Unternehmen

China wird für deutsche Industrie zum Risiko-Standort

Lesezeit: 3 min
11.08.2022 10:48  Aktualisiert: 11.08.2022 10:48
Ein chinesischer Überfall auf Taiwan ist eine reale Gefahr. Den deutschen Unternehmen, die Milliardensummen in China investiert haben, drohen massive Verluste.
China wird für deutsche Industrie zum Risiko-Standort
Militärübung vor Taiwan. Mehrere Bundesregierungen und die EU haben deutsche Unternehmen in China in eine Falle gelockt. (Foto: dpa)
Foto: Lin Jian

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Angesichts der Pekinger Drohungen gegen Taiwan und zunehmender politischer Spannungen wird die deutsche Industrie im Umgang mit China vorsichtiger. Eine Entkopplung hält BDI-Präsident Siegfried Russwurm nicht für sinnvoll, doch ruft er die Unternehmen auf, die Risiken stärker in den Blick zu nehmen und die Abhängigkeiten von einzelnen Ländern zu verringern. «Der russische Überfall auf die Ukraine hat uns gelehrt, dass wir gegenüber autokratischen Staaten besser auf Extremszenarien vorbereitet sein müssen», sagte Russwurm.

«Wir sollten die Wirtschaftsbeziehungen zu China auch im Kontext des neuen Systemwettbewerbs nicht grundsätzlich in Frage stellen», sagte der frühere Siemens-Manager. Doch die bessere Vorbereitung auf «Extremszenarien» sollte nach Russwurms Einschätzung auch für China gelten. «Wir kennen die gegenwärtig starken Abhängigkeiten von Halbleitern aus Taiwan oder bei seltenen Erden aus China und müssen unsere Resilienz erhöhen.»

Laut Bundesbank hatten deutsche Unternehmen Ende 2020 knapp 90 Milliarden Euro in China investiert. Nach Kräften gefördert wurde das wirtschaftliche Engagement in der weltgrößten Diktatur von der deutschen Politik: Seit Franz Josef Strauß im Januar 1975 als erster nach Peking flog, pilgerten deutsche Spitzenpolitiker in Serie nach China. Man dürfe China nicht am Maßstab westlicher Demokratien messen, lautete ein Lehrsatz des langjährigen CSU-Chefs.

Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) erklärte die «Wiedervereinigung» Taiwans mit China für quasi unvermeidlich - obwohl eine überwältigende Mehrheit der Taiwaner die Einverleibung ablehnt. Angela Merkel (CDU) führte gemeinsame deutsch-chinesische Regierungskonsultationen ein.

Im Nachhinein erscheine vieles an der deutschen Chinapolitik naiv, sagt Bernhard Bartsch, Fachmann am Berliner Mercator-Institut für Chinastudien. «Man darf aber nicht vergessen, dass das China, mit dem wir es heute zu tun haben, ein anderes ist als vor zehn Jahren.»

Deutsche Politik hat Wechsel verschlafen

Die deutsche Politik der späten Merkel-Jahre habe sich «viel zu langsam darauf eingestellt, dass wir es mit einem China zu tun haben, das sich in einem fundamentalen Systemkonflikt zum Westen sieht und seine wirtschaftliche Macht politisch ausspielt», sagt Bartsch. «Dafür brauchen wir eine ganz andere Politik als in den Jahrzehnten zuvor.» Diese Politik sei lange Zeit sehr zum Nutzen der deutschen Wirtschaft gewesen - «hat aber die Abhängigkeiten erzeugt, vor denen wir jetzt stehen.»

In den vergangenen Jahren versuchte die Bundesregierung ebenso wie die EU, sich aus den wachsenden Spannungen zwischen China und den USA herauszuhalten. 2017 sprach Merkel von einer «strategischen Partnerschaft» mit Peking. 2019 stufte die EU-Kommission China in einem Strategiepapier zwar als «systemischen Rivalen» ein, aber gleichzeitig als «Kooperationspartner». Doch je unverhohlener China mit einem Krieg gegen Taiwan droht, desto mehr sind die Europäer gezwungen, Position zu beziehen.

Das ist auch den Spitzen der deutschen Wirtschaft klar: «Wir sind fest im transatlantischen Bündnis verortet», sagte BDI-Präsident Russwurm im Juni unter Beifall auf dem Tag der Industrie. «Es gibt für uns keine Äquidistanz im Verhältnis der EU zu den USA und zu China.»

Die chinesische Kommunistische Partei hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder bekräftigt, dass sie einen Angriff auf Taiwan nicht ausschließt, doch die jüngsten Militärmanöver rings um die Insel stellen eine neue Eskalationsstufe dar.

«Die chinesische Führung ist dabei, den Status Quo in der Taiwan-Frage schrittweise zu verschieben», sagt Bartsch. «Das ist in erster Linie ein Konflikt zwischen den beiden Großmächten China und USA, aber von einer Eskalation wäre die ganze Welt betroffen. Auch Deutschland und Europa müssen das in ihre Risikokalkulationen einbeziehen.»

Bartsch glaubt nicht, dass ein militärischer Konflikt unmittelbar bevorsteht. «Trotzdem ist das ein Szenario, das in den USA ernsthaft durchdacht wird, und über mögliche Konsequenzen sollten wir uns auch in Europa klar werden.»

Zu den Konsequenzen zähle wirtschaftlicher Druck, den China gegen deutsche Unternehmen aufbaue. «Es gibt viele Beispiele, dass China Länder und Unternehmen bestraft, wenn es politische Spannungen gibt.»

Deutsche Unternehmen sollten vorsorgen

In letzter Konsequenz bedeuten die von Russwurm angesprochenen «Extremszenarien»: Deutsche Unternehmen wären gut beraten, Vorsorge für den Fall eines chinesischen Angriffs auf Taiwan zu treffen. Ein Krieg im Fernen Osten würde die Wirtschaftsbeziehungen zu China aller Voraussicht nach ebenso schnell zum Erliegen bringen wie die Lieferungen der für die gesamte Weltwirtschaft bedeutenden High-Tech-Chips aus Taiwan.

Und auch ohne Taiwan-Konflikt ist das Chinageschäft schwieriger geworden. Russwurm spricht von «erheblichen Asymmetrien und ungleichen Wettbewerbsbedingungen». Das Geschäftsumfeld für deutsche und europäische Unternehmen sei politischer geworden. Die Lebensbedingungen für entsandte Arbeitskräfte haben sich deutlich verschlechtert, wie nicht nur der BDI-Chef berichtet. Viele deutsche Manager haben das Land in diesem Jahr wegen der drakonischen Covid-Restriktionen verlassen. «Das alles belastet den langfristigen Ausblick.»

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

 

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Ursachen, Folgen und Lösungen
22.12.2024

So können Unternehmen gegen verbale Übergriffe aktiv werden- Beleidigungen, Drohungen und Beschimpfungen: Rund ein Drittel der...

DWN
Finanzen
Finanzen Kindergeld beantragen: Tipps und wichtige Infos für 2025
22.12.2024

Wussten Sie, dass Sie Kindergeld bis zu sechs Monate rückwirkend erhalten können? Dies gilt sowohl für Ihr erstes Kind als auch für...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Märchen vorbei? Steht Deutschlands Automobilindustrie vor dem Aus?
22.12.2024

Volkswagen in der Krise, Mercedes, BMW & Co. unter Druck – und hunderttausende Jobs stehen auf dem Spiel. Wie kann der Kampf um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Credit Suisse-Debakel: Ausschuss sieht Schuld bei Bank
22.12.2024

Die Nervosität an den Finanzmärkten war im Frühjahr 2023 groß - drohte eine internationale Bankenkrise? Für den Schweizer...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Volkswagen-Deal: Worauf sich VW und die IG Metall geeinigt haben
22.12.2024

Stellenabbau ja, Werksschließungen nein: Mehr als 70 Stunden lang stritten Volkswagen und die IG Metall um die Sparmaßnahmen des...

DWN
Technologie
Technologie Webasto-Geschäftsführung: „Der Einsatz von KI ist eine strategische Notwendigkeit“
22.12.2024

Angesichts des wachsenden Drucks durch die Transformation hin zur Elektromobilität und steigender Kosten in der Branche sprechen Markus...

DWN
Panorama
Panorama Vollgas in die Hölle: Arzt gab sich als Islamkritiker und Musk-Fan - wirr, widersprüchlich!
21.12.2024

Er galt bei den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Kritiker des Islams. Er kämpfte für Frauenrechte und...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...