Die russische Regierung bestreitet, erstmals seit mehr als einem Jahrhundert mit dem Begleichen ihrer Auslandsschulden in Verzug geraten zu sein. In einem Telefonat mit Reportern sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow am Montag, Russland habe die im Mai fälligen Anleihezahlungen geleistet. Die Tatsache, dass sie vom Clearinghaus Euroclear wegen der westlichen Sanktionen gegen Russland blockiert worden seien, sei "nicht unser Problem".
Nach dem Ablauf der Zahlungs– und Schonfrist am Sonntagabend beklagten mehrere taiwanische Investoren, bislang keine der vereinbarten Zinszahlungen für ihre russischen Staatsanleihen erhalten zu haben, wie zwei mit der Angelegenheit vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Es geht um insgesamt rund 100 Millionen US-Dollar. Haben die Anleger das Geld nicht erhalten, wovon angesichts scharfer Finanzsanktionen des Westens auszugehen ist, wäre es der erste Zahlungsausfall auf Auslandsschulden seit dem Jahr 1918. Der jüngere Zahlungsausfall aus dem Jahr 1998 bezog sich auf von Inländern gehaltene Schuldtitel.
Für die US-Regierung steht fest, dass es sich um einen Zahlungsausfall handelt. "Die Nachrichten von heute Morgen über die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit Russlands - der ersten seit mehr als einem Jahrhundert - zeigen, wie stark die Maßnahmen sind, die die USA zusammen mit ihren Verbündeten und Partnern ergriffen haben", sagte ein US-Regierungsvertreter am Rande des G7-Gipfels in Deutschland. Die Folgen für die russische Wirtschaft seien "dramatisch".
Der russische Rubel wertete zunächst um zwei Prozent zum Dollar ab, lag zuletzt aber wieder im Plus.
Ratingagenturen: Kein Zahlungsausfall
Die Hintergründe des aktuellen Falls sind kompliziert und suchen ihren historischen Vergleich. Russland betont, wirtschaftlich in der Lage und auch Willens zu sein, seine Schulden zu bedienen. Dem stehen jedoch scharfe Sanktionen vornehmlich westlicher Länder entgegen, die als Reaktion auf den Krieg Russlands gegen die Ukraine ergriffen wurden. Deswegen kann Moskau weder auf den Großteil seiner Finanzreserven im westlichen Ausland zugreifen, noch heimische Reserven an westliche Gläubiger weiterleiten - weil viele russische Banken beispielsweise aus dem weltweit führenden Transaktionssystem Swift ausgeschlossen wurden.
Große Ratingagenturen, die normalerweise einen Zahlungsausfall feststellen würden, dürfen dies sanktionsbedingt derzeit nicht. Gläubigergemeinschaften, die versuchen könnten, ihre Ansprüche gegenüber Russland juristisch durchsetzen, sind bisher noch nicht öffentlich in Erscheinung getreten. Russlands Finanzminister Anton Siluanow hatte den drohenden Zahlungsausfall in der vergangenen Woche als «Farce» bezeichnet. Jeder, der die Vorgänge verstehe, wisse, dass es sich nicht um einen Zahlungsausfall handele.
Fachleute äußerten sich zunächst eher vorsichtig zu der Angelegenheit. Der sich abzeichnende Zahlungsausfall dürfte eher symbolischen Charakter haben, erklärten Analysten der Dekabank. Hintergrund ist, dass die unmittelbaren Folgen eines russischen Zahlungsausfalls zunächst als eher begrenzt gelten können. Zum einen ist Russland nicht stark verschuldet: Das Verhältnis von Gesamtschulden zu Wirtschaftsleistung beträgt derzeit etwa zwanzig Prozent, was im internationalen Vergleich wenig ist. Zum anderen liegt ein nur geringer Teil der Staatsschulden in den Händen ausländischer Gläubiger.
Die mittelfristigen Folgen des Ausfalls sind unterdessen schwer abzusehen. Zunächst müssten mindestens 25 Prozent der betroffenen Gläubiger einen formellen Zahlungsausfall feststellen. Ob sich daraus ein sogenannter Cross-Default ergeben würde, ist gegenwärtig fraglich. In diesem Fall würden nicht nur die vom aktuellen Zahlungsausfall betroffenen Anleihen, sondern alle Auslandsschulden Russlands als notleidend gelten. Diesen Fall wollte Russland zwar zuletzt ausschließen. Ob solche einseitigen Schritte aber vor internationalen Gerichten Bestand hätten, kann zumindest als zweifelhaft gelten. In der Folge könnte sich also ein längerer juristischer Streit zwischen Russland und seinen Gläubigern anbahnen.