Die chinesische Chip-Industrie boomt. Und das nicht trotz, sondern gerade aufgrund US-amerikanische Sanktionen gegen führende chinesische Tech-Konzerne wie Handyhersteller Huawei, Halbleiter-Produzent Semiconductor Manufacturing International Corp. (SMIC) oder Überwachungskonzern Hikvision. Diese hätten nämlich den "Appetit auf einheimische Komponenten angefacht", wie die US-Nachrichtenagentur Bloomberg vermeldet. Neunzehn der 20 in den letzten vier Quartalen am schnellsten wachsenden Unternehmen der Chipindustrie würden aus der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, so die von Bloomberg zusammengestellten Daten. Im letzten Jahr seien es zum gleichen Zeitpunkt hingegen nur acht Unternehmen gewesen.
Diese in China ansässigen Anbieter von Design-Software, Prozessoren und Geräten, die für die Chipherstellung unerlässlich sind, hätten ihren Umsatz im Vergleich zu weltweit führenden Firmen um ein Vielfaches gesteigert. Dieses rasante Wachstum unterstreiche, wie die Spannungen zwischen Washington und Peking die weltweite Halbleiterindustrie im Wert von 550 Milliarden Dollar verändern würden. Wohlgemerkt ist die Rede dabei von einem industriellen Sektor , der zunehmend wichtiger wird: Sei es im Bereich von disruptiven Technologien wie der Künstlichen Intelligenz oder Autonomen Systemen, aber auch für militärische Zwecke.
Sanktionen gegen China stellen sich als zweischneidiges Schwert heraus
Im Jahr 2020 begannen die USA, den Verkauf amerikanischer Technologie an chinesische Unternehmen zu beschränken. Grund für die Sanktionen und zunehmenden Rückzuge westlicher Unternehmen aus der Provinz Xinjiang vor allem massive Menschenrechtsverletzung Chinas gegenüber der muslimischen Minderheit der Uiguren. Dass Uiguren in Umerziehungslagern in Xinjiang interniert, misshandelt und sterilisiert werden, ist hinreichend dokumentiert, weswegen immer mehr westliche Unternehmen sich aus der Region zurückziehen. Doch die Sanktionen stellen sich zunehmend als zweischneidiges Schwert heraus.
Zwar wurde einerseits das Wachstum der sanktionierten Tech-Unternehmen eingedämmt, andererseits aber auch ein Boom in der chinesischen Chipherstellung und -versorgung ausgelöst. Während sich die Aktien von Unternehmen wie die des chinesischen Chip-Herstellers Cambricon Technologies Corp. seit ihren Tiefstständen in diesem Jahr mehr als verdoppelt haben, sagen Analysten laut Bloomberg, dass es noch Raum für Wachstum geben könnte. Es würde erwartet, dass Peking im Rahmen ehrgeiziger Programme wie dem "Little Giants"-Programm (zu Deutsch: "kleine Riesen"), mit dem nationale Tech-Champions unterstützt und finanziert werden sollen, Milliarden von Dollar in den Sektor investiert.
Null-Covid-Politik und Pekings Bevorzugung einheimischer Konzerne treiben Industrie an
Auch Pekings Politik, heimische Tech-Unternehmen bei der Auftragsvergabe zu bevorzugen, könne diesen helfen, die US-Sanktionen zu umgehen. Der Aufstieg einheimischer Namen habe, so Bloomberg, die Aufmerksamkeit einiger der wählerischsten Kunden geweckt: Apple Inc. soll Yangtze Memory Technologies Co. als seinen neuesten Lieferanten für iPhone-Flash-Speicher in Betracht ziehen. "Der größte zugrundeliegende Trend ist Chinas Streben nach Autarkie in der Lieferkette, katalysiert durch die Covid-bedingten Schließungen", betonte Morningstar-Analyst Phelix Lee gegenüber Bloomberg.
Angesichts der Null-Covid-Politik Chinas müssten chinesische Kunden, die hauptsächlich importierte Halbleiter verwenden, einheimische Alternativen beschaffen, um einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten, erklärt Lee. Im Mittelpunkt der Ambitionen Pekings stehe laut dem Bloomberg-Bericht jedoch der Impuls, sich von einem geopolitischen Rivalen und importierten Chipsätzen im Wert von über 430 Mrd. US-Dollar im Jahr 2021 zu lösen. Daten des Branchenverbands Semi zeigten, dass die Aufträge für Chipfertigungsanlagen von ausländischen Lieferanten im vergangenen Jahr um 58 % gestiegen seien, da die lokalen Werke ihre Kapazitäten erweitert hätten.
CSIA: Umsatz chinesischer Chip-Hersteller 2021 um 18 % auf Rekordwert gestiegen
Dies wiederum habe das lokale Geschäft angeheizt. Der Gesamtumsatz der in China ansässigen Chip-Hersteller und -Entwickler sei nach Angaben der chinesischen Halbleiterindustrie-Gesellschaft "China Semiconductor Industry Association" (CSIA) im Jahr 2021 sogar um 18 % auf einen Rekordwert von mehr als 1 Billion Yuan (150 Mrd. $) steigen. Der anhaltende Mangel an Chips, der die Produktion der weltgrößten Hersteller von Autos und Unterhaltungselektronik einschränkt, komme auch den chinesischen Chipherstellern zugute, da er chinesischen Anbietern den Zugang zum internationalen Markt erleichtere, manchmal auch mit Aufschlägen auf die meistverkauften Produkte, wie Auto- und PC-Chips, heißt es im Bloomberg-Bericht.
SMIC und Hua Hong Semiconductor Ltd., die größten Auftragsfertiger von Chips, hätten ihre Werke in Schanghai mit fast voller Kapazität in Betrieb gehalten, selbst als der schlimmste Covid-19-Ausbruch seit 2020 Fabriken und Logistik in ganz China lahmlegte. Mit Hilfe der örtlichen Behörden hätten Frachtflüge aus Japan wichtige Materialien und Ausrüstungen an die Chipfabriken geliefert, als die Stadt abgeriegelt wurde. SMIC habe laut Bloomberg vor kurzem sogar einen Anstieg des Quartalsumsatzes um 67 % vermeldet und damit die weitaus größeren Konkurrenten GlobalFoundries Inc. und TSMC übertroffen.
Ex-Google-Chef Schmidt: "Amerika steht kurz davor, den Chip-Wettbewerb zu verlieren"
Auch der Umsatz der Shanghai Fullhan Microelectronics Co. sei aufgrund der hohen Nachfrage nach Überwachungsprodukten um durchschnittlich 37 % gestiegen. Der Entwickler von Videochips habe zugesagt, in die Bereiche Elektrofahrzeuge und künstliche Intelligenz zu expandieren, nachdem er den Titel "Little Giant" erhalten hatte. Und der Entwickler von Designtools, Primarius Technologies Co., habe seinen Umsatz in den letzten vier Quartalen im Durchschnitt verdoppelt und erklärt, dass er Software entwickelt hätte, die bei der Herstellung von 3-Nanometer-Chips eingesetzt werden könne.
"Amerika steht kurz davor, den Chip-Wettbewerb zu verlieren", zitiert Bloomberg letztlich aus einer Kolumne im "Wall Street Journal" des Experten für internationale Beziehungen Graham Allison und des ehemaligen Google-Chef Eric Schmidt. "Wenn Peking dauerhafte Vorteile in der gesamten Halbleiter-Lieferkette entwickelt, würde es Durchbrüche in grundlegenden Technologien erzielen, mit denen die USA nicht mithalten können."