Nach einem deutlichen Einbruch im April sind die Ölförderung in Russland und der Export im Mai einem Medienbericht zufolge wieder angestiegen. "Unter Einberechnung von Gaskondensat hat Russland im Mai die Ölförderung im Vergleich zum April um fünf Prozent auf 43,1 Millionen Tonnen gesteigert", berichtet die Moskauer Wirtschaftszeitung Wedomosti. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das Ergebnis dennoch einen Rückgang von 2,5 Prozent.
Der Export sei ebenfalls gestiegen, schreibt das Blatt, ohne genaue Zahlenangaben zu machen. Den bislang größten Rückgang bei Produktion und Absatz erlebte die russische Ölindustrie im April, nachdem die USA und Großbritannien wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein Embargo verhängten. In dieser Woche einigte sich auch die EU auf ein Teilembargo für russisches Öl. Bisher entfiel die Hälfte der russischen Ölexporte auf Europa.
Um die Verluste zumindest teilweise aufzufangen, ist Russland laut dem Zeitungsbericht gerade dabei, seine Exportrouten umzustellen. Der Export nach Indien könnte demnach auf das Rekordniveau von 900 000 Barrel pro Tag ansteigen, heißt es. Auch China könnte angesichts der starken Rabatte, zu den Moskaus Ölkonzerne gezwungen sind, in den nächsten Monaten zusätzlich 400 000 Barrel russisches Öl pro Tag aufkaufen, prognostiziert das Blatt.
Russland macht derzeit keine offiziellen Angaben zu Ölfördermengen. Die Angaben dazu sowie viele andere Statistiken wurden kurz nach Beginn des Krieges vor der Öffentlichkeit verschlossen.
Was bringt das Teil-Embargo der EU gegen russisches Öl?
Das Teilembargo der Europäischen Union gegen russisches Rohöl betrifft nur Lieferungen mit Schiffen. Denn Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hatte in den wochenlangen Verhandlungen mit den EU-Partnern durchgesetzt, dass Lieferungen über Pipelines von dem Embargo ausgenommen werden. Das schrittweise eingeführte Embargo wird voraussichtlich bis Ende des Jahres etwa 90 Prozent der gesamten russischen Rohölimporte der EU betreffen.
Doch die größte Wirkung im Rahmen des sechsten Sanktionspakets der EU könnte das Versicherungsverbot für Rohöltransporte aus Russland haben, wie das Wall Street Journal berichtet. Die Versicherung solcher Schiffe wird in der EU untersagt, unabhängig davon, wohin in der Welt das Öl transportiert wird.
Alternative Routen und Raffinerien: So umgeht Russland die Ölsanktionen
Doch wie die bisherigen Sanktionen an Russland abgeprallt sind, so ist Moskau auch den neuen Öl-Sanktionen der EU erneut einen Schritt voraus, wie das Wall Street Journal berichtet. Denn Verlader und Raffinerien sind offenbar sehr geschickt darin, die Herkunft des russischen Öls zu verschleiern. Das Blatt schreibt:
Nach dem Einmarsch in die Ukraine und den Sanktionen der USA und der Europäischen Union versuchen die Händler, die Herkunft des russischen Öls zu verschleiern, damit es weiter fließen kann. Das Öl wird in raffinierten Mischprodukten wie Benzin, Diesel und Chemikalien versteckt.
Das Öl wird auch von einem Schiff auf ein anderes umgeladen, wie es beim Kauf und Verkauf von sanktioniertem iranischem und venezolanischem Öl üblich ist. Die Umladungen finden im Mittelmeer, vor der Küste Westafrikas und im Schwarzen Meer statt, von wo aus das Öl dann nach China, Indien und Westeuropa gelangt, wie Reedereien berichten.
Insgesamt stiegen die russischen Ölexporte im April wieder an, nachdem sie im März, als die ersten westlichen Sanktionen in Kraft traten, zurückgegangen waren, wie die Internationale Energieagentur mitteilte. Die russischen Ölexporte stiegen um 620.000 Barrel auf 8,1 Millionen Barrel pro Tag und erreichten damit fast das Vorkriegsniveau, wobei der größte Anstieg nach Indien ging.
Indien hat sich zu einer wichtigen Drehscheibe für russische Ölströme entwickelt. Die Einfuhren des Landes sind seit Kriegsbeginn auf 800.000 Barrel pro Tag hochgeschnellt, verglichen mit 30.000 Barrel pro Tag zuvor, so das Rohstoffdatenunternehmen Kpler.
Eine Raffinerie, die dem indischen Energieriesen Reliance Industries Ltd. gehört, kaufte im Mai siebenmal so viel russisches Rohöl wie vor dem Krieg, was laut Kpler ein Fünftel der Gesamtmenge ausmachte.
Reliance hatte einen Öltanker gechartert, der am 21. April vom nahegelegenen Sikka-Hafen aus eine Ladung Alkylat, eine Benzinkomponente, beförderte, ohne einen Bestimmungsort zu nennen. Drei Tage später aktualisierte der Tanker seine Aufzeichnungen mit einem US-Hafen und fuhr hinüber, um seine Ladung am 22. Mai in New York zu entladen.
"Was wahrscheinlich geschah, war, dass Reliance eine verbilligte Ladung russischen Rohöls annahm, es raffinierte und dann das Produkt auf dem Kurzzeitmarkt verkaufte, wo es einen US-Käufer fand", sagte Lauri Myllyvirta, leitender Analyst beim Centre for Research on Energy and Clean Air. Die Organisation verfolgt die russischen Exporte fossiler Brennstoffe und ihre Rolle bei der Finanzierung des Ukraine-Krieges. "Es sieht so aus, als gäbe es einen Handel, bei dem russisches Rohöl in Indien raffiniert und dann teilweise in die USA verkauft wird."
Solange Indien und China bereit sind, Russland bei der Umgehung der westlichen Sanktionen zu unterstützen, wird das russische Öl nicht nur Abnehmer jenseits des Westens finden, sondern über Umwege auch in die westlichen Staaten gelangen. Die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten treiben weltweit auf die Preise nach oben, sodass die Rechnung der Sanktionen letztlich die Konsumenten im Westen tragen.
Es werden nun also mehr Schiffe eingesetzt, um Öl von Russland nach Indien und China zu transportieren, anstatt in die EU. Dafür bezieht die EU jetzt deutlich mehr Öl aus Saudi-Arabien. Aufgrund des hohen Ölpreises erhält Russland derzeit deutlich mehr Geld für sein Öl als vor Einführung der Sanktionen, obwohl es sein Öl unter Marktwert verkaufen muss, um Abnehmer zu finden.