Die hohe Inflation führt zu einem deutlichen Rückgang der Reallöhne in Deutschland. Die Löhne stiegen im ersten Quartal zwar mit 4,0 Prozent zum Vorjahreszeitraum deutlich, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. Allerdings legten die Verbraucherpreise im selben Zeitraum mit 5,8 Prozent noch weitaus kräftiger zu. Daraus ergibt sich ein realer, preisbereinigter Verdienstrückgang von 1,8 Prozent. "Die Inflation zehrte somit den Nominallohnanstieg im 1. Quartal 2022 mehr als auf", fassten die Statistiker die Ergebnisse zusammen. Vielen Beschäftigten steht damit weniger Kaufkraft zur Verfügung.
Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) geht davon aus, dass die Reallohnverluste zumindest bis zum Jahresende anhalten. "Im kommenden Jahr ist eine Trendwende möglich", sagte der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien, der Nachrichtenagentur Reuters. "Allerdings dürften auch dann nicht sofort alle Reallohnverluste aufgeholt werden, die sich aus der hohen Inflation 2022 ergeben."
Deshalb sei es wichtig, dass die Politik mit gezielten Entlastungspaketen helfe, die Kaufkraft der Privathaushalte zu stabilisieren. Die bisherigen Entlastungspakete dürften zwar viele Haushalte spürbar bei der Mehrbelastung durch teurere Energie für das laufende Jahr entlasten, aber einige Haushalte wie jene von Rentnerinnen und Rentnern und Studierenden blieben außen vor. "Außerdem deckt die Entlastung noch nicht die gestiegenen Nahrungsmittelpreise ab", sagte Dullien. "Da die Reallöhne 2023 noch unter dem Niveau von 2021 liegen dürften, sind außerdem weitere staatliche Einmalzahlungen für das kommende Jahr notwendig."
Tarifverdienste legen merklich zu
Auch die Tarifverdienste sind im ersten Quartal um durchschnittlich 4,0 Prozent gestiegen. Darin berücksichtigt sind tarifliche Grundvergütungen und durch Tarifabschlüsse festgelegte Sonderzahlungen. Deutlich überdurchschnittlich fiel das Plus in den Bereichen "Erziehung und Unterricht" (plus 5,0 Prozent), "Land- und Forstwirtschaft; Fischerei" (plus 4,9 Prozent) sowie "Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung" (plus 4,6 Prozent) aus. In diesen Bereichen machten sich vor allem die Corona-Prämien bemerkbar, die sowohl die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder als auch die meisten Landes- und Kommunalbeamten erhielten.
Auch die überdurchschnittliche Tarifentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe von 4,8 Prozent lässt sich vorrangig auf Sonderzahlungen zurückführen, vor allem in der Metall- und Elektroindustrie. Im Baugewerbe (plus 4,7 Prozent) wurde zu Jahresbeginn ebenfalls eine Corona-Prämie gezahlt.
Unterdurchschnittlich wuchsen die Tarifverdienste einschließlich Sonderzahlungen insbesondere in der Energieversorgung (plus 0,7 Prozent), bei den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (plus 1,3 Prozent) sowie bei der Wasserversorgung und Entsorgung (plus 1,9 Prozent).
Inflation knackt 8-Prozent-Marke
Die Inflation in Deutschland hat sich im Mai nochmals beschleunigt und in mehreren Bundesländern die Marke von acht Prozent geknackt. In Sachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen legten die Verbraucherpreise zwischen 8,0 und 8,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zu, wie die Statistischen Landesämter am Montag mitteilten. In Baden-Württemberg lag die Teuerungsrate bei 7,4 Prozent.
Diese Länderdaten fließen in die erste Schätzung für die Entwicklung der Verbraucherpreise in ganz Deutschland ein, die das Statistische Bundesamt noch am Montagnachmittag veröffentlichen will. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen gehen für Mai von einem Anstieg auf bundesweit 7,6 Prozent aus, nachdem im April mit 7,4 Prozent bereits der höchste Wert seit 1981 gemessen wurde.
Als Preistreiber erwiesen sich erneut Energie und Nahrungsmittel, die wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine erheblich mehr kosten als vor Jahresfrist. In NRW etwa musste für Heizöl im Schnitt 74,3 Prozent mehr bezahlt werden als im Mai 2021, Kraftstoffe verteuerten sich um 40,5 Prozent. In Bayern mussten die Verbraucher durchschnittlich 9,2 Prozent mehr für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke hinblättern.
Das Ifo-Institut rechnet mit einem allmählichen Abflauen der Inflation erst ab Jahresmitte. Grund dafür ist, dass im Mai erstmals seit Monaten der Anteil der Firmen sank, die ihre Preise in den kommenden drei Monaten erhöhen wollen, wie die Münchner Wirtschaftsforscher bei ihrer Umfrage herausfanden. Aber die Tendenz spreche dafür, dass die Monatsraten der Inflation in der zweiten Jahreshälfte langsam von über sieben Prozent auf unter sechs Prozent sinken dürften, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. "Für das Gesamtjahr rechnen wir mit rund sechs Prozent", fügte er hinzu.