Die geplante Inspektion des Atomkraftwerks in Saporischschja durch die UN-Atombehörde IAEA verzögert sich wegen anhaltendem Beschuss in dem Gebiet im Südosten der Ukraine. Russland und die Regierung in Kiew beschuldigten sich am Donnerstag gegenseitig, für die Angriffe verantwortlich zu sein.
Laut IAEA wurden die Inspekteure auf dem Weg zum AKW Saporischschja auf ukrainischem Gebiet festgesetzt. IAEA-Chef Rafael Grossi, der die Experten-Delegation anführt, habe persönlich mit dem ukrainischen Militär verhandelt, um voranzukommen. Grossi sei entschlossen, das AKW noch am Donnerstag zu erreichen.
Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte laut Nachrichtenagentur Interfax, Russland sei nach wie vor bereit, für die Sicherheit der Inspekteure der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) zu garantieren. Die Lage in Saporischschja sei "schwierig, bleibt aber unter voller Kontrolle", erklärte das Ministerium weiter.
Der Führung in Kiew warf das Ministerium vor, den Besuch der IAEA sabotieren zu wollen. Demnach sollen ukrainische Truppen versucht haben, das AKW einzunehmen. 60 ukrainische Soldaten hätten am frühen Morgen mit Booten den Fluss Dnipro überquert, was eine Provokation sei, mit der die geplante IAEA-Untersuchung verhindert werden solle. Der Fluss Dnipro markiert in der Region den Frontverlauf, ein Ufer wird von der Ukraine gehalten, auf der russischen Seite steht das Atomkraftwerk.
Nach Angaben des ukrainischen Gouverneurs der Region Saporischschja hingegen bombardierten russische Streitkräfte die im Vorfeld festgelegte Route des IAEA-Teams. Das Vorbereitungsteam könne aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht weiterfahren, schrieb Olexandr Staruch auf Telegram.
Die internationalen Experten machten sich am Morgen von der Stadt Saporischschja auf den Weg zu dem AKW, das etwa 55 Kilometer entfernt in der Stadt Enerhodar liegt. Die Stadt Saporischschja wird von der Ukraine kontrolliert, Enerhodar und das AKW seit März von russischen Truppen. Betrieben wird das AKW aber weiterhin von ukrainischen Technikern.
Nach Angaben des ukrainischen AKW-Betreibers Energoatom wurde einer von zwei noch betriebenen Reaktoren nach russischem Beschuss heruntergefahren. Das Notsystem sei nach Mörser-Beschuss aktiviert und Reaktor Nummer 5 abgeschaltet worden. Reaktor Nummer 6 produziere weiter Strom, den die AKW-Anlage für den eigenen Betrieb benötige.
Das AKW Saporischschja liegt direkt am Dnipro und besteht aus sechs Druckwasserreaktoren. Enerhodar war laut russischer Nachrichtenagentur TASS am Donnerstag zwischenzeitlich ohne Strom.
IAEA-Chef Grossi sagte vor Journalisten am Morgen vor der Abfahrt des Teams, er erwäge eine längere Präsenz in Europas größtem Atomkraftwerk. Es gebe zwar zunehmende militärische Aktivitäten rund um das AKW, auch an diesem Morgen. Wenn man aber alle Argumente abwäge und da man schon so weit gekommen sei, werde man jetzt die geplanten Kontrollen nicht abbrechen. Sie seien sich der Berichte über verstärkten Beschuss in der Region Enerhodar zwar bewusst. Das halte sie aber nicht auf.
Das Team war am Mittwoch in Saporischschja angekommen. Grossi hatte bei der Ankunft betont, die IAEA sei gekommen, "um einen nuklearen Zwischenfall zu verhindern".
UPDATE 17:10 Uhr - Ein Teil der Inspekteure der UN-Atombehörde IAEA hat einem Reuters-Reporter zufolge nach einer mehrstündigem Visite das ukrainische Kraftwerk Saporischschja verlassen. Vier der neun Fahrzeuge der IAEA-Delegation hätten sich vom Gelände des Werks entfernt, berichtet die russische Agentur Interfax.
UPDATE 17.51 Uhr - Experten der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) sollen nach ukrainischer Darstellung zunächst auf dem Gelände des von Russland besetzten Kernkraftwerkes Saporischschja bleiben. Vermutlich würden fünf der Mitarbeiter der UN-Behörde bis Samstag vor Ort sein, schreibt der ukrainische Energiekonzern Energoatom auf Telegram. Der Chef der Behörde, Rafael Grossi, habe dagegen das AKW mit einigen Mitarbeitern wieder verlassen. Russische Behörden erklärten am Dienstag, der IAEA-Besuch sei auf einen Tag angesetzt. (rtr)