Alle vier Wochen macht sich ein Tross aus EU-Abgeordneten, parlamentarischen Mitarbeitern und Journalisten vom EU-Hauptsitz in Brüssel ins französische Straßburg auf, um dort für vier Tage Plenarsitzungen abzuhalten. Hinzu kommen noch EU-Kommissionspräsident von der Leyen und die Kommissionsmitglieder. Das Europäische Parlament zählt derzeit 705 Mitglieder sowie 1.093 parlamentarische Mitarbeiter.
Die meisten Abgeordneten und ihre Teams werden mit Charterzügen von Brüssel nach Straßburg gefahren, die bis zu 400 Euro pro Person kosten. Andere fahren in regulären Zügen über Paris oder nutzen für die Strecke von rund 440 Kilometer das Flugzeug. Das Hotelgewerbe in Straßburg profitiert vom „europäischen Wanderzirkus“, wo eine Übernachtung je nach Lage mit mehreren Hundert Euro pro Nacht zu Buche schlägt. Abgeordnete beschweren sich seit Jahren darüber, dass die Hotels die Preise extra in den Sitzungswochen erhöhen.
„Wanderzirkus“ EU-Parlament erwägt eigenes Hotel
Der Europäische Rechnungshof schätzte in einem 2018 angefertigten Gutachten, dass sich die Kosten der Pendelei auf 114 Millionen Euro jährlich summieren und einen Kohlendioxid-Ausstoß von 19.000 Tonnen produzieren. Die Kosten trägt der europäische Steuerzahler. Viele Kritiker – darunter auch einige Parlamentarier – bemängeln den monatlichen Umzug als zu teuer und schlecht für die Umwelt.
Immer wieder wird daher eine Abschaffung des zweiten Parlamentssitzes debattiert. Doch entgegen der Kritik plant EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, Straßburg als festen Standort des EU-Parlaments zu festigen. Laut eines Politico-Berichts will Metsola ein eigenes Hotel für EU-Parlamentarier einrichten. Politico zitiert aus einem Schreiben Metsolas vom Februar an den damaligen französischen Premierminister Jean Castex, in der die Parlamentspräsidentin anregt, „ein Hotel im Salvador de Madariaga-Gebäude einzurichten“. Dieser Schritt „könnte dazu beitragen, den Hotelsektor zu entlasten“, so Metsola.
Das „Salvador de Madariaga“-Gebäude ist bereits Teil des Immobilienportfolios des EU-Parlaments in Straßburg. Darüber hinaus erwägt das Parlament, das jüngst in Straßburg fertiggestellte „Osmose“-Gebäude zu kaufen, um dort weitere Büros einzurichten. Das EU-Parlament verwaltet bereits 23 Gebäudekomplexe an den Standorten Brüssel (18) und Straßburg (5) mit einer Gesamtfläche von rund 1 Million Quadratmetern. Hinzu kommen rund 200.000 Quadratmeter Fläche in Luxemburg, wo die Verwaltung ihren Sitz hat. Vom Jahresbudget des Parlaments in Höhe von rund 2,1 Milliarden Euro entfallen allein 12 Prozent auf Gebäudekosten.
Frankreich drängt Metsola zum Kauf neuer Immobilie
Treibende Kraft hinter dem Kauf des „Osmose“-Gebäudes, das sich direkt neben dem Hauptgebäude des Parlaments befindet, ist Frankreich. In einem Schreiben von Jean Castex an Roberta Metsola vom 27. Januar, aus dem Politico zitiert, heißt es, der Kauf würde „die Präsenz des Parlaments festigen und im weiteren Sinne die Rolle Straßburgs stärken“.
Frankreich blockiert jede Debatte über ein mögliches Ende der Pendelei zwischen Brüssel und Straßburg. Die Regierung in Paris hat ein starkes Interesse daran, dass das EU-Parlament weiterhin im eigenen Land tagt und pocht dazu auf die EU-Verträge, die Straßburg als rechtlichen Sitz des Parlaments festlegen.
Das Gebäude mit einer Bürofläche von 15.000 Quadratmetern wurde von der französischen Banque des Territoires in Zusammenarbeit mit regionalen Behörden in Auftrag gegeben und im vergangenen Jahr fertiggestellt. Bereits im Februar verkündete der damalige französische Minister für EU-Beziehungen, Clément Beaune, dass es eine grundsätzliche Einigung über den Kauf des „Osmose“-Gebäudes durch das Parlament gäbe, obwohl der Kauf noch nicht bestätigt wurde.
Kritik am Hotel-Deal auch von EU-Parlamentariern
Die Pläne des Parlaments stoßen auch bei Parlamentariern auf Kritik. In Zeiten hoher Inflation, steigender Energiepreise und dem selbst auferlegten Kampf gegen den Klimawandel mahnen sie vor Geld- und Energieverschwendung. Außerdem sorgen sie sich darum, dass der Deal ein schlechtes Licht auf das Parlament wirft.
Nils Ušakovs, Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion zu diesem Thema, sagte gegenüber EURACTIV, dass der Zeitpunkt und die damit verbundenen hohen Kosten den europäischen Bürgern schwer zu erklären seien. „Diese Projekte sind nicht per se schlecht, aber es ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt“, sagte er und fügte hinzu, dass die Käufe eine negative Auswirkung auf die öffentliche Wahrnehmung der EU-Institutionen haben könnten.
Ähnlich argumentiert Daniel Freund, deutscher Europaabgeordneter der Grünen. „Das Europäische Parlament sollte Geld/Energie sparen. Nicht zusätzliches Geld für zusätzliche Gebäude ausgeben“, schrieb Freund auf Twitter. Der Grünen-Politiker war kürzlich an einer parteiübergreifenden Initiative zur Aussetzung der Straßburger Sitzungen aufgrund der aktuellen Energiekrise beteiligt.
Der stellvertretende Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Europäischen Parlaments, Rasmus Andresen von den Grünen, sagte gegenüber Politico, dass „das Geschäft für uns sehr fragwürdig ist“. Bisher habe er noch keine Argumente gehört, die ihn von der Notwendigkeit eines weiteren Gebäudes überzeugt hätten.
Dennoch enthielten sich die Grünen bei der Abstimmung des Haushaltsausschusses über den Budgetplan 2023. Die Abgeordneten hatten dabei die Möglichkeit, den Kauf zu verhindern. In einer Abstimmung über einen Antrag, der den Erwerb des „Osmose“-Gebäudes ablehnt, stimmten 274 Abgeordnete dafür und 275 Abgeordnete dagegen. Die Grünen begründen die Enthaltung mit mangelnden Informationen über den Kauf und wollen erst ein Gutachten des Parlaments abwarten, das im November erscheinen soll.
Die Sozialdemokraten um Nils Ušakovs kritisieren die Parlamentsführung für ihr intransparentes Verhalten. Eigentlich sollte der Haushaltsausschuss über den Kauf entscheiden, aber in Wahrheit „haben wir keine Informationen, sondern nur Schätzungen“, so Ušakovs. „Wie können wir Entscheidungen treffen, wenn wir unsere professionellen Vermutungen über die Vorgänge in diesem Geschäft in französischen Zeitungen lesen müssen? So sollte das nicht funktionieren.“
Die endgültige Entscheidung wird für Dezember erwartet und liegt beim Präsidium, das sich aus Roberta Metsola, den vierzehn Vizepräsidenten und fünf Quästoren zusammensetzt.