Finanzen

Der Silbermarkt: Manipulation mit Tradition

Lesezeit: 5 min
04.09.2022 08:09  Aktualisiert: 04.09.2022 08:09
Dass die Edelmetallmärkte manipuliert werden, ist ein weit verbreiteter Glaube. Insbesondere Regierungen sollen daran ein Interesse haben, namhafte Investmentbanken ihre willfährigen Helfer sein. Stimmen die Vorwürfe?
Der Silbermarkt: Manipulation mit Tradition
Wird der Preis für Silber systematisch manipuliert? (Foto: dpa)

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Dass die Edelmetallmärkte manipuliert werden, insbesondere Gold und Silber, ist in der Gemeinschaft der Edelmetallanleger ein weit verbreiteter Glaube. Insbesondere Regierungen sollen daran ein Interesse haben, namhafte Investmentbanken ihre willfährigen Helfer sein. Und sind die Hauptargumente für diese These, die sich stets um den Erhalt des aktuellen Geldsystems drehen und nach der Gold und Silber künstlich niedrig gehalten werden sollen, auch nachvollziehbar, so bleibt es doch bei Indizien und ohne belastbare Beweise. Ganz im Gegensatz zum Vorwurf, die Edelmetallpreise würden künstlich gedrückt werden, zeigen Beispiele aus der fernen, wie auch jüngeren Vergangenheit, dass Manipulationen in diesem Segment eher spektakulär in die umgekehrte Richtung laufen.

Erst Save-Haven…

So gehört die Silberspekulation der beiden amerikanischen Brüder Nelson und William Hunt, die Ende der 1970er Jahre eine gigantische Silberhausse auslösten, welche dann Anfang 1980 in einem spektakulären Crash endete, sicher zu den ganz großen Finanzereignissen der letzten Jahrzehnte.

Haroldson Hunt, der Vater der beiden, verdiente sein Geld mit Öl, zunächst wenig erfolgreich. Die Erschließung eines Ölfeldes in Texas, welches er übrigens beim Pokern gewann, erwies sich dann jedoch als Volltreffer und machte ihn zum ersten Ölmilliardär der Geschichte. Nach Armeedienst und abgebrochenem Studium begab sich auch Sohn Nelson auf die Suche nach Öl, finanziert mit dem Geld des Vaters. Nach etlichen erfolglosen Versuchen gelang ihm schließlich in Libyen der große Wurf: dort stieß er 1961 auf das Sarir-Feld, der größten Erdöllagerstätte des Landes, welches auch ihn zu einem reichen Mann machte. Die Sorge, die Nelson Hunt von nun an umtrieb, war, eben diesen Wohlstand wieder verlieren zu können.

Das ein gewisser Anteil an Edelmetallen sinnvollerweise ins Portfolio gehört war damals nicht weniger vernünftig als heute, und Gold fiel als Instrument aus, da dessen Privatbesitz zu jener Zeit in den USA nicht erlaubt war. Ein wenig in Silber anzulegen, galt daher als gute Alternative.

Allerdings handelte es sich bei Herrn Hunt um einen ausgewiesenen Pessimisten. Krisen und Katastrophen standen seiner Erachtens unmittelbar vor der Tür, und ganz unrecht hatte er nicht. Rapide steigende Inflation ließen zu Beginn der 70er Jahre die Kaufkraft schwinden und 1973 enteignete ihn der libysche Herrscher Muammar al-Gaddafi. Hunt verlor seine dortigen Ölquellen. Im folgenden Jahr begannen er und sein Bruder William dann damit, sich im großen Stil dem Silber zuzuwenden, zunächst mit dem Ziel, sich so vor weiterem finanziellen Unbill schützen zu können.

Und so kauften die beiden knapp 55 Millionen Unzen. Auch beim damaligen Preis von kurz unter fünf Dollar ein bemerkenswertes Investment. Dass sie sich 1974 einen Großteil davon ausliefern und in die Schweiz ausfliegen ließen blieb am Markt nicht unbemerkt, weitere Käufer schlossen sich an.

…dann Short-Squeeze

Die Hunt-Brüder weiteten derweil ihre Silberkäufe aus und erwarben es sowohl physisch als auch über Terminkontrakte und versuchten sogar, eine Silbermine zu übernehmen. Dass das alles zum Großteil Kreditfinanziert war, versteht sich fast von selbst, aber der Name Hunt hatte einen guten Klang und Finanzierungen zu guten Konditionen waren kein Problem. Über eine eigens gegründete Firma kauften die Brüder weiter, für sich und einige namhafte Großinvestoren, vornehmlich aus der arabischen Welt.

Da der Markt für physisches Silber nicht allzu groß ist, wirkte sich ihr Vorgehen massiv auf die Preise aus. Seinerzeit klaffte eine Lücke zwischen der jährlichen Fördermenge und dem physischen Bedarf von rund 130 Millionen Unzen. Diese Lücke hatte die US-Regierung lange aus ihren eigenen Beständen füllen können, Mitte der 70er Jahre waren diese allerdings beinahe erschöpft. Der zwangsläufige Preiseffekt, der sich in einem engen Markt bei wenig Angebot und hoher Nachfrage ergibt, setzte alsbald ein und verleitete weitere Käufer, Großinvestoren wie Kleinanleger, sich ebenfalls in diesem Spiel zu engagieren.

Im Januar 1980 lag der Preis des Edelmetalls dann in der Spitze bei knapp 49,50 US-Dollar, mehr als 160 Millionen Unzen hatten sich die Hunt-Brüder bis zu diesem Zeitpunkt für sich und ihre Investoren ausliefern lassen. Zumindest lässt sich diese Zahl gesichert nachvollziehen. Wie so oft bei derartigen Exzessen steht am Ende eine kurze parabolische Preisentwicklung. Dann folgte der Absturz.

Panik bei der Börsenaufsicht

Dem vorausgegangen war eine Maßnahme der CFTC, der amerikanischen Börsenaufsicht. Der Behörde war die Anhäufung enormer Futures-Positionen, die stets in Lieferung gingen, aufgefallen und sie nahm Kontakt zu den Hunts auf. Diese dachten jedoch gar nicht daran, zumindest einen Teil davon zu verkaufen, um den Markt wieder mit Angebot zu versorgen.

Berichten zu Folge hatte die pessimistische Grundhaltung Nelson Hunts keinesfalls nachgelassen, jedenfalls soll er so der CFTC gegenüber argumentiert haben. Diese fackelte jedoch nicht lange und änderte kurzerhand die Spielregeln: ab Mitte Januar 1980 waren Spekulationskäufe von Silberfutures schlicht untersagt. Die daraufhin einsetzenden Verkäufe ließen den Preis in den folgenden Wochen einbrechen. Margin-Calls konnten die Brüder anfangs noch mit kurzfristigen Krediten begegnen.

Als aber die amerikanische Notenbank in einem bisher beispiellosen Schritt die Banken nachdrücklich dazu aufforderte, keine Kredite mehr für spekulative Aktivitäten zu vergeben, war für Nelson und William Hunt endgültig Schluss. Sie begannen am Dienstag, den 25. März 1980, ihre Positionen zu liquidieren. Der folgende Donnerstag ging mit einem Ausverkauf bis zum Tiefststand bei $10,80 als „Silver Thursday“ in die Börsengeschichtsbücher ein. Dem Verdacht, einige Mitglieder der COMEX (an der die Silberfutures gehandelt werden) und der CTFC hätten sich in Kenntnis der kommenden Regeländerung an Spekulationen auf fallende Preise beteiligt und gehörig daran verdient, wurde übrigens nie konsequent nachgegangen.

Geschichte reimt sich

Das ein solches „Cornering“, mit dem der Markt bildlich gesprochen „in die Ecke“ gedrängt und mangels zur Verfügung stehenden Angebots in die Höhe getrieben wird, kein Phänomen aus grauer Vorzeit ist, zeigt das Jahr 2021.

In diesem Fall koordinierten Nutzer des Social-Media-Dienstes Reddit ihre Käufe mit dem Ziel, den Silberpreis Ende Januar/Anfang Februar von rund 25 Dollar bis auf schwindelerregende 1.000 Dollar zu treiben. Die Idee dahinter war, eine zu dieser Zeit beobachtbare physische Angebotsverknappung auszunutzen. Infolgedessen verzeichnete BlackRocks iShares Silver Trust, der größte börsengehandelte Silber-ETC, noch nie dagewesene Zuflüsse, während der Silberpreis am 1. Februar 2021 um mehr als neun Prozent anstieg.

Zwar lag der Höchstpreis dieser Episode mit knapp über 30 Dollar weit unter dem ausgerufenen 1.000-Dollar-Ziel. Allein der Umstand, dass ein gut organisiertes Social-Media-Account einen Hunderte-Milliarden-Dollar-Markt innerhalb kürzester Zeit derart massiv bewegen kann, ist jedoch bemerkenswert. Dass der ganz große Short-Squeeze ausblieb ist übrigens ein Beleg gegen die oft kolportierte Annahme, Wall Street-Banken hielten nennenswerte ungedeckte Leerverkaufspositionen im Silbermarkt. Bullion Banken, wie JPMorgan und Goldman Sachs, fungieren im Silbermarkt als Market Maker, deren Verkaufspositionen in aller Regel komplett abgesichert sind. Dass Daten zu deren Gegenpositionen nicht für jedermann ersichtlich sind, da diese beispielsweise an der Londoner Metallbörse (LME) gehalten werden oder komplett außerbörslich mit anderen Marktteilnehmer vereinbart wurden, heißt nicht, dass es sie nicht gibt.

Nur ein Hirngespinst?

Nun ja, zum Teil. Banken, wie JPMorgan, HSBC oder auch die Deutsche Bank, wurden in der Vergangenheit mit Manipulationsbeschuldigungen konfrontiert, auch im Silbermarkt und auch entsprechend des klassischen Vorwurfs, nämlich der Marktmanipulation mittels großer Shortpositionen.

Dennoch, die akademische Forschung hat bislang keine eindeutigen Beweise für ein systematisches Drücken des Silberpreises gefunden. Betrachtet man diesen Markt zudem einmal langfristig, so lassen sich klare zyklische Muster und kein dauerhafter Abwärtstrend erkennen. Insbesondere mit Blick auf die 2000er Jahre, die sich einer gewaltigen Hausse erfreuten, ist der Vorwurf der Manipulation des Silbermarktes daher nur schwer nachvollziehbar.

Zudem erfolgen diese Vorwürfe äußerst selektiv. Sinkt der Preis, dann ist dies der offensichtliche Effekt verschwörerisch agierender Banken. Steigt er hingegen, walten stets die wahren Marktkräfte. Zudem gilt auch hier die alte Weisheit, dass das beste Mittel gegen niedrige Preise niedrige Preise sind. Unterm Strich lässt sich sagen, dass trotz der vielen Varianten der Manipulationstheorie auf dem Silbermarkt ihre Befürworter kaum Beweise vorlegen können.

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 

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