Die private US-Geheimdienst und Think Tank Stratfor hält Deutschlands Einmischung in die Innenpolitik der Ukraine für unangemessen - und zieht daraus Schlussfolgerungen für eine nicht angemessene Entwicklung.
In einem aktuellen Artikel schreiben Stratfor-Chef George Friedman und Stratfor-Analyst Marc Lanthemann, dass die Staatskrise in der Ukraine eine wichtige Entwicklung sei. Deutschland habe den direkten Kampf gegen Präsident Janukowitsch aufgenommen. Der Präsident der Ukraine hatte sich zuvor dagegen gesträubt, die Beziehungen der Ukraine mit der EU zu festigen.
Deutschlands direkte Einmischung sei untypisch. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs habe Berlin eine vorsichtige Außenpolitik betrieben. Doch nun betreibe Berlin eine „schamlose“ Außenpolitik. Diese „Schamlosigkeit“ wirke sich auch negativ auf die Beziehungen mit Russland aus. Dieses Verhältnis bezeichnen Friedman und Lanthemann als „komplex“, „nötig“ aber auch „gefährlich“.
Eine ausländische Macht, die eine hegemoniale Position in der Ukraine einnimmt, gefährde die nationale Sicherheit Russlands. Doch Russlands Hegemonie über die Ukraine sei keine Gefahr für Europa. Aufgrund der Karpaten in Rumänien sei eine Invasion von Ost nach West nur schwer umzusetzen. Der Zweite Weltkrieg sei eine Ausnahme.
Auch energiepolitisch sei die Ukraine wichtiger für Russland als für Deutschland oder die EU. Denn die Ukraine diene den Russen als Transitland. Die EU-Integration der Ukraine sei „irrational“. Die EU kämpfe mit einer hohen Arbeitslosigkeit in Südeuropa und die politische Kluft zwischen Frankreich und Deutschland werde immer größer. Zudem seien sich die Osteuropäer nicht mehr sicher, ob sie der Währungsunion und dem EU-Bankensystem beitreten wollen.
Deshalb sei es unklar, warum die EU und Deutschland sich im Fall der Ukraine derart „streitsüchtig“ zeigen. Doch Berlins aktive Einmischung habe auch Gründe, die auf einen Selbstbehauptungs-Willen zurückgehen.
Neuauflage der deutschen Ostpolitik
Hinter jener neuen Außenpolitik stünden neben Merkel und Gauck auch Steinmeier und van der Leyen. Es bestehe ein Konsens innerhalb der Regierung. Alle seien Träger dieser Politik. Die werde sich nicht nur auf die Ukraine beschränken, sondern sei Teil einer großangelegten Agenda. Sie alle wollen, dass sich ihr Land sowohl militärisch als auch politisch weltweit betätigt.
Deutschland sei nun einmal die führende Nation innerhalb der EU. „Wenn nicht Deutschland agiert, wer soll es dann tun?“, fragen Friedman und Lanthemann. Die Umgestaltung der deutschen Außenpolitik zeige, dass die Deutschen ihre eigenen National-Interessen haben. Diese müssen nicht immer mit den Interessen seiner Alliierten übereinstimmen. Für viele andere Nationen sei das selbstverständlich. Doch im Falle Deutschlands sei das angesichts der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs eine „radikale Position“. Denn dieser neue Einschnitt erwecke alte Ängste vor dem deutschen Nationalismus und der deutschen Aggression wieder. Die Deutschen scheinen das nicht in dieser Art und Weise wahrzunehmen, so Friedman und Lanthemann.
Im schlechtesten Fall könnte es Deutschland mit einem feindseligen Russland, einer distanzierten USA und einer zersplitterten EU zu tun bekommen.
Angesichts der Krise in der Ukraine habe die Bundesregierung positive Reaktionen aus dem Ausland erhalten. Doch Deutschlands stärkeres und bestimmteres Auftreten auf dem europäischen Kontinent werde Spannungen auslösen. Das sei zu erwarten. Fürs Erste habe Merkel ohnehin keine Wahl mehr.
Offenbar bereiten sich die Stratfor-Analysten darauf vor, die aktuellen Tragödien in der Ukraine und auch weitere Tragödien auf Deutschland abzuschieben. Die Bundesregierung spielt in der Ukraine tatsächlich eine destruktive Vorreiter-Rolle.
Doch die neue aktive Außenpolitik Deutschlands könnte insgesamt damit enden, dass den Deutschen der schwarze Peter zugeschoben wird.
Von dieser Einsicht ist die Große Koalition offenbar weit entfernt. Andernfalls hätten sich ihre Politiker niemals derart plump und auffällig in der Ukraine eingebracht.