Weltwirtschaft

Polen droht im Winter das Gas auszugehen

Lesezeit: 4 min
05.09.2022 15:00  Aktualisiert: 05.09.2022 15:00
In Polen deutet sich eine Verschärfung der Energie-Krise an. Diese hat bereits zu diplomatischen Spannungen mit einem wichtigen Lieferanten geführt.

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In Polen droht sich die Energie-Krise im anstehenden Winter zu verschärfen. Insbesondere rechnen Beobachter im Falle eines strengen Winters mit einem Mangel bei Kohle und Erdgas.

Jamal-Pipeline: Gas fließt nach Polen

Nach der von der russischen Regierung verfügten Komplett-Schließung von Nord Stream 1 zu Wochenbeginn kommt den beiden verbliebenen Gaspipelines „Jamal“ und „Transgas“ eine herausragende Bedeutung für die Versorgung Zentraleuropas mit russischem Gas zu:

Die Jamal-Pipeline bringt russisches Erdgas über Weißrussland und Polen nach Ostdeutschland (Knotenpunkt Mallnow). Sie verfügt über eine maximale Leitungskapazität von 33 Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Die Transgas-Pipeline kann jährlich bis zu 146 Milliarden Kubikmeter Gas transportieren. Allerdings verläuft sie über das Kriegsland Ukraine und dann weiter über die Slowakei nach Tschechien und Deutschland (Knotenpunkte in Bayern und Sachsen).

Nach Angaben des Jamal-Betreibers Gascade fließt seit Sonntagabend wieder Erdgas aus Deutschland über die Pipeline nach Polen. Die Durchflüsse am Messpunkt Mallnow an der deutschen Grenze betrugen von 19.00 bis 20.00 Uhr am Sonntag 502.696 Kilowattstunden pro Stunde (kWh/h) und stiegen am Montag zwischen 02.00 bis 03.00 auf 503.501 kWh/h, teilt der deutsche Netzwerkbetreiber mit. Der Durchfluss war seit sechs Uhr morgens am Sonntag auf null gesunken.

Dies bedeutet aber nicht, dass jetzt Gas aus deutschen Speicherbeständen nach Polen geliefert wird. Es kann auch von polnischen Kunden beispielsweise in Norwegen gekauft worden sein und über das deutsche Pipeline-Netz geliefert werden, wie eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums Ende Juli auf Anfrage von ZDFheute erklärte.

Problematisch ist, dass Russland die für Deutschland bestimmten Liefermengen sowohl in Jamal als auch in Transgas deutlich reduziert hat.

Der russische Gazprom-Konzern hatte die Belieferung Polens im April eingestellt. Wie das Handelsblatt berichtet, verfügt Polen derzeit offenbar nicht über tragfähige Alternativen, obwohl der Bezug von LNG-Flüssiggas und Lieferungen anderer Anbieter forciert wurde. Die Zeitung schreibt: „Doch nun herrscht Chaos. Geplatzte Verträge, Ärger mit Norwegen, technische Verzögerung, Ratlosigkeit – der nächste Winter könnte bitterkalt werden, und das Land hat keinen Plan B, um seine Bevölkerung und seine Unternehmen mit Gas zu versorgen.“

Polens Gasspeicher sind zwar zu fast 100 Prozent gefüllt. Das Land verfügt aber nur über rund ein Sechstel der Speicherkapazität Deutschlands. Bei einer Bevölkerung von beinahe der Hälfte Deutschlands (38 Millionen Einwohner) liegen die anteiligen Gasbestände pro Kopf also nur etwa bei etwas über einem Drittel der deutschen.

Norweger machen den großen Reibach

Die Abwendung von russischer Energie infolge der Sanktionen beziehungsweise die bewusst herbeigeführte Reduzierung der Lieferungen aus politischem Kalkül durch Moskau führt inzwischen zu Spannungen zwischen Polen und Norwegen.

In Warschau kommt gar nicht gut an, dass die Norweger ihr Gas trotz der in Europa grassierenden Krise nur zu den extrem teuren Spotmarkt-Preisen verkaufen. „Sollen wir Norwegen 110 Euro pro Megawattstunde für Gas zahlen? Vier- oder fünfmal mehr als vor einem Jahr? Das ist doch krank“, zitiert der Sender n-tv Polens Premier Mateusz Morawiecki. Inzwischen sind die Preise weiter angestiegen.

Bemerkenswert ist, dass Polen mit der fertiggestellten Pipeline Baltic Pipe zwar über eine Infrastruktur-Verbindung ins norwegische Pipeline-System (über Dänemark) verfügt – aber im Vorfeld offenbar keine langfristigen Lieferverträge abgeschlossen hat. Hinzu kommt, dass über die Baltic Pipe mit etwa 10 Milliarden Kubikmetern pro Jahr nur ein vergleichsweise geringes Volumen transportiert werden kann.

Im Gegensatz zu Polen bezieht Deutschland dank langfristiger Lieferverträge viel günstiger Gas aus Norwegen – dies gilt aber nicht für die zusätzlich angefragten Kontingente. Diese muss auch Berlin sehr teuer am Spotmarkt in Norwegen einkaufen, das inzwischen zum größten Gasversorger Deutschlands aufgestiegen ist.

Norwegen werde die Lieferungen an andere Kunden nicht reduzieren, um Polen eine Vorzugsbehandlung zu gewähren, zitiert n-tv Margrete Løbben Hanssen vom norwegischen Energieministerium. Preisnachlässe seien ebenfalls ausgeschlossen.

Kohlekrise vor der Heizsaison

Verschärft wird der im Winter eventuell drohende Erdgas-Mangel durch eine Kohle-Krise. Seitdem die Regierung in Warschau keine russische Kohle mehr einkauft, drohen drei Viertel des heimischen Bedarfs nicht mehr ausreichend gedeckt werden zu können.

Etwa zwei Millionen Familien in Polen heizen ihre Wohnungen und Häuser mit Kohle. Ein von der ARD befragter Analyst schätzt, dass rund acht Millionen Tonnen infolge des Embargos gegen Russland in der anstehenden Heizsaison fehlen könnten.

Die Regierung wies mehrere Energieunternehmen zwar an, Kohle in großem Umfang auf den Weltmärkten einzukaufen. Ob die Maßnahmen aber ausreichend Nachschub nach Polen bringen, ist unsicher, weil die großen Lieferanten wie beispielsweise Indonesien, die USA oder Südafrika weit entfernt liegen und die längeren Lieferketten anfällig für Störungen sind.

Abgesehen davon steigt auch der Kohlepreis ähnlich wie der Gaspreis seit Monaten rasant an. Sollte die durch den Wegfall russischer Importe entstandene Lücke tatsächlich aufgefüllt werden, könnte dies die ohnehin hohe Inflation in Polen noch weiter aufblähen, die derzeit bei etwa 16 Prozent auf Jahressicht liegt.

Der Kohlepreis (Newcatsle Coal-Terminkontrakt) markiert inzwischen mit rund 435 US-Dollar je Tonne einen Allzeit-Höchststand.

Polen: wollen nur ungern Gas mit Deutschland teilen

Angesichts der eigenen drängenden Probleme zögert die Regierung, eventuell Gas mit anderen Staaten teilen zu müssen. Warschauer Politiker äußerten sich kürzlich bereits ablehnend zur Aussicht, Deutschland in der Energiekrise eventuell mit Erdgas aushelfen zu müssen.

Dazu müssten im Verhältnis zu Berlin erst einige Meilensteine erreicht sein, sagte der Generalsekretär der Regierungspartei PiS, Krzysztof Sobolewski, im Ende Juli polnischen Fernsehen. Ein solcher Meilenstein könnte „die Frage der Kriegsreparationen“ sein.

„Wir sind immer offen und bereit zu helfen - das sieht man am besten an der Situation in der Ukraine“, sagte Sobolewski. Als anderen Meilenstein sah er eine Entschuldigung Deutschlands dafür, die Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 immer als rein wirtschaftliches Projekt dargestellt zu haben. Polen und andere östliche EU-Länder haben von Anfang an gewarnt, dass die Gasleitungen als politisches Druckmittel Moskaus dienen könnten. „In erster Linie wollen wir mit denen teilen, die in anderen Dingen ihre Solidarität mit Polen bewiesen haben“, sagte Vizeaußenminister Szymon Szynkowski vel Sek.


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