Finanzen

Das sagen Ökonomen zur historischen Zinswende der EZB

Nach zehn Jahren vollzieht die EZB eine Zinswende mit einer kräftigen Erhöhung auf 0,50 Prozent. Weitere Straffungen sind wahrscheinlich. Das sagen führende Ökonomen zu diesem Vorgang.
21.07.2022 15:03
Lesezeit: 3 min

Nach ihrer historischen Zinswende signalisiert die Europäische Zentralbank (EZB) eine weitere Straffung ihrer Geldpolitik. Bei den kommenden Sitzungen des EZB-Rats werde eine weitere Normalisierung der Zinssätze angemessen sein, kündigten die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde am Donnerstag an. Der EZB-Rat werde zudem zu einem Ansatz übergehen, bei dem Zinsbeschlüsse von Sitzung zu Sitzung gefasst würden. „Der künftige Leitzinspfad des EZB-Rats wird weiterhin von der Datenlage abhängen und dazu beitragen, dass das Inflationsziel des EZB-Rats von zwei Prozent auf mittlere Sicht erreicht wird.“ Der Rat hat in seiner Juli-Sitzung bereits den Leitzins von Null auf 0,50 Prozent angehoben. Dies war die erste Zinserhöhung sei 2011.Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag, den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz überraschend deutlich, um einen halben Punkt auf 0,50 Prozent zu erhöhen. Die Zinswende der EZB gilt als historisch: Zuletzt hatte sie 2011 den Preis des Geldes verteuert.

Analysten und Wirtschaftsvertreter sagten dazu in ersten Reaktionen:

Friedrich Heinemann, ZEW-Institut: „Es ist gut, dass sich der EZB-Rat zu einem großen Zinsschritt durchgerungen hat. Die Rückkehr der Inflation in den Zielbereich ist nicht absehbar. Noch dazu wird die sehr hohe Konsumentenpreisinflation allmählich auch zur Lohninflation, damit kommt die Lohn-Preis-Spirale in Schwung. Der EZB-Rat musste in dieser Lage endlich Entschlossenheit signalisieren, um die Inflationserwartungen einzudämmen. Während die Zinsentscheidung somit zu begrüßen ist, birgt das neue Transmissionsschutz-Instrument große Gefahren. Die EZB wird damit immer mehr zur Instanz, die über die Finanzierbarkeit hoher Staatsschulden und damit auch über das Schicksal von Regierungen entscheidet. Das ist nicht mit der geldpolitischen Aufgabe einer unabhängigen Zentralbank vereinbar.“

Michael Heise, Chefökonom HQ Trust: „Es werden weitere Zinsschritte folgen, die den Leitzins der EZB zum Jahresende auf 1,0 Prozent und den Einlagensatz wohl auf 0,5 Prozent bringen werden. Eine einigermaßen neutrale Geldpolitik dürfte allerdings erst bei einem Zinsniveau um die zwei Prozent erreicht sein. Die in den vergangenen Jahren beliebten Modellberechnungen, die das inflationsstabile Zinsniveau im negativen Bereich verortet haben, haben sich als Irrlichter für die Zentralbanken erwiesen.

Dass die Ankündigungen der EZB zum Anti-Fragmentierungsinstrument einigermaßen vage geblieben sind, ist der Lage angemessen. Anleihekäufe zur Kontrolle von Risikoprämien für hoch verschuldete Länder stünden sehr schnell im Konflikt mit dem Verbot der Staatsfinanzierung und mit der Einhaltung der länderspezifischen Quoten bei Anleihebestand. Ökonomisch bedeuten Anleihekäufe eine Ausweitung der Geldmenge, die die Inflation weiter verstärken könnten.“

Christian Ossig, Bundesverband Deutscher Banken (BDB): „Mit der Erhöhung der Leitzinsen um 50 Basispunkte stellt sich die EZB der Inflation entschlossen entgegen. Damit beenden die europäischen Währungshüter endlich nach acht Jahren die Phase der Negativzinspolitik. Sie zeigen damit, dass sie die hohe Inflation nicht dauerhaft hinnehmen wollen. Das ist auch ein wichtiges Signal an die Tarifparteien.“

Jörg Asmussen, Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV): „Die erste Zinserhöhung seit 2011 ist zweifellos ein besonderer Moment. Sie kommt spät, ist aber richtig. Die Kapitalmärkte haben die Zinswende seit längerem eingepreist. Die heutige Erhöhung um 50 Basispunkte ist – trotz der Vorankündigung einer Zinserhöhung um 25 Basispunkte – durch die Datenlage für die Eurozone gerechtfertigt. Zugleich ist sie ein symbolträchtiger Schritt, der die Negativzinsphase beendet. Dennoch kann die heutige Zinserhöhung nur ein erster Schritt in einer Reihe gewesen sein.“

Bastian Hepperle, Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank: „Letztlich war der Inflationsdruck doch zu groß und die Inflationsaussichten zu schlecht, so dass sich der EZB-Rat zu einem großen Leitzinsschritt durchgerungen hat. Das Ende der Negativzinspolitik ist damit besiegelt. Es bleibt dennoch ein schaler Beigeschmack, da EZB-Präsidentin Christine Lagarde bis zuletzt einen großen Zinsschritt erst für September in Aussicht gestellt hatte. Dass sie es sich binnen kurzer Frist anders überlegt hat, trägt nicht zu einer besseren Berechenbarkeit der geldpolitischen Entscheidungen bei. Weitere Leitzinserhöhungen werden folgen. Für September zeichnet sich ein weiter großer Zinsschritt ab. Danach steht jedoch ein schwierigeres Konjunkturumfeld bevor. Außerdem dürften viele Euro-Schuldenländer dafür sorgen, dass der Umfang an Zinserhöhungen nicht aus dem Ruder läuft. Zu diesen Ländern gehören auch die meisten Befürworter für das bereits genehmigte Anti-Fragmentierungsinstrument. Das wird als notwendig für eine ordnungsgemäße geldpolitische Transmission gesehen, doch die EZB läuft damit Gefahr, sich noch mehr der fiskalischen Dominanz auszusetzen. Anreize zu einer soliden Finanzpolitik werden damit untergraben. Um die innere Stärke des Euroraums steht es weiterhin nicht gut.“

Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank: „Es ist gut, dass sich die EZB heute zu einem großen Zinsschritt von einem halben Prozentpunkt durchgerungen hat. Aber das kann nur ein Anfang sein. Der Euroraum mit seinem tiefgreifenden Inflationsproblem braucht eine Serie großer Zinsschritte, um den Leitzins rasch über das sogenannte neutrale Niveau zu bringen, das wir bei knapp drei Prozent sehen. Nur dann würde die EZB die Konjunktur nicht mehr anfachen, so dass die Inflation mittelfristig wieder sinken würde. Aber die EZB schielt auf die hoch verschuldeten Länder wie Italien, die weiter auf niedrige Leitzinsen drängen dürften, obwohl die EZB heute ein Hilfsprogramm für diese Länder beschlossen hat. Die Inflation dürfte noch viele Jahre deutlich über den versprochenen zwei Prozent liegen.“

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