Politik

Demografische Schieflage: „Für Maßnahmen, die allen gefallen, ist es jetzt zu spät“

Das Finanzministerium plant eine Aktienrücklage zur Stärkung der Rentenkasse. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ist darum jedoch noch lange nicht vom Tisch. Es wird weiter nur an den Symptomen eines viel grundlegenderen Problems herumgewerkelt.
Autor
13.11.2022 06:00
Lesezeit: 3 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..
Demografische Schieflage: „Für Maßnahmen, die allen gefallen, ist es jetzt zu spät“
Das Rentensystem befindet sich in Schieflage - jetzt wird die Idee einer Aktienrente oder Aktienrücklage propagiert. (Foto: dpa) Foto: Sina Schuldt

„Die Finanzierung unseres Rentensystems steht vor dem Zusammenbruch“, warnte zuletzt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger im Gespräch mit der „Bild am Sonntag“ und lieferte sogleich einen Lösungsansatz mit: nämlich die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Es dürfe nicht sein, so Dulger, dass die weiter steigende Lebenserwartung zu einem immer längeren Ruhestand führe. Eine Forderung, die schon zahlreiche Ökonomen und zuletzt auch die Bundesbank vor ihm vortrugen.

Die Erhöhung des Renteneintrittsalters ist eine genauso unbeliebte wie notwendige Forderung. Denn zweifelsohne untergraben Überalterung und Geburtenmangel die Finanzierung des deutschen Rentensystems, wie auch die der Gesetzlichen Krankenversicherung. Doch die Abwägung zwischen dem „Recht auf Ruhestand“ des Einzelnen nach einem langen arbeitsamen Leben und den Interessen jüngerer Generationen, denen die Rente zunehmend unsicher erscheint, ist alles andere als leicht.

Welche Reform die Löcher des Rentensystems stopfen soll, ist umstritten

Für einen Ausgleich, mit dem beide Seiten gut leben können, dürfte es inzwischen zu spät sein. Zu lange blieben Mahnungen wie jene des Bevölkerungswissenschaftlers Herwig Birg, der schon vor Jahrzehnten vor den wirtschaftlichen Folgen des „demographischen Niedergangs“ warnte, ungehört. Mit einem umso größerem Reformdruck sieht sich die Politik heute dementsprechend konfrontiert. Doch welche Reform zumindest die Löcher des deutschen Rentensystems stopfen soll, ist umstritten.

Einen ersten Schritt in Richtung einer solchen Notlösung stellen die Pläne des Bundesfinanzministeriums dar, eine gesetzliche Aktienrücklage auf den Weg zu bringen, die der Theorie nach die umlagefinanzierte Rentenkassen bald schon stützen soll, vorerst ohne Erhöhungen des Beitragssatzes oder des Renteneintrittalters. Einen Kapitalstock von zehn Milliarden Euro soll der Bund so kommendes Jahr zweckgebunden am Kapitalmarkt anlegen, wie aus einem mit dem Arbeits- und Wirtschaftsministerium abgestimmten Grundkonzept des Finanzministeriums hervorgeht, das dem Wirtschaftsmagazin „Capital“ vorliegt.

Eine Aktienrücklage muss nicht gleich eine Aktienrente nach sich ziehen

Auch Beteiligungen des Bundes an Unternehmen wie der Deutschen Post sollen demnach als Sachanlagen an den Fond übertragen werden. Freilich handelt es sich bei dem Vorstoß aber um einen Kompromiss, hatte die FDP doch eigentlich mit der Aktienrente Wahlkampf geführt. Im Gegensatz zu einer Aktienrücklage würde diese bedeuten, dass Versicherte einen Teil ihres Rentenbeitrags in einen Fonds einzahlen würden. Dennoch wertet die FDP die Einführung einer Aktienrücklage als ersten Schritt zu einer tatsächlichen Aktienrente.

In Wirklichkeit dürfte der Schritt von einem staatlichen Fonds hin zu einer individuellen Aktienrente jedoch kaum reibungslos von statten gehen, sollte es überhaupt dazu kommen. So betonen Kritiker, dass die Aktienrente die gesetzliche Rente schwäche. Auch dürfte die Vorstellung, dass ein großer Teil der Rente der Deutschen von spekulativen Gewinnen abhängt, innerhalb der Bevölkerung kaum Anklang finden. Demgemäß ist es unwahrscheinlich, dass die Forderungen nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters nun verklingen.

Studie: Erhöhung des Rentenalters schwächt die Gesundheit

Auch dürfte die stärkere Integration Älterer in den Arbeitsmarkt, unter anderem durch Umschulungen und Weiterbildungen, auch aufgrund des grassierend Personal- und Fachkräftemangels zunehmend diskutiert werden. Dem wiederum käme ein erhöhtes Renteneintrittsalter vielleicht entgegen.

Gleichsam ist eine Erhöhung des Renteneintrittsalters keine unproblematische Angelegenheit. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zur Abschaffung der sogenannten Altersrente für Frauen. Bis 2011 konnten Frauen unter bestimmten Bedingungen schon mit 60 Jahren und Abschlägen Rente gehen.

Für ab 1952 geborene Frauen galt diese Regelung jedoch nicht mehr, sie konnten sich frühestens erst drei Jahre später verrenten lassen. Durch den Vergleich der beiden Jahrgänge 1951 und 1952 auf Basis kassenärztlicher Daten fanden die Studienautoren heraus, dass stressbedingte Krankheiten bei 60- bis 62-jährigen Frauen des Jahrgangs 1952 im Vergleich zum durchschnittlichen Vorkommen im Jahrgang 1951 um 0,8 Prozentpunkte auf rund 23 Prozent gestiegen seien. Genauso habe die Häufigkeit von Stimmungsstörungen um 0,9 Prozentpunkte auf etwa 19,5 Prozent zu genommen.

Der demographische Wandel ist keine Naturgewalt

Sollten die Ergebnisse der Studie repräsentativ sein, dürfte eine zukünftige Erhöhung des Renteneintrittsalters auf bis zu 70 Jahre, wie vielfach gefordert, also durchaus auch gesundheitliche Kosten mit sich bringen. Zwar könnten Verfechter der Erhöhung des Renteneintrittsalters an dieser Stelle zu Recht darauf verweisen, dass die gesundheitlichen Kosten eines seiner finanziellen Grundlage beraubten Rentensystems noch viel größer sein könnten.

Doch das Beispiel zeigt vielmehr, dass dieses akute Problem der Rentenpolitik auf lange Sicht wahrscheinlich kaum mit rentenpolitischen Mitteln gelöst werden kann. Vielmehr muss mehr darüber diskutiert werden, wie dem demographischen Wandel, der gemeinhin mit einer Naturgewalt verwechselt wird, aktiv politisch zu begegnen ist, statt darüber, wie der Staat die Last seiner Folgen verteilen kann, was letztlich wohl immer soziale Ungerechtigkeiten nach sich ziehen würde.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik USA liefern wieder Waffen mit europäischem Geld
18.09.2025

Die USA nehmen Waffenlieferungen an die Ukraine wieder auf – doch diesmal zahlt Europa. Für Deutschland könnte das teuer und politisch...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienmarkt Deutschland: Käufer kehren zurück, Zinsen steigen
18.09.2025

Der deutsche Immobilienmarkt lebt wieder auf. Mehr Käufer greifen zu, doch steigende Bauzinsen bremsen die Euphorie. Während die...

DWN
Politik
Politik Fed senkt Leitzins: Trump drängt auf geldpolitischen Kurswechsel
18.09.2025

Die US-Notenbank senkt erstmals seit Ende 2024 den Leitzins – ein Schritt, der tief in die innenpolitische Auseinandersetzung hineinragt....

DWN
Finanzen
Finanzen Inflation in Deutschland: Wieso sich so viele Deutsche Geld für Lebensmittel leihen
18.09.2025

Brot, Milch, Schulden: Mehr als die Hälfte der unter 50-Jährigen greift für Alltagsausgaben zum Kredit – oft bei der Familie. Wer...

DWN
Politik
Politik Draghi-Report: Ohne gemeinsame EU-Schulden verliert Europa gegen alle
18.09.2025

Ein Jahr nach seinem wegweisenden Draghi-Report warnt Mario Draghi vor einer dramatisch verschlechterten Lage der EU. Der ehemalige...

DWN
Finanzen
Finanzen Topmanager erwarten Trendwende bei Börsengängen
17.09.2025

Nach Jahren der Flaute sehen Topmanager eine Trendwende am Markt für Börsengänge. Warum Klarna den Wendepunkt markieren könnte und was...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Solar-Krise: Solarfirma Meyer Burger schließt Standorte - 600 Beschäftigten gekündigt
17.09.2025

Rettung geplatzt: Warum auch Investoren keinen Ausweg für den insolventen Solarmodul-Hersteller Meyer Burger sehen und was jetzt mit den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinesische Waren: Europas Industrie gerät zunehmend unter Druck
17.09.2025

Chinesische Waren fluten Europa. Subventionen aus Peking drücken Preise, während Europas Industrie ins Hintertreffen gerät. Deutschland...