Politik

Angriffsdrohungen und ein mysteriöser Brief: Lukaschenko und der Krieg

Lesezeit: 3 min
05.07.2022 11:50
Der weißrussische Machthaber gilt zwar als Unterstützer Putins, hielt sich bislang aber aus dem Ukraine-Krieg raus. Dann kamen die jüngsten Angriffsdrohungen Lukaschenkos gegenüber dem Westen – und ein Brief explosiven Inhalts, bei dem es sich mutmaßlich um einen Fake handelt.
Angriffsdrohungen und ein mysteriöser Brief: Lukaschenko und der Krieg
Wladimir Putin (re.), Präsident von Russland, und Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus, bei einem Treffen. (Foto: dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP | Mikhail Metzel)

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Am vergangenen Wochenende warf der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko der Ukraine vor, Raketenangriffe auf sein Land durchgeführt zu haben. „Wir werden provoziert. Vor rund drei Tagen, vielleicht mehr, wurde von der Ukraine aus versucht, militärische Ziele in Belarus anzugreifen“, betonte Lukaschenko am Samstag laut der staatlichen weißrussischen Nachrichtenagentur Belta.

„Gott sei Dank“ hätten die weißrussischen Luftabwehrsysteme jedoch „alle Raketen abgefangen, die von den ukrainischen Truppen abgefeuert wurden“. „Wie ich vor mehr als einem Jahr gesagt habe, wir haben nicht die Absicht, in der Ukraine zu kämpfen“, erklärte er zudem. Dem Westen drohte Lukaschenko darüber hinaus mit sofortigen Reaktionen auf etwaige Angriffe: „Vor weniger als einem Monat habe ich den Einheiten der Streitkräfte den Befehl gegeben, die – wie man jetzt sagen kann – Entscheidungszentren in ihren Hauptstädten ins Visier zu nehmen“

Lukaschenko: „Fassen Sie uns nicht an – und wir werden Sie nicht anfassen“

„Fassen Sie uns nicht an – und wir werden Sie nicht anfassen“, fügte der 67-jährige Politiker hinzu, der noch Ende vergangenen Jahres aktiv Menschen aus dem nahen Osten einfliegen ließ, in dem Wissen darüber, dass diese EU-Grenzen teilweise gewaltsam attackieren würden. Im Zusammenhang mit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat sich Minsk bislang jedoch eher zurückgehalten. Gleichsam unterstützte das Land die russische Invasion der Ukraine offen: Vor dem Angriff auf Kiew waren russische Truppen in Weißrussland stationiert.

Außerdem hatte Lukaschenko im Februar bereits selbst zugegeben, dass Russland zwei Raketen von weißrussischem Boden aus abgefeuert habe. Damals dementierte er auch den Einsatz weißrussischer Soldaten an der Seite der russischen Invasoren. „Dort gibt es keine einzige belarussische Patrone“, betonte er, wies aber gleichzeitig auch darauf hin, dass Weißrussland Russland „natürlich“ bei seinem Krieg helfe – beispielsweise durch die Versorgung von verwundeten Mitgliedern der russischen Armee, die am 24. Februar in der Ukraine einmarschiert war.

Weißrussische Generäle wollen laut mysteriösem Brief an Lukaschenko nicht am Krieg teilnehmen

Etwa zeitgleich zur Angriffsdrohung Lukaschenkos vor wenigen Tagen lud der Journalist Alex Kokcharov Fotoaufnahmen eines mehrseitigen Dokuments auf Twitter hoch und kommentierte es wie folgt: „In Belarus hat eine Gruppe hochrangiger Offiziere einer Spezialeinheit, vom Hauptmann bis zum Oberst, Berichten zufolge einen offenen Brief an den Machthaber Lukaschenko unterzeichnet, der sich offen gegen eine mögliche belarussische Beteiligung am Einmarsch Russlands in der Ukraine ausspricht.“

Inhaltlich würde in dem Brief erklärt, so Kokcharov, dass es sich bei Putins Krieg in der Ukraine um einen illegalen Eroberungskrieg handle. Eine Beteiligung Weißrusslands sei in Anbetracht der Sanktionen und des Kriegs selbstmörderisch. Die Offiziere seien bereit ihr Vaterland gegen fremde Mächte zu verteidigen, wollten sich an einem barbarischen Krieg in einem anderen Land beteiligen. Ein Brief explosiven Inhalts, der auf Twitter über tausendfach geteilt wurde – und dennoch ein Fake zu sein scheint.

Weißrussische Cyber-Partisanen ordnen den Brief als mutmaßlichen Fake ein

Das behauptete jedenfalls eine weißrussische Dissidentengruppe unter dem Posting Kokcharovs: „Bei dem Brief handelt es sich höchstwahrscheinlich um einen Fake.“ Die Recherche der Oppositionellen, die sich selbst als „Cyber-Partisanen“ bezeichnen, habe auf Basis gehackter weißrussischer Datenbanken gezeigt, dass die Unterschriften unter dem vermeintlichen Brief an Lukaschenko nicht mit den tatsächlichen Unterschriften der aufgeführten Offiziere übereinstimmen würden.

Interessant sei jedoch, so die Dissidenten, dass diese Offiziere dennoch in der im Brief genannten Einheit gedient hätten. Außerdem sei der militärische Rang, den einer der aufgeführten Soldaten bekleidet, in seinem jungen Alter eigentlich unerreichbar. Prompt wies Kokcharov die Leser seines Postings auf die Möglichkeit hin. Er selbst hatte zuvor jedoch auch auf diese Möglichkeit hingewiesen: „Dies könnte von Lukaschenko inszeniert worden sein, um Putin zu zeigen, warum er nicht in der Lage sei, sich Russlands Krieg in der Ukraine anzuschließen.“

Lukaschenko gibt dem Westen Rätsel auf

Auf die Rückfrage eines Twitter-Nutzers hin führt der Journalist aus: „Russland ist im Februar offen in die Ukraine einmarschiert und wollte, dass Weißrussland sich so gut wie sofort an der Invasion beteiligt. Jetzt haben wir Juli, und Weißrussland hat sich immer noch nicht an der russischen Invasion beteiligt.“ Es ist gut denkbar, dass die Motive des mutmaßlichen Fake-Briefs vor Ende des Krieges nicht mehr ans Tageslicht kommen werden.

Die Urheber könnten von jeder Seite stammen und jeweils unterschiedliche Interessen mit dem Brief verknüpft haben. Mit seiner ambivalenten Haltung zu einer Beteiligung Weißrusslands an der russischen Invasion der Ukraine gibt Lukaschenko den politischen Entscheidungsträgern des Westens jedoch zweifellos Rätsel auf.


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