„Die Finanzierung unseres Rentensystems steht vor dem Zusammenbruch“, warnte zuletzt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger im Gespräch mit der „Bild am Sonntag“ und lieferte sogleich einen Lösungsansatz mit: nämlich die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Es dürfe nicht sein, so Dulger, dass die weiter steigende Lebenserwartung zu einem immer längeren Ruhestand führe. Eine Forderung, die schon zahlreiche Ökonomen und zuletzt auch die Bundesbank vor ihm vortrugen.
Die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist eine genauso unbeliebte wie notwendige Forderung. Denn zweifelsohne untergraben Überalterung und Geburtenmangel die Finanzierung des deutschen Rentensystems, wie auch die der Gesetzlichen Krankenversicherung. Doch die Abwägung zwischen dem „Recht auf Ruhestand“ des Einzelnen nach einem langen arbeitsamen Leben und den Interessen jüngerer Generationen, denen die Rente zunehmend unsicher erscheint, ist alles andere als leicht.
Welche Reform die Löcher des Rentensystems stopfen soll, ist umstritten
Für einen Ausgleich, mit dem beide Seiten gut leben können, dürfte es inzwischen zu spät sein. Zu lange blieben Mahnungen wie jene des Bevölkerungswissenschaftlers Herwig Birg, der schon vor Jahrzehnten vor den wirtschaftlichen Folgen des „demographischen Niedergangs“ warnte, ungehört. Mit einem umso größerem Reformdruck sieht sich die Politik heute dementsprechend konfrontiert. Doch welche Reform zumindest die Löcher des deutschen Rentensystems stopfen soll, ist umstritten.
Einen ersten Schritt in Richtung einer solchen Notlösung stellen die Pläne des Bundesfinanzministeriums dar, eine gesetzliche Aktienrücklage auf den Weg zu bringen, die der Theorie nach die umlagefinanzierte Rentenkassen bald schon stützen soll, vorerst ohne Erhöhungen des Beitragssatzes oder des Renteneintrittalters. Einen Kapitalstock von zehn Milliarden Euro soll der Bund so kommendes Jahr zweckgebunden am Kapitalmarkt anlegen, wie aus einem mit dem Arbeits- und Wirtschaftsministerium abgestimmten Grundkonzept des Finanzministeriums hervorgeht, das dem Wirtschaftsmagazin „Capital“ vorliegt.
Eine Aktienrücklage muss nicht gleich eine Aktienrente nach sich ziehen
Auch Beteiligungen des Bundes an Unternehmen wie der Deutschen Post sollen demnach als Sachanlagen an den Fond übertragen werden. Freilich handelt es sich bei dem Vorstoß aber um einen Kompromiss, hatte die FDP doch eigentlich mit der Aktienrente Wahlkampf geführt. Im Gegensatz zu einer Aktienrücklage würde diese bedeuten, dass Versicherte einen Teil ihres Rentenbeitrags in einen Fonds einzahlen würden. Dennoch wertet die FDP die Einführung einer Aktienrücklage als ersten Schritt zu einer tatsächlichen Aktienrente.
In Wirklichkeit dürfte der Schritt von einem staatlichen Fonds hin zu einer individuellen Aktienrente jedoch kaum reibungslos von statten gehen, sollte es überhaupt dazu kommen. So betonen Kritiker, dass die Aktienrente die gesetzliche Rente schwäche. Auch dürfte die Vorstellung, dass ein großer Teil der Rente der Deutschen von spekulativen Gewinnen abhängt, innerhalb der Bevölkerung kaum Anklang finden. Demgemäß ist es unwahrscheinlich, dass die Forderungen nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters nun verklingen.
Studie: Erhöhung des Rentenalters schwächt die Gesundheit
Auch dürfte die stärkere Integration Älterer in den Arbeitsmarkt, unter anderem durch Umschulungen und Weiterbildungen, auch aufgrund des grassierend Personal- und Fachkräftemangels zunehmend diskutiert werden. Dem wiederum käme ein erhöhtes Renteneintrittsalter vielleicht entgegen.
Gleichsam ist eine Erhöhung des Renteneintrittsalters keine unproblematische Angelegenheit. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zur Abschaffung der sogenannten Altersrente für Frauen. Bis 2011 konnten Frauen unter bestimmten Bedingungen schon mit 60 Jahren und Abschlägen Rente gehen.
Für ab 1952 geborene Frauen galt diese Regelung jedoch nicht mehr, sie konnten sich frühestens erst drei Jahre später verrenten lassen. Durch den Vergleich der beiden Jahrgänge 1951 und 1952 auf Basis kassenärztlicher Daten fanden die Studienautoren heraus, dass stressbedingte Krankheiten bei 60- bis 62-jährigen Frauen des Jahrgangs 1952 im Vergleich zum durchschnittlichen Vorkommen im Jahrgang 1951 um 0,8 Prozentpunkte auf rund 23 Prozent gestiegen seien. Genauso habe die Häufigkeit von Stimmungsstörungen um 0,9 Prozentpunkte auf etwa 19,5 Prozent zu genommen.
Der demographische Wandel ist keine Naturgewalt
Sollten die Ergebnisse der Studie repräsentativ sein, dürfte eine zukünftige Erhöhung des Renteneintrittsalters auf bis zu 70 Jahre, wie vielfach gefordert, also durchaus auch gesundheitliche Kosten mit sich bringen. Zwar könnten Verfechter der Erhöhung des Renteneintrittsalters an dieser Stelle zu Recht darauf verweisen, dass die gesundheitlichen Kosten eines seiner finanziellen Grundlage beraubten Rentensystems noch viel größer sein könnten.
Doch das Beispiel zeigt vielmehr, dass dieses akute Problem der Rentenpolitik auf lange Sicht wahrscheinlich kaum mit rentenpolitischen Mitteln gelöst werden kann. Vielmehr muss mehr darüber diskutiert werden, wie dem demographischen Wandel, der gemeinhin mit einer Naturgewalt verwechselt wird, aktiv politisch zu begegnen ist, statt darüber, wie der Staat die Last seiner Folgen verteilen kann, was letztlich wohl immer soziale Ungerechtigkeiten nach sich ziehen würde.