Finanzen

Zinn: Das oft übersehene Technologiemetall

Lesezeit: 5 min
17.08.2022 16:14
Zinn wird im Rohstoffsektor gerne übersehen, dabei trägt es sein etwas angestaubtes Image vollkommen zu Unrecht.
Zinn: Das oft übersehene Technologiemetall
Schon im 14. Jahrhundert wurde im Erzgebirge Zinn abgebaut. (Foto: dpa)
Foto: Sebastian Willnow

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die interessantesten Gelegenheiten finden sich auch im Rohstoffsektor oft Abseits der üblichen Verdächtigen, daher lohnt es sich, an dieser Stelle einmal auf einen dieser Kandidaten aus der zweiten Reihe aufmerksam zu machen. Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Elektrifizierung der Welt liegt der mediale Fokus nach wie vor eher auf offensichtlichen Profiteuren, wie beispielsweise Kupfer oder den Seltenen Erden, und je exotischer deren Name, desto besser. Zinn wird in diesem Zusammenhang gerne übersehen, dabei trägt es sein etwas angestaubtes Image vollkommen zu Unrecht. Die Unverzichtbarkeit dieses Basismetalls, insbesondere im Bereich elektronischer (Zukunfts-)Technologie, ist vielen nicht bewusst, ebenso wenig, wie eine aussichtsreiche Investitionsmöglichkeit mit „Home Bias“.

In der Elektronik unverzichtbar

Bei Zinn handelt es sich um eines der ältesten dem Menschen bekannten Metalle. Schon vor mehr als 2.000 Jahren v. Chr., mit Beginn der Bronzezeit in Mitteleuropa, wurde Kupfer mit Zinn versetzt, um dieses fester und leichter gießbar zu machen. Zinn hat einen niedrigen Schmelzpunkt, ist verformbar, korrosionsbeständig und lässt sich leicht mit anderen Metallen legieren. Außerdem ist es ungiftig und leicht zu recyclen - Eigenschaften, die in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben und die auch zukünftig immer wichtiger werden. Dabei sind die Einsatzgebiete von Zinn sehr vielfältig. Neben der Verwendung in der Lebensmittelindustrie, dort als Bestandteil von Verpackungen, Getränkedosen und anderen Behältern, kommt Zinn auch in der chemischen und Glasindustrie sowie bei der Herstellung von Weißblech und, nach wie vor, Bronze zum Einsatz. Auch in der Medizintechnik spielt das Metall eine wichtige Rolle. Zu den relativ neuen Nutzungen für Zinn gehört die Verwendung in wiederaufladbaren Batterien. Eine weitere potenziell wichtige Anwendung könnten Nickel-Zinn-Aluminium-Katalysator für die Herstellung von Wasserstoff für Brennstoffzellen sein, in Konkurrenz zu Platin. Durch die hervorragende elektrische Leitfähigkeit dieses Materials liegt das hauptsächliche Einsatzgebiet jedoch in der Verwendung in Lötlegierungen, mit denen Komponenten auf Leiterplatten in elektronischen Geräte aller Art verbunden werden. Zudem ist Zinn ein wichtiger Halbleiterbestandteil.

Hochvolatiles Preisgeschehen

Als volumenmäßig kleinster der eisenfreien Metallmärkte wird der Zinnmarkt nur dünn gehandelt. Diese Illiquidität sorgt für gehörige Volatilität, was seit Mitte der 1970er Jahre immer wieder für sehr beeindruckende Preisbewegungen sorgt. Dabei fungiert die Londoner Metallbörse (LME) als Dreh- und Angelpunkt für die Zinnpreise, und die dort gehandelten Terminkontrakte stellen weltweite Referenzpreise dar. Produzenten und ihre Kunden vereinbaren in der Regel Geschäfte auf Grundlage des LME-Preises. Nachdem der Zinnpreis in der jüngeren Vergangenheit einige ruhige Jahre im Bereich zwischen 18.000 und rund 22.000 Dollar pro Tonne verbrachte, brach dieser angesichts der umfänglichen Corona-Nachfragepanik im März 2020 bis auf knapp 13.000 Dollar ein. Im Zuge der dann folgenden, breit angelegte Rohstoff-Rally erreichte Zinn nahezu exakt zwei Jahre später sein bisheriges Allzeithoch bei knapp 50.000 Dollar pro Tonne. Die Angst vor einer die Nachfrage untergrabenden globalen Rezession, einer weltweit strafferen Geldpolitik und anhaltenden, durch das Coronavirus induzierte Lockdowns in China, hat jedoch auch dieses Metall erfasst und zu einem tiefen Ausverkauf geführt. Mittlerweile pendelt Zinn wieder um die Marke von 25.000 Dollar herum, gut 50 Prozent unterhalb seines Rekordhochs. Ein Niveau, welches seit März 2021 nicht mehr erreicht wurde.

Dabei wird die sich hier seit Ende Juni vollziehende Bodenbildung durch die Fundamentaldaten des Zinnkomplexes gestützt. Megatrends, wie beispielsweise der Ausbau von Elektromobilität und erneuerbaren Energien, hier insbesondere das für Zinn besonderes relevante Wachstum der Fotovoltaik-Kapazitäten, sowie der Ausbau der 5G-Infrastruktur, bergen erhebliches Nachfragepotenzial. Darüber hinaus stagnierte die weltweite Produktion in den letzten zehn Jahren im Bereich von rund 370.000 Tonnen pro Jahr, zum einen aufgrund mangelnder Investitionen großer Bergbauunternehmen, aber auch, da in jüngster Zeit Coronavirus-Ausbrüche die Produktion insbesondere in Indonesien und Malaysia unterbrachen. Zudem stützen die weiterhin hohen Energiepreise, die traditionell zu den Hauptkostenblöcken des Sektors zählen. Sollte die vielfach erwartete und mittlerweile umfassend eingepreiste Weltrezession ausbleiben (oder mindestens weniger tiefgreifend ausfallen, als befürchtet), dürfte das aktuelle Preisniveau der Startblock für die nächste Preisrally sein.

Auch Deutschland ist wieder Produktionsstandort

Die Versorgung mit Zinn ist weitgehend vom Bergbau und der Raffination zinnhaltiger Erze abhängig. Primärvorkommen im sogenannten Hartgestein machen etwa 30 Prozent der Reserven aus und werden im Tagebau und unter Tage abgebaut, insbesondere in Peru, Brasilien, Bolivien und Australien. Die restlichen Lagerstätten, die ursprünglich aus der Verwitterung und Erosion von Primärvorkommen stammen, liefern rund 70 Prozent der weltweiten Zinnreserven und finden sich vorwiegend in Flussbetten und am Meeresgrund in Küstennähe. Die meisten dieser Lagerstätten liegen im sogenannten Zinngürtel Ost- und Südostasiens, der sich von China über Thailand, Myanmar und Malaysia bis nach Indonesien erstreckt und können größtenteils leicht zugänglich im Tagebau abgebaut werden. Das Geschäftsumfeld in vielen Förderländern ist für ausländische Bergbauunternehmen jedoch sehr unsicher. Drohende Verstaatlichung der Betriebe, Exportsteuern oder -quoten, steigende Lizenzgebühren oder auch zunehmende gewerkschaftliche Aktivitäten der Minenarbeiter stellen erhebliche Risiken in den politisch wie gesellschaftlich oft instabilen Jurisdiktionen dar. Vor diesem Hintergrund besonders interessant ist der Umstand, dass nun auch das heimatliche Sachsen wieder als Produktionsstandort von sich reden macht. Damit nimmt die Region im Osten der Republik seine lange, bis in das Mittelalter zurückreichende, Erzbergbautradition wieder auf, nachdem kurz nach der Wende aus Rentabilitätsgründen zunächst einmal Schluss damit war.

FIRST TIN Ltd. mit Potenzial

Auch wenn die Deutschen Wirtschaftsnachrichten kein Börsenmagazin im eigentlichen Sinne sind, sei an dieser Stelle kurz auf eine interessante Investitionsmöglichkeit hingewiesen, hat doch mit FIRST TIN (GB00BNR45554) ein zwar in Großbritannien registriertes, aber „sächsisch“ geführtes Bergbauunternehmen unter anderem eben dort seine Tätigkeit aufgenommen (in eigener Sache: ein Interessenskonflikt besteht nicht, der Autor steht in keinem Verhältnis zum Unternehmen oder dessen Repräsentanten und ist nicht Aktionär).

Dabei konzentriert sich First Tin mit seinem Team um den an der Berguniversität Freiberg promovierten CEO Thomas Bünger auf die zwei aussichtsreichen Projekte Tellerhäuser und Gottesberg im Erzgebirge. Neben diesen beiden Projekten, deren Zinn-Ressourcen auf insgesamt 86.000 Tonnen taxiert werden, wird das naheliegende Auersberg-Gebiet erkundet, welches als die größte Zinn-Bachsediment-Anomalie Sachsens gilt und ein Lizenzgebiet von knapp 176 km² umfasst. Darüber hinaus verfügt First Tin mit dem australischen Taronga-Projekt südlich Brisbanes über eine der größten unentwickelten Zinnreserven weltweit. 57.000 Tonnen des Metalls liegen dort in den Erde, neben 26.400 Tonnen Kupfer und gut 4,4 Millionen Unzen Silber. Dass das Unternehmen im heimischen Erzgebirge gut vernetzt ist und von der Nähe zu Hütten und der deutschen industriellen Wertschöpfungskette profitiert, versteht sich von selbst. Aber auch beim australischen Taronga handelt es sich um ein gut angebundenes Projekt, welches sich noch dazu auf eigenem Grundbesitz befindet. Eine Vormachbarkeitsstudie aus dem Jahr 2014 zeigte zudem, dass Taronga aufgrund seiner einfachen Metallurgie und der Tatsache, dass es sich um einen Tagebau handelt, nur eine geringe Kapitalintensität und eine hervorragende Wirtschaftlichkeit aufweist. Auch dem für Anleger immer wichtiger werdenden Thema „ESG“ trägt das Unternehmen Rechnung und hat sich unter anderem abfallarmes Wirtschaften auf die Fahnen geschrieben. Zudem nutzt First Tin erneuerbare Energien, nimmt am Emissionszertifikatehandel teil und stellt die sichere Herkunft sowie Rückverfolgbarkeit kritischer Rohstoffe sicher, was auch durch ein unabhängiges Audit überprüft wird.

Ebenso wie Zinn selbst ließ auch First Tin seit seinem rückblickend zeitlich sehr unglücklich gewählten Börsengang Anfang April diesen Jahres kräftig Federn. Von ihrem Tief bei 12,85 GBp hat sich die Aktie mittlerweile absetzen können, notiert mit 13,50 GBp aber immer noch rund 57 Prozent unter ihrem direkt zum Börsenstart markierten Allzeithoch. Angesichts der soliden Ausrichtung des Unternehmens, den aussichtsreichen Lagerstätten und nicht zuletzt des kompetenten Managements „mit Stallgeruch“ sollten die Chancen die Risiken insbesondere auf diesem Preisniveau überwiegen und der Bereich zwischen 13 GBp und 14 GBp ein sinnvolles Einstiegsniveau darstellen. Nichtsdestotrotz bleibt auch diese Aktie, wie üblich im Miningsektor, hochspekulativ. Beim aktuellen Preis von 13,50 GBp liegt die Marktkapitalisierung von First Tin bei rund 36 Millionen GBP, was eher überschaubar ist. Allerdings ist das Unternehmen aktuell schuldenfrei. Bedenken Sie auch stets die Bedeutung des Wortes „Projekt“! Risikoaverse Zeitgenossen wird dieser Status abschrecken, andere erkennen hier Chancen, denen jedoch mit Augenmaß begegnet werden sollte.

Die Börsenplätze sind London, Frankfurt und Stuttgart.

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 

Mehr zum Thema:  

DWN
Immobilien
Immobilien Immoscout: Vorsichtige positive Signale auf dem Immobilienmarkt
19.03.2024

Stark ansteigende Kreditzinsen und Baukosten haben den Kauf eines Eigenheims für viele in den vergangenen Jahren unerschwinglich gemacht....

DWN
Finanzen
Finanzen Fundamentale Aktienanalyse - so bewertet man Wertpapiere richtig
18.03.2024

Die fundamentale Aktienanalyse ist ein unverzichtbares Instrument für jeden Investor, der Wertpapiere nicht nur verstehen, sondern auch...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Umfrage: Sehr viele Deutsche sorgen sich vor weiteren Energiepreissprüngen
18.03.2024

Die Menschen in Deutschland haben einer Umfrage zufolge Sorgen vor weiteren Energiesprüngen und allgemeinen Preissteigerungen - trotz der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Airbus-Jubiläum: 50 Jahre Linienflüge im Airbus - Boeing hat Wettkampf quasi verloren
18.03.2024

Kein Hersteller baut so gute und so viele Flugzeuge wie Airbus. Eine Erfolgsgeschichte, an die sich Frankreich und Deutschland gerade in...

DWN
Finanzen
Finanzen Bankenaufsicht: Mehrzahl der Geldinstitute kann kräftigen Gegenwind überstehen
18.03.2024

In Deutschland und Europa ist das Gros der Geldhäuser gut kapitalisiert. Die Krise an den Märkten für Büro- und Handelsimmobilien...

DWN
Technologie
Technologie Verhandelt Apple mit Google über KI-Technologie?
18.03.2024

Gibt es bald Googles KI auf Apples iPhones? Laut gut informierten Kreisen verhandelt Apple angeblich mit Google über die Integration von...

DWN
Panorama
Panorama ifo-Institut und EconPol Europe: Wirtschaftsforscher fordern mehr Energie-Zusammenarbeit in Europa
18.03.2024

Wirtschaftswissenschaftler appellieren an die EU, im Zusammenhang mit ihrer Energiepolitik aus der aktuellen Energiekrise zu lernen und mit...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeiten ohne Grenzen: Was beim Homeoffice im Ausland zu beachten ist
18.03.2024

Arbeiten über Grenzen hinweg: Ein Trend, der immer beliebter wird - und große Chancen bietet, wenn Sie steuer- und...