Deutschland

Lehrer protestieren gegen OECD: Wir produzieren zu viele Akademiker

Lesezeit: 2 min
17.11.2013 23:09
Erstmals gibt es in Deutschland mehr Studenten als Auszubildende. Nach dem Studium finden viele keine Arbeit. In traditionellen Berufen wie dem Handwerk fehlen dagegen qualifizierte Mitarbeiter. Der Philologen-Verband kritisiert eine Studie der OECD, die eine „100-Prozent-Akademiker-Gesellschaft“ propagiert.
Lehrer protestieren gegen OECD: Wir produzieren zu viele Akademiker

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gibt es mehr Studenten (ca. 500.000) als Auszubildende (ca. 482.000). Wenn es nach der OECD geht, leben wir bald in einer „100-Prozent Akademiker-Gesellschaft“, sagte Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender des Deutschen Philologenverbandes (DPhV) in einer Mitteilung. Meidinger warnt vor einer „drohenden Fehlsteuerung des deutschen Bildungswesens“. Die Arbeitsmarktchancen würden nur durch eine akademische Ausbildung keinesfalls automatisch besser. Das duale Ausbildungssystem gerät in Gefahr. Das habe „dramatische Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Wettbewerbsfähigkeit“ in Deutschland.

Die OECD behauptet das Gegenteil. In der Studie „Bildung auf einem Blick 2013“ liefert die Organisation für Wirtschaftliche und Kooperative Entwicklung Indikatoren für den Zusammenhang von Bildung und Wohlstand. Je höher die Bildung, desto „geringer ist das Risiko“, arbeitslos zu werden. Zudem erhalten „Männer mit einer gehobenen sekundären Ausbildung in den meisten OECD-Staaten ein höheres Gehalt“. Mit einer Ausbildung im tertiären Sektor, in sogenannten Dienstleistungsberufen, sei der Gehaltsunterschied noch größer.

Deutschland bekommt jedoch eine Sonderrolle auf dem europäischen Arbeitsmarkt, schreibt die OECD. Die Auswirkungen der Finanzkrise gingen am deutschen Arbeitsmarkt vorbei: „Deutschland war das einzige Land, in dem die Arbeitslosigkeitsrate bei Arbeitnehmern aller Bildungsniveaus zwischen 2008 und 2011 gefallen ist.“

"Bei Spitzenqualifikationen hat die Bundesrepublik nach wie vor Nachholbedarf", sagte OECD-Experte Andreas Schleicher einer Focus-Meldung zufolge. Dies schlage sich auch in den hohen Gehälter für Akademiker nieder.

Für Meidinger gehört diese Aussage zu einer Kampagne, die die steigenden Akademikerzahlen in Deutschland unreflektiert gutheißt:

„Die Behauptung von OECD-Bildungskoordinator Andreas Schleicher, ein akademisches Studium erbringe für den Betroffenen hohe Renditen stimmt zum Teil schon heute im Bereich von Geistes-, Sozial-, Kultur- und Sprachwissenschaften, aber auch bei vielen Architekten und Juristen nicht mehr. In einer nominellen Vollakademikergesellschaft wird der Mehrwert sogar gegen Null tendieren.“

Der DPhV-Vorsitzende verwies darauf, dass nach aktuellen Studien bereits jetzt ein Drittel der Hochschulabsolventen in nichttechnischen und nicht wirtschaftsnahen Fächern keine dem erworbenen Abschluss entsprechend adäquat bezahlte Stelle auf dem Arbeitsmarkt finde. Während Bildungsökonomen den volkswirtschaftlichen Schaden durch fehlende Ingenieure auf Euro und Dollar ausgerechnet hätten, vermisse man eine entsprechende Berechnung für die jedes Jahr größer werdende Bedarfslücke im Bereich von deutschen Facharbeiterinnen und Facharbeitern.

In manchen Berufsbildern mache eine fortschreitende Akademisierung gar keinen Sinn, so Meidinger:

"Es geht keinesfalls darum, generell vor dem Erwerb von Hochschulzugangsberechtigungen und der Aufnahme eines Studiums zu warnen. Für viele berufliche Tätigkeiten bleibt ein wissenschaftliches Studium nach wie vor eine unbestrittene Notwendigkeit. Auf der anderen Seite wird aber auch immer deutlicher, dass die Akademisierung bisher nichtakademischer Berufsbilder nicht selten wegen des nun fehlenden Praxisbezugs zu Qualitätsverlusten führt oder bereits geführt hat! Leider steht bei immer mehr Hochschulzugangsberechtigten hinter der Berechtigung keine ausreichende Befähigung mehr, weil das Schielen der Bildungspolitik auf Quoten die Qualitätsentwicklung vernachlässigt hat."

Der Verbandschef forderte eine Neubesinnung und eine offene und ehrliche gesellschaftliche Diskussion darüber, wie viele Hochschulabsolventen und Absolventen beruflicher Ausbildungsgänge unsere Gesellschaft in Zukunft braucht.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft OWZE-Prognose 2024: Minimales Wirtschaftswachstum für Deutschland erwartet
02.05.2024

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OWZE) geht von einem minimalen Wirtschaftswachstum für Deutschland...

DWN
Finanzen
Finanzen Deutschland im Investitionstief: Rückgang setzt Wirtschaft unter Druck
02.05.2024

Deutschlands Attraktivität für ausländische Investitionen schwindet weiter: 2023 markiert den niedrigsten Stand seit 2013. Manche...

DWN
Politik
Politik 1.-Mai-Demonstrationen: Gewerkschaften fordern dringend Gerechtigkeit
02.05.2024

Am Tag der Arbeit kämpfen Gewerkschaften für bessere Arbeitsbedingungen. Ihre Spitzenvertreter betonten die Notwendigkeit von...

DWN
Politik
Politik Militärhistoriker Lothar Schröter im DWN-Interview: Die Folgen des Massenmords von Odessa 2014
02.05.2024

Der Militärhistoriker Lothar Schröter ordnet im DWN-Interview den Massenmord in Odessa vom 2. Mai 2014 ein. Dabei geht er auch auf die...

DWN
Politik
Politik DWN-Interview: Ukraine-Krieg - Zehn Jahre nach dem Massenmord von Odessa
02.05.2024

Am 2. Mai 2014 ist es in der ukrainischen Stadt Odessa zu einem Massenmord gekommen, bei dem fast fünfzig Menschen qualvoll ums Leben...

DWN
Technologie
Technologie Infineon vor herausforderndem Quartal: Augenmerk auf Zukunftsaussichten
02.05.2024

Der Chiphersteller Infineon sieht schwieriges Quartal voraus, mit moderaten Rückgängen und angespanntem Automobilmarkt. Wie geht es...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin als Geldanlage: „Das ist gleichzusetzen mit einem Besuch im Casino“
02.05.2024

Bitcoin entzweit trotz neuer Kursrekorde die Anlegergemeinschaft. Die einen halten große Stücke auf den Coin, die anderen sind kritisch....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...