Politik

Türkei fürchtet Versöhnung des Irans mit dem Westen

Lesezeit: 2 min
24.01.2014 18:41
Die Einigung im Atomkonflikt hat auch Schattenseiten für die türkische Diplomatie. Die Chance auf eine Vormachtstellung im Nahen Osten schwindet. Jegliche Aufwertung des Irans durch die westlichen Mächte stärkt den Mullah-Staat gegenüber der Türkei.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Türkei könnte bei einer Versöhnung des Westens mit dem Iran ihre hervorgehobene Stellung im Nahen Osten verlieren.

Doch der in Genf unterzeichnete „Joint Plan of Action“ zwischen den sechs Westmächten und dem Iran ist zunächst auch ein Erfolg der türkischen Diplomatie. Jede Lockerung des Embargos, die einem Kompromiss zwischen den beiden Seiten folgen würde, vereinfacht den Handel der Türkei mit ihrem südöstlichen Nachbarstaat.

Vorderhand hat die Türkei sich immer der Idee eines Atomwaffen-freien Nahen Ostens gezeigt. Auch Israels Atomwaffenarsenal hat die Türkei konsequent angeprangert, schreiben die Nahost-Beobachter Kemal Kirişci und Rob Keane von der US-Denkfabrik Brookings Institution in einem Artikel der neokonservativen National Review.

Aber anders als die israelischen Atomwaffen hätte eine des Irans das Potential, die Region zu destabilisieren. Israel hat die vermuteten Waffen mindestens 30 Jahre lang trotz permanenten Kriegszustand nicht eingesetzt, was den anderen Staaten ein Gefühl der Sicherheit und der Verlässlichkeit gegeben hat.

Die beiden Autoren gehen davon aus, dass eine iranische Atombombe hingegen ein nukleares Wettrüsten auslösen würde. Die sunnitischen Staaten Saudi Arabien, Ägypten und sogar die Türkei würden dem schiitischen Iran mit dem Aufbau eines eigenen Arsenals antworten, nur um jede Aggression abzuschrecken.

Die Einschränkung und Überwachung der nuklearen Anreicherung bannt diese Gefahr zumindest dem Plan nach. Dass diese Gefahr für die Türkei zumindest zeitweise bestanden hat, legte die Drohung des Irans vom November 2011 nahe. Ein atomwaffenfreier Naher Osten rückt durch das Abkommen damit näher.

Trotz dieser unbestreitbaren Vorteile könnten sich nach Meinung der Autoren langfristige Nachteile für das Kräfteverhältnis zwischen der Türkei und dem Iran ergeben: Schließlich sind die beiden Staaten seit fünfhundert Jahren strategische Rivalen.

Daran hat sich der Konfliktstruktur nach auch nichts geändert. Ob Libanon, Irak, Syrien oder die Golfstaaten: Stets stehen sich die beiden Staaten mit gegensätzlichen Interessen gegenüber. Auch verkörpern die beiden Staaten das jeweilige Gegenteil: Die Türkei eine mehrheitlich sunnitische Gesellschaft mit liberal-demokratisch, säkularem Anspruch und der Iran eine Mehrheit der Schia mit theokratischer Staatswirtschaft.

Wenn nun der Iran seine Beziehungen zu westlichen Staaten normalisiert und somit seinen ökonomischen Niedergang stoppt, könnte er zu einem ernsten Konkurrenten für die Türkei im Rennen um die Führungsrolle im islamischen Nahen Osten aufsteigen, schreiben Kirişci und Keane.

Dies gilt beispielhaft für die Nuklearpolitik. Mit der Erlaubnis zur Urananreicherung befände sich der Iran auf einer Ebene wie andere Staaten mit ziviler Nutzung der Atomkraft, wie Deutschland, Japan, die Niederlande und Brasilien. Das wäre ein enormer Prestigegewinn, besonders im Vergleich zur Türkei, dessen Entwicklung der Atomenergie trotz NATO- und G20-Mitgliedschaft noch immer in den Kinderschuhen steckt.

Die Beobachter halten den Fall für möglich, dass die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran den „Persischen Tiger“ aus seinem Käfig lassen könnten. Schließlich verfügt der Iran über eine große Bildungsschicht, die wohlsituierte Diaspora nicht mit eingerechnet. Hinzu kommen Irans enorme Energiereserven und seine Ebenbürtigkeit hinsichtlich Bevölkerungsstärke, Bruttoinlandsprodukt und militärische Macht. Ohne die Sanktionen und die internationale Isolation könnte der Iran sogar Erdöl-Macht Saudi-Arabien und Technologie-Giganten Israel den Titel der größten Macht im Nahen Osten streitig machen. Diesen Titel hatte er schließlich schon zu Zeiten des Schahs.

Das Szenario wird umso realistischer, da auch der Westen Interesse an einen nuklear ungefährlichen, aber prosperierenden Iran hat: Auf Seite des Imports nach Westen winken günstiges iranisches Öl, auf Seite des Exports neue Absatzmärkte, ganz besonders für Deutschland.

Die Belehrungen der Türkei gegenüber dem Westen hat nach Ansichten der Analysten in Kombination mit dem türkischen Schwenk nach Asien daran zweifeln lassen, ob Ankara tatsächlich auf Seite des Westens steht. Diese Zweifel setzen sich in Washington, Brüssel und sogar Ankara durch. Die politischen Turbulenzen in der Türkei verstärken den Argwohn.

Kurzfristig bedeutet die Öffnung zwischen dem Westen und dem Iran einen geldwerten Vorteil für die Türkei in Form von neuen Absatzmärkten und verbesserten Beziehungen. Die langfristige Rivalität wird bleiben – und sich verstärken, so Kirişci und Keane.

Kemal Kirişci ist Senior Fellow bei TÜSİAD in der Abteilung für Außenpolitik in Washington. Rob Kean ist Forschungsassistent bei Management Global Order (MGO) im Center on International Cooperation. Beide sind aktuell am Brookings Institution tätig.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Immobilien
Immobilien Haus & Grund rät zu Geduld: Bei Grundsteuer auf neuen Bescheid warten
21.12.2024

Im Durchschnitt sollte es nicht teurer werden, das war das Versprechen der Grundsteuer-Reform. Doch noch immer wissen viele nicht, wie viel...

DWN
Immobilien
Immobilien Grundsteuer 2025: Alles rund um die Neuerung
21.12.2024

Ab Januar 2025 kommt die neue Grundsteuer in Deutschland zum Einsatz. Viele Hausbesitzer und künftige Käufer sind besorgt. Und das...

DWN
Immobilien
Immobilien Förderung jetzt auch für Kauf denkmalgeschützter Häuser
21.12.2024

Wer ein altes Haus kauft und klimafreundlich saniert, bekommt oft Hilfe vom Staat. Das gilt künftig auch für Denkmäler.

DWN
Politik
Politik So wollen die Schweiz und die EU enger zusammenarbeiten
21.12.2024

Die Schweiz ist nicht in der EU, aber es gibt etliche Abkommen. Doch die sind teils veraltet. Das soll sich nun ändern. Was bedeutet das...

DWN
Panorama
Panorama Magdeburg: Anschlag auf Weihnachtsmarkt - fünf Tote, 200 Verletzte - Verdächtiger ist verwirrter Islam-Gegner
21.12.2024

Einen Tag nach der tödlichen Attacke auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sitzt der Schock tief. Erste Details zum Tatverdächtigen werden...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Eine Erinnerung an ausreichend Risikokontrolle
21.12.2024

Die vergangene Woche brachte einen deutlichen Ausverkauf an den Aktienmärkten, der von Experten als gesunde Entwicklung gewertet wird....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kampf gegen Monopole: Europas Schlüsselrolle im Kampf gegen Big Tech und für den Klimaschutz
21.12.2024

Teresa Ribera steht vor einer gewaltigen Herausforderung. Die sozialistische Vizepremierministerin Spaniens wurde im September von der...

DWN
Finanzen
Finanzen Nach Trumps missglücktem Finanztrick: Stillstand der US-Regierung doch noch abgewendet
21.12.2024

Der US-Kongress hat einen drohenden Stillstand der Regierungsgeschäfte im letzten Moment abgewendet. Nach dem Repräsentantenhaus...