Politik

Putins Schachzug: Geostrategisch bedeutende Handelsroute in Betrieb genommen

Erstmals sind Waren auf dem „Nord-Süd-Korridor“ bewegt worden. Dieser hat das Potenzial, ein geostrategischer „Game Changer“ zu sein.
22.07.2022 14:00
Lesezeit: 2 min

Erstmals überhaupt sind vor einigen Wochen Waren auf dem sogenannten „Nord-Süd-Korridor“ bewegt worden – ein Meilenstein in der Entwicklung dieser geostrategisch äußerst bedeutsamen Handelsroute.

Über den „Nord-Süd-Korridor“ sollen Warenströme zwischen Russland, dem Iran und Indien abgewickelt werden. Dabei werden Produkte etwa von Russland aus per Schiff über das Kaspische Meer in den nördlichen Iran gebracht, von wo aus sie - auf Eisenbahnen umgeladen – in den Süden des Landes an den Persischen Golf verfrachtet werden. Dort findet eine erneute Umladung auf Schiffe statt, welche schließlich Häfen an der Westküste Indiens ansteuern.

Das Großprojekt wurde im Jahr 2000 von Russland, Indien und dem Iran lanciert. 2002 folgte eine entsprechende Vereinbarung. Knotenpunkte der Strecke sind der russische Hafen Astrachan am Kaspischen Meer sowie die iranischen Häfen Anzali im Norden und Bandar Abbas im Süden und die westindischen Häfen Nhawa Schewa in der Metropolregion Mumbay und Mundra weiter im Norden.

Wie das Branchenmagazin India Shipping News berichtet, wurden Mitte Juni nun die ersten Güter auf der Strecke von Russland nach Indien bewegt. Es handelte sich demnach um zwei Container mit Holzlaminat, die von Sankt Petersburg aus ihre Reise antraten.

Ökonomische Vorteile

Der Korridor bietet den daran beteiligten Ländern wirtschaftliche Anreize. So wird die Reisezeit zwischen Russland und Indien von rund 40 Tagen auf etwa 25 Tage deutlich reduziert, weil die längere Alternativroute durch das Schwarze Meer, das Mittelmeer, den Suez-Kanal, das Rote Meer und den Indischen Ozean vermieden wird.

India Shipping News zitiert den Vorsitzenden des Verbands indischer Exporteure mit Kalkulationen, wonach die Nutzung des „Nord-Süd-Korridors“ auch die Reisezeit zwischen Indien und den zentralasiatischen Staaten um 40 Prozent und die Kosten um 30 Prozent reduzieren kann.

Geostrategische Vorteile

Noch bedeutsamer als die wirtschaftlichen sind die geostrategischen Vorteile, die der Korridor bietet. Er ermöglicht Russland einen geregelten Handelsaustausch mit den warmen Weltmeeren unter Umgehung des Suez-Kanals und der kritischen Meerengen von Bosporus und Dardanellen, die vom Nato-Land Türkei kontrolliert werden.

Insbesondere seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine und der Verhängung schwerer Wirtschaftssanktionen ist Moskau an einem Handelskorridor gelegen, auf den die USA keinen Einfluss ausüben können. Denn entlang der Route finden sich weder Nato-Länder noch Verbündete der USA: Die zentralasiatischen Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres sind vornehmlich der russischen Einflusssphäre zuzurechnen und der Iran ist ohnehin ein geopolitischer Rivale der USA, der seit Jahren unter US-Sanktionen leidet.

Der „Nord-Süd-Korridor“ kann darüber hinaus auch eine Rolle im Rahmen der zunehmenden eurasischen Integration spielen, etwa mit Blick auf das chinesische Infrastrukturprojekt der „Neuen Seidenstraße“ oder im Rahmen des BRICS-Formates, dem sowohl Russland als auch Indien angehören und Teil dessen Berichten zufolge auch der Iran werden will.

Die verstärkte Kooperation Indiens mit Russland verleiht dem Korridor eine zusätzliche Bedeutung: Neu Delhi kauft künftig verstärkt russische Energieträger und auch Waffen und ist angesichts drohender US-Sanktionen ebenfalls auf die politisch neutralere Iran-Route angewiesen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Wöchentliche Höchstarbeitszeit geplant: Schub für die Wirtschaft oder kontraproduktiv?
04.06.2025

Steht der 8-Stunden-Arbeitstag auf der Kippe? Die Bundesregierung will statt einer täglichen Höchstarbeitszeit eine wöchentliche...

DWN
Politik
Politik Trump zündet den Handelskrieg – doch Europa hat das bessere Spiel
03.06.2025

Donald Trump droht mit Strafzöllen, doch Europas Antwort steht längst: Mit stabilen Finanzen und strategischem Kurs könnte die EU zum...

DWN
Politik
Politik Vergessener Kontinent: Afrikas Fluchtkrisen- Milliarden fehlen für humanitäre Hilfe
03.06.2025

Fluchtkrisen in Afrika schneiden bei medialer Aufmerksamkeit, Hilfsgeldern und politischem Engagement besonders schlecht ab. Kamerun ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis aktuell: Rücksetzer nach Kurssprung – was Anleger jetzt wissen müssen
03.06.2025

Der Goldpreis ist auf Richtungssuche – trotz Krisen und Zinssorgen. Was steckt hinter der aktuellen Entwicklung, und wie sollten Anleger...

DWN
Politik
Politik Krim-Brücke: Ukrainischer Geheimdienst SBU meldet Angriff auf Kertsch-Brücke
03.06.2025

Die Krim-Brücke ist erneut Ziel eines spektakulären Angriffs geworden. Doch wie schwer sind die Schäden wirklich – und was bedeutet...

DWN
Politik
Politik Ehemalige US-Generäle zur Operation der Ukraine in Russland: Militärische Leistung, die dem Trojanischen Pferd gleichkommt
03.06.2025

Mitten in die Verhandlungen trifft Russland ein Schlag, der tief sitzt: Eine ukrainische Drohnenoffensive zerstört rund 40 strategische...

DWN
Politik
Politik Brüssels Pensionsflop: Milliardenvision scheitert kläglich
03.06.2025

Mit großem Tamtam gestartet, nun ein Desaster: Der EU-weite Rentenplan PEPP sollte Milliarden mobilisieren – doch kaum jemand macht mit....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ungenutztes Potenzial auf dem Arbeitsmarkt: Rekordteilzeit in Deutschland
03.06.2025

Teilzeit-Weltmeister Deutschland hat noch einmal nachgelegt: Die Teilzeit-Quote stieg im ersten Quartal auf einen neuen Rekord. Wie viele...