Die Türkei könnte bei einer Versöhnung des Westens mit dem Iran ihre hervorgehobene Stellung im Nahen Osten verlieren.
Doch der in Genf unterzeichnete „Joint Plan of Action“ zwischen den sechs Westmächten und dem Iran ist zunächst auch ein Erfolg der türkischen Diplomatie. Jede Lockerung des Embargos, die einem Kompromiss zwischen den beiden Seiten folgen würde, vereinfacht den Handel der Türkei mit ihrem südöstlichen Nachbarstaat.
Vorderhand hat die Türkei sich immer der Idee eines Atomwaffen-freien Nahen Ostens gezeigt. Auch Israels Atomwaffenarsenal hat die Türkei konsequent angeprangert, schreiben die Nahost-Beobachter Kemal Kirişci und Rob Keane von der US-Denkfabrik Brookings Institution in einem Artikel der neokonservativen National Review.
Aber anders als die israelischen Atomwaffen hätte eine des Irans das Potential, die Region zu destabilisieren. Israel hat die vermuteten Waffen mindestens 30 Jahre lang trotz permanenten Kriegszustand nicht eingesetzt, was den anderen Staaten ein Gefühl der Sicherheit und der Verlässlichkeit gegeben hat.
Die beiden Autoren gehen davon aus, dass eine iranische Atombombe hingegen ein nukleares Wettrüsten auslösen würde. Die sunnitischen Staaten Saudi Arabien, Ägypten und sogar die Türkei würden dem schiitischen Iran mit dem Aufbau eines eigenen Arsenals antworten, nur um jede Aggression abzuschrecken.
Die Einschränkung und Überwachung der nuklearen Anreicherung bannt diese Gefahr zumindest dem Plan nach. Dass diese Gefahr für die Türkei zumindest zeitweise bestanden hat, legte die Drohung des Irans vom November 2011 nahe. Ein atomwaffenfreier Naher Osten rückt durch das Abkommen damit näher.
Trotz dieser unbestreitbaren Vorteile könnten sich nach Meinung der Autoren langfristige Nachteile für das Kräfteverhältnis zwischen der Türkei und dem Iran ergeben: Schließlich sind die beiden Staaten seit fünfhundert Jahren strategische Rivalen.
Daran hat sich der Konfliktstruktur nach auch nichts geändert. Ob Libanon, Irak, Syrien oder die Golfstaaten: Stets stehen sich die beiden Staaten mit gegensätzlichen Interessen gegenüber. Auch verkörpern die beiden Staaten das jeweilige Gegenteil: Die Türkei eine mehrheitlich sunnitische Gesellschaft mit liberal-demokratisch, säkularem Anspruch und der Iran eine Mehrheit der Schia mit theokratischer Staatswirtschaft.
Wenn nun der Iran seine Beziehungen zu westlichen Staaten normalisiert und somit seinen ökonomischen Niedergang stoppt, könnte er zu einem ernsten Konkurrenten für die Türkei im Rennen um die Führungsrolle im islamischen Nahen Osten aufsteigen, schreiben Kirişci und Keane.
Dies gilt beispielhaft für die Nuklearpolitik. Mit der Erlaubnis zur Urananreicherung befände sich der Iran auf einer Ebene wie andere Staaten mit ziviler Nutzung der Atomkraft, wie Deutschland, Japan, die Niederlande und Brasilien. Das wäre ein enormer Prestigegewinn, besonders im Vergleich zur Türkei, dessen Entwicklung der Atomenergie trotz NATO- und G20-Mitgliedschaft noch immer in den Kinderschuhen steckt.
Die Beobachter halten den Fall für möglich, dass die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran den „Persischen Tiger“ aus seinem Käfig lassen könnten. Schließlich verfügt der Iran über eine große Bildungsschicht, die wohlsituierte Diaspora nicht mit eingerechnet. Hinzu kommen Irans enorme Energiereserven und seine Ebenbürtigkeit hinsichtlich Bevölkerungsstärke, Bruttoinlandsprodukt und militärische Macht. Ohne die Sanktionen und die internationale Isolation könnte der Iran sogar Erdöl-Macht Saudi-Arabien und Technologie-Giganten Israel den Titel der größten Macht im Nahen Osten streitig machen. Diesen Titel hatte er schließlich schon zu Zeiten des Schahs.
Das Szenario wird umso realistischer, da auch der Westen Interesse an einen nuklear ungefährlichen, aber prosperierenden Iran hat: Auf Seite des Imports nach Westen winken günstiges iranisches Öl, auf Seite des Exports neue Absatzmärkte, ganz besonders für Deutschland.
Die Belehrungen der Türkei gegenüber dem Westen hat nach Ansichten der Analysten in Kombination mit dem türkischen Schwenk nach Asien daran zweifeln lassen, ob Ankara tatsächlich auf Seite des Westens steht. Diese Zweifel setzen sich in Washington, Brüssel und sogar Ankara durch. Die politischen Turbulenzen in der Türkei verstärken den Argwohn.
Kurzfristig bedeutet die Öffnung zwischen dem Westen und dem Iran einen geldwerten Vorteil für die Türkei in Form von neuen Absatzmärkten und verbesserten Beziehungen. Die langfristige Rivalität wird bleiben – und sich verstärken, so Kirişci und Keane.
Kemal Kirişci ist Senior Fellow bei TÜSİAD in der Abteilung für Außenpolitik in Washington. Rob Kean ist Forschungsassistent bei Management Global Order (MGO) im Center on International Cooperation. Beide sind aktuell am Brookings Institution tätig.