Deutschland

Notfallplan für Blackout: Bundesregierung bereitet sich auf Bargeldknappheit vor

Lesezeit: 3 min
17.11.2022 14:38  Aktualisiert: 17.11.2022 14:38
Im Hintergrund bereiten sich Regierung, Bundesbank und Finanzbranche auf einen Stromausfall vor. Laut Insidern wird dabei auch eine tägliche Begrenzung von Barauszahlungen erwogen, um einen Engpass von Bargeld zu verhindern.
Notfallplan für Blackout: Bundesregierung bereitet sich auf Bargeldknappheit vor
Bundesbank-Chef Joachim Nagel (li.) und Wirtschaftsminister Robert Habeck treffen Vorkehrungen für einen möglichen Blackout. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Bundesregierung bereitet sich auf einen Bargeldengpass im Falle eines Blackouts vor. Das geht aus einem Reuters-Bericht hervor, der sich auf Aussagen von Insidern stützt. Zum Notfall gehört unter anderem, dass die Deutsche Bundesbank zusätzliche Cash-Reserven in Milliardenhöhe aufbaut, um die Wirtschaft bei einem Stromausfall mit ausreichend Bargeld versorgen zu können.

Bei Blackout: Regierung will Ansturm aufs Bargeld vermeiden

Die Pläne sehen außerdem vor, dass die Regierung tägliche Bargeldabhebungen an Geldautomaten und Bankschaltern begrenzen kann, um einer Bargeldknappheit durch eine sprunghaft ansteigende Nachfrage vorzubeugen. Derzeit liefen bereits Gespräche zwischen Banken und Behörden, wie Bargeld im Krisenfall am effektivsten verteilt werden kann und beispielsweise eine vorrangige Treibstoffversorgung für Geldtransporter sichergestellt werden kann.

An den Planungen sind laut Reuters neben der Deutschen Bundesbank auch die Finanzmarktaufsicht BaFin sowie mehrere Verbände der Finanzindustrie beteiligt. Die Nachrichtenagentur bezieht sich dabei auf Personen, von denen einige unter der Bedingung der Anonymität über die laufenden Planungsgespräche berichteten. Die Notfallplanungen haben durch die angespannte Lage auf dem Energiemarkt durch den Wegfall russischen Gases noch einmal an Intensität gewonnen, so die Insider.

Anfangs spielte die deutsche Regierung die Gefahr von flächendeckenden Stromausfällen noch herunter. Inzwischen äußert sich selbst Berlins regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey öffentlich dazu, dass es vertretbar sei, in einer Notlage den Strom in Teilen der Stadt abzuschalten. Die laufenden Notfallgesprächen zeigen noch einmal deutlich, dass man die Bedrohung im Berliner Regierungsviertel sehr ernst nimmt und auch, wie schwer man sich damit tut, sich auf drohende Stromausfälle vorzubereiten.

Offene Schwachstellen in der Bargeldversorgung

Der Zugang zu Bargeld ist für die Deutschen von besonderer Bedeutung, da sie die Sicherheit und Anonymität, die es bietet, schätzen und dazu neigen, es mehr als andere Europäer zu verwenden. Rund 60 Prozent der alltäglichen Einkäufe werden bar bezahlt, so eine aktuelle Studie der Bundesbank. Die Studie kam zu dem Schluss, dass die Deutschen im Durchschnitt mehr als 6.600 Euro pro Jahr abheben, hauptsächlich an Geldautomaten.

Ein parlamentarischer Bericht warnte bereits vor zehn Jahren vor „Unzufriedenheit“ und „aggressiven Auseinandersetzungen“ für den Fall, dass die Bürger bei einem Stromausfall nicht an Bargeld kämen. Zu Beginn der Pandemie im März 2020 gab es bereits einen Ansturm auf Bargeld, als die Deutschen 20 Milliarden Euro mehr abhoben als sie einzahlten. Das stellte einen neuen Rekord dar, sorgte aber im System für keine größeren Zwischenfälle.

Dennoch dürfte die sprunghaft gestiegene Nachfrage im Krisenfall die Behörden sensibilisiert und zu den aktuellen Notfallgesprächen beigetragen haben. Ein Insider sagte Reuters gegenüber, dass die Bundesbank ihre Bestände derzeit aufstocke, um auf ein ähnliches Szenario wie zu Beginn der Pandemie gut vorbereitet zu sein.

Eine Schwachstelle, die bei den Planungen jedoch aufgetreten sei, betraf die Sicherheitsunternehmen, die das Bargeld von der Zentralbank zu Geldautomaten und Banken transportiert. Denn die Branche, zu der private Dienstleister wie Brinks und Loomis gehören, werde derzeit noch nicht von Gesetzen erfasst, die die vorrangige Treibstoff- und Telekommunikationsversorgung im Krisenfall regeln.

„Es gibt große Schlupflöcher“, sagte Andreas Paulick, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW), gegenüber Reuters. Gepanzerte Fahrzeuge müssten sich wie alle anderen an den Tankstellen anstellen. Der Verband veranstaltete in der vergangenen Woche ein Treffen mit Vertretern der Bundesbank und der Regierung, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. „Wir müssen uns präventiv mit dem realistischen Szenario eines Stromausfalls auseinandersetzen“, so Paulick weiter. „Es wäre völlig naiv, in einer Zeit wie jetzt nicht darüber zu sprechen.“

Notfallplan sieht tägliche Limits auf Bargeld vor

Laut einer Anfang November veröffentlichten Umfrage der Funke Mediengruppe befürchten mehr als 40 Prozent der Deutschen einen Stromausfall in den nächsten sechs Monaten. Das deutsche Katastrophenamt empfahl den Bürgern, für solche Notfälle Bargeld zu Hause aufzubewahren.

Die deutschen Finanzaufsichtsbehörden sind derweil besorgt, dass die Banken nicht vollständig auf größere Stromausfälle vorbereitet sind. Die Behörden betrachten dies als ein neues, bisher kaum vorhersagbares Risiko, sagte ein Beamter mit direkter Kenntnis der Angelegenheit gegenüber Reuters. Im Falle eines Stromausfalls könnte eine Mittel für die Regierung und die Behörden darin bestehen, die Menge des abgehobenen Bargelds zu begrenzen, so der Insider weiter.

Die Banken halten einen flächendeckenden Stromausfall für „unwahrscheinlich“, so die Deutsche Kreditwirtschaft, der Dachverband des Finanzsektors. Dennoch stünden die Banken „in Kontakt mit den zuständigen Ministerien und Behörden“, um für ein solches Szenario zu planen. Sie setzen sich in den Gesprächen unter anderem dafür ein, als „kritische Infrastruktur“ eingestuft zu werden, damit sie im Falle einer Stromrationierung bevorzugt behandelt würden.

Ebenfalls akut gefährdet ist der Handel, der zunehmend auf elektronische Transaktionen setzt und dazu von einer reibungslosen Bargeldversorgung abhängt. Die meisten Geldautomaten verfügen zudem über keine Notstromquelle.

Bargeld wäre die einzige offizielle Zahlungsmethode, die noch funktionieren würde, sagte Thomas Leitert, Chef von KomRe, einem Unternehmen, das Städte bei der Planung für Stromausfälle und andere Katastrophen berät. „Wie sollen sonst die Ravioli-Dosen und Kerzen bezahlt werden?“ so Leitert. Er warne die Behörden seit langem vor den Risiken eines Stromausfalls, aber die Planung sei bisher unzureichend gewesen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tesla Grünheide - Protesttage: Polizei schützt Autofabrik mit Großaufgebot
10.05.2024

Die Kundgebungen gegen den Autobauer Tesla in Grünheide erreichten am Freitag einen neuen Höhepunkt. Während eines...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Chefredakteur kommentiert: Deutsche Bahn, du tust mir leid!
10.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Technologie
Technologie Kein Erdgas mehr durch die Ukraine? Westeuropa droht erneute Energiekrise
10.05.2024

Eines der größten Risiken für die europäische Erdgasversorgung im nächsten Winter ist die Frage, ob Gaslieferungen weiterhin durch die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch: Deutscher Leitindex springt auf Allzeithoch bei über 18.800 Punkten
10.05.2024

Der DAX hat am Freitag mit einem Sprung über die Marke von 18.800 Punkten seinen Rekordlauf fortgesetzt. Was bedeutet das für Anleger und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Streik am Bau: Gewerkschaft kündigt Proteste in Niedersachsen an
10.05.2024

Die IG Bauen Agrar Umwelt hat angekündigt, dass die Streiks am Bau am kommenden Montag (13. Mai) zunächst in Niedersachsen starten...

DWN
Politik
Politik Selenskyj drängt auf EU-Beitrittsgespräche - Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Überblick
10.05.2024

Trotz der anhaltenden Spannungen an der Frontlinie im Ukraine-Krieg bleibt Präsident Selenskyj optimistisch und setzt auf die...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Spahn spricht sich für breite Analyse aus mit allen Blickwinkeln
10.05.2024

Im deutschen Parlament wird zunehmend eine umfassende Analyse der offiziellen Corona-Maßnahmen, einschließlich Masken und Impfnachweisen,...

DWN
Politik
Politik Pistorius in den USA: Deutschland bereit für seine Aufgaben
10.05.2024

Verteidigungsminister Boris Pistorius betont in Washington eine stärkere Rolle Deutschlands im transatlantischen Bündnis. Er sieht den...