenverpflichtungen nicht nachkämen, kritisierte die Verbandsvorsitzende Susanne Johna am Montag in Bremen. Bei den Ländern habe man sich unverständlicherweise daran gewöhnt, dass sie immer nur weniger als die Hälfte von dem finanzierten, was sie finanzieren müssten. „Das kann auf Dauer nicht funktionieren.“

Derzeit mache den Kliniken zusätzlich die hohe Inflation zu schaffen. „Wir brauchen unbedingt eine aktive Krankenhausplanung der Länder und gleichzeitig eine Hand in Hand gehende Finanzierungsreform.“ Die Idee, dass es der Markt schon richte, habe nicht funktioniert. Mit Blick auf eine Strukturreform schlägt der Marburger Bund unter anderem ein Modell vor, das auf vier Stufen unterschiedliche Angebote von Kliniken sieht, die miteinander vernetzt sind.

Allein in Niedersachsen sind laut der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG) mehr als drei Viertel der rund 170 Krankenhäuser mittel- bis langfristig in ihrer Existenz bedroht. Nur jedes fünfte Krankenhaus in Niedersachsen werde vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie für das zurückliegende Jahr 2021 ein positives Betriebsergebnis erzielen können, warnte die NKG kürzlich. Die wirtschaftliche Lage sei so dramatisch wie nie.

Die 230 Delegierten des Marburger Bundes tagen bei ihrer Hauptversammlung von Freitag an in Bremen, wo am Dienstag der 126. Deutsche Ärztetag beginnt. Zur Eröffnung wird auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwartet. Der Marburger Bund ist der Verband aller angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte. Mit rund 131 000 Mitgliedern ist er nach eigenen Angaben der größte deutsche Ärzteverband und Deutschlands einzige Ärztegewerkschaft.

Marburger Bund: Ärztelücke kommt

Der Marburger Bund hat zudem eindringlich vor den Folgen einer „Ruhestandswelle“ bei der Ärzteschaft gewarnt. Rund 54 000 berufstätige Ärztinnen und Ärzte seien laut Bundesärztekammer zwischen 60 und 65 Jahre, etwa 35 500 über 65 Jahre alt, erläuterte Verbandschefin Susanne Johna die Dimension. „Das heißt, dass knapp 90 000 Ärzte aus allen Versorgungsbereichen in nächster Zeit altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden werden.“ Damit seien rund 22 Prozent der berufstätigen Ärzte in Klinik und Praxis nur noch wenige Jahre berufstätig oder stünden unmittelbar vor der Rente.

Johna forderte vor diesem Hintergrund einen Ausbau der Studienplätze um mindestens zehn Prozent. Das gehöre ganz oben auf die politische Agenda. „Wegducken hilft nicht - wir brauchen mehr ärztlichen Nachwuchs, um den wachsenden Ersatzbedarf durch die Verrentung der Babyboomer wenigstens teilweise ausgleichen zu können.“


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

 

DWN
Technologie
Technologie Kein Erdgas mehr durch die Ukraine? Westeuropa droht erneute Energiekrise
10.05.2024

Eines der größten Risiken für die europäische Erdgasversorgung im nächsten Winter ist die Frage, ob Gaslieferungen weiterhin durch die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Chefredakteur kommentiert: Deutsche Bahn, du tust mir leid!
10.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Streik am Bau: Gewerkschaft kündigt Proteste in Niedersachsen an
10.05.2024

Die IG Bauen Agrar Umwelt hat angekündigt, dass die Streiks am Bau am kommenden Montag (13. Mai) zunächst in Niedersachsen starten...

DWN
Politik
Politik Selenskyj drängt auf EU-Beitrittsgespräche - Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Überblick
10.05.2024

Trotz der anhaltenden Spannungen an der Frontlinie im Ukraine-Krieg bleibt Präsident Selenskyj optimistisch und setzt auf die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch: Deutscher Leitindex springt auf Allzeithoch über 18.800 Punkten
10.05.2024

Der DAX hat am Freitag zum Handelsstart mit einem Sprung über die Marke von 18.800 Punkten seinen Rekordlauf fortgesetzt. Was bedeutet das...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Spahn spricht sich für breite Analyse aus mit allen Blickwinkeln
10.05.2024

Im deutschen Parlament wird zunehmend eine umfassende Analyse der offiziellen Corona-Maßnahmen, einschließlich Masken und Impfnachweisen,...

DWN
Politik
Politik Pistorius in den USA: Deutschland bereit für seine Aufgaben
10.05.2024

Verteidigungsminister Boris Pistorius betont in Washington eine stärkere Rolle Deutschlands im transatlantischen Bündnis. Er sieht den...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Europäische Unternehmen sehen düstere Aussichten in China
10.05.2024

Die jährliche Geschäftsklimaumfrage der EU-Handelskammer in Peking zeigt, dass europäische Unternehmen ihre Wachstumschancen in China so...