Weltwirtschaft

Analyst: „Krieg kommt Russlands Energiesektor teuer zu stehen“

Lesezeit: 5 min
11.12.2022 09:00
Eine Studie des renommierten Analyseunternehmens Rystad zeigt, dass die Sanktionen den russischen Energiesektor stärker treffen als erwartet. Opfer sind die Upstream-Investitionen des Landes.
Analyst: „Krieg kommt Russlands Energiesektor teuer zu stehen“
Das Yuzhno Russkoye Gasfeld bei der russischen Stadt Novy Urengoy.
Foto: epa

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Der Energiesektor Russlands schien bisher gegen die vom Westen ausgesprochenen Sanktionen in Folge des Krieges gegen die Ukraine weitgehend immun gewesen zu sein. Offenbar wird die Abwanderung ausländischer Partner aus dem russischen Öl- und Gassektor nun doch für den Energiesektor Russlands und die russische Wirtschaft zu einem Problem - zumindest ist dies das Ergebnis einer neuen Untersuchung.

Abschnitt vom globalen Energiemarkt schadet Investitionen

Eine Studie des norwegischen Analyseunternehmens für Gas und Öl, Rystad Energy, zeigt, dass sich die Upstream-Investitionen bis Ende des Jahres auf etwa 35 Milliarden US-Dollar einpendeln werden. Vor Beginn des Krieges in der Ukraine Ende Februar wurde erwartet, dass sich die Upstream-Investitionen in Russland im Jahr 2022 auf insgesamt 50 Milliarden US-Dollar belaufen würden.

Zum Verständnis: Die Öl- und Gasindustrie wird in der Regel in drei große Sektoren unterteilt: Upstream, Midstream und Downstream. Der Upstream-Sektor beinhaltet die Suche nach potenziellen unterirdischen oder Unterwasser-Rohöl- und Erdgasfeldern, das Bohren von Erkundungsbohrungen und den anschließenden Betrieb der Bohrungen, die das Rohöl oder Rohgas fördern und an die Oberfläche bringen.

Die Investitionen in den russischen Upstream-Sektor beliefen sich der Studie zufolge im vergangenen Jahr auf 45 Milliarden US-Dollar und erholten sich damit von einem durch die Covid-19-Pandemie verursachten Tiefstand von 40 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020. Da Russland jedoch laut dem norwegischen Analyseunternehmen zunehmend vom globalen Energiemarkt abgeschnitten wird, sind die Investitionen deutlich unter das Niveau der von der Pandemie betroffenen Jahre 2020 und 2021 gesunken und werden bis mindestens 2025 gedämpft bleiben.

Jamal-Region stark von Projektrückgängen betroffen

Das Absinken der Investitionen im laufenden Jahr wird Rystad Energy zufolge zu einem Rückgang der endgültigen Investitionsentscheidungen für Projekte führen und die Betreiber zwingen, harte Entscheidungen über die Ausgaben zu treffen. Während die einheimischen Giganten Gazprom und Rosneft in der Lage sein werden, ihre Ausgaben auf dem Niveau von 2021 zu halten, werden andere Marktteilnehmer einen deutlichen Rückgang der Investitionen verzeichnen.

Ein wichtiger Faktor, der die Investitionen einschränkt, soll die Verzögerung mehrerer großer Flüssigerdgasprojekte (LNG) sein, die nun aufgrund von technologischen und finanziellen Engpässen um fünf oder sechs Jahre in die Zukunft verschoben wurden, da sich die an den Projekten beteiligten westlichen Partner zurückziehen. Vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine rechnete man mit einem erheblichen Anstieg der Investitionen, da Gazprom die Erschließung mehrerer großer Gaskondensatfelder in der Jamal-Region geplant hatte und Novatek aktiv an seinem Projekt Arctic LNG-2 beteiligt war. Jetzt werden laut Rystad Energy wahrscheinlich nur noch einige dieser Projekte vor 2025 in Angriff genommen.

Swapnil Babele, leitender Analyst bei Rystad Energy, sieht den russischen Energiesektors in einer komplizierten Situation: „Der Krieg in der Ukraine kommt dem russischen Öl- und Gassektor teuer zu stehen und die Projektinvestitionen wurden erheblich beeinträchtigt. Die Covid-bedingten Unterbrechungen im Jahr 2020 haben die Ausgaben gedrückt, aber dieses Jahr dürfte der Beginn eines mehrjährigen Einbruchs sein, der die Covid-Jahre im Vergleich dazu verblassen lassen wird.“

2024 sind keine bedeutenden neuen Projekte geplant

Greenfield Investitionen werden aufgrund des drastischen Rückgangs der Genehmigungen in diesem Jahr den größten Rückgang der Investitionen erleiden. Bei Greenfield-Investitionen handelt es sich um Investitionen, bei denen ein Konzern eine neue Tochtergesellschaft und Produktionsanlagen auf ausländischem Boden gründet, indem er Geld für neue Einrichtungen wie Büros, Fabriken und Personalunterkünfte ausgibt.

Die Investitionen in neue russische Projekte werden der Studie zufolge voraussichtlich um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgehen und von 13,7 Milliarden US-Dollar auf nur noch acht Milliarden US-Dollar in diesem Jahr sinken. Im vergangenen Jahr wurden nur etwa zwei Milliarden Barrel Öläquivalent an Ressourcen genehmigt, wobei fast alle diese Mengen aus dem baltischen LNG-Projekt stammen, mit dessen Bau Gazprom im Mai 2021 begonnen hatte.

Angesichts der westlichen Sanktionen wird die Finanzierung des Projekts für Gazprom jedoch schwierig werden. Dienstleistungsunternehmen haben laut Rystad Energy bereits begonnen, Russland zu verlassen, und auch das deutsche Unternehmen Linde, das seine eigene LNG-Technologie für das Projekt bereitstellte, hat sich zurückgezogen.

Im nächsten Jahr werden Rystad Energy zufolge in Russland voraussichtlich keine neuen bedeutenden Projekte genehmigt, aber 2024 werden die Aktivitäten mit dem von Gazprom betriebenen Gaskondensatfeld Chayandinskoye (Phase zwei) - eine Ressourcenbasis für die Power of Siberia-1-Gaspipeline nach China - und dem Ölfeld Payyakhskoye, Teil des riesigen Vostok Oil-Projekts von Rosneft im Norden des Landes, wieder aufgenommen.

Investitionsplan von Gazprom sieht Steigerungen vor

Im Vergleich dazu dürften die Investitionen in Ölfelder nur um 14 Prozent sinken, da die Ölproduktion nicht wesentlich zurückgegangen ist, wie die Studie zeigt. Die Auswirkungen der geringeren Ölnachfrage werden sich der Studien zufolge im nächsten Jahr bemerkbar machen, wenn die Industriebranchen-Investitionen im Vergleich zu 2021 um etwa 20 Prozent zurückgehen werden. Auf Rosneft und Lukoil werden rund 42 Prozent der Ausgaben entfallen.

Der russische Gasriese Gazprom genehmigte im Oktober seinen aktualisierten Investitionsplan für 2022, der einen Anstieg der Investitionsausgaben um 22,5 Prozent auf 28,6 Milliarden US-Dollar vorsieht. Rystad Energy schätzt, dass etwa 10,4 Milliarden US-Dollar dieser Ausgaben in Upstream-Aktivitäten fließen werden, was einen leichten Rückgang gegenüber den elf Milliarden US-Dollar darstellt, die 2021 für Upstream-Investitionen ausgegeben wurden.

Der Großteil dieser Investitionen wird laut der Studie in die Erschließung der enormen Gas-Kondensat-Reserven im Fernen Osten Russlands und auf der Jamal-Halbinsel fließen. Obwohl einige dieser Entdeckungen vor dem Krieg mit der Ukraine als Ausgangsmaterial für Gaslieferungen nach Europa gedacht waren und es nun voraussichtlich länger dauern wird, bis sie in Betrieb genommen werden können, ist Jamal immer noch in der Lage, in den kommenden Jahren die nächste große Gasdrehscheibe des Landes zu werden.

Gazprom erschließt nach wie vor wichtige Felder wie die Bovanenkovskoye-Gruppe und Kharasaveyskoye und baut die Infrastruktur zur Anbindung der Felder auf. Das Gas aus den Jamal-Feldern wird der Studien zufolge hauptsächlich als Rohstoff für den europäischen Markt verwendet, doch sobald die Pipelines fertiggestellt sind, können diese Mengen nach Asien umgeleitet werden, wodurch der Markt für weitere russische Gasströme geöffnet wird.

Novatek muss Zielsetzungen verschieben

Rosneft folgt Gazprom bei der Erhöhung der Investitionsausgaben in diesem Jahr trotz Sanktionen und eines schwierigen makroökonomischen Umfelds. Die Gesamtinvestitionen stiegen in der ersten Jahreshälfte 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 14 Prozent, wobei die Upstream-Ausgaben rund 90 Prozent der Gesamtausgaben ausmachen. Rystad Energy geht davon aus, dass sich die Upstream-Ausgaben des Betreibers in diesem Jahr auf etwa 12,9 Milliarden US-Dollar belaufen werden, was in etwa dem Wert von 13,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 entspricht.

Auf das Wostok-Öl-Projekt werden zwischen 25 und 30 Prozent des gesamten Upstream-Budgets entfallen. Rosneft führt in diesem Gebiet umfangreiche Bohrungen durch, um die Vorkommen zu bewerten und zusätzliche Reserven zu bestätigen. Rystad Energy glaubt, dass ein großer Teil der Investitionen in den Bau von Projektanlagen fließen wird. Ohne diese Kosten werden die Ausgaben im Jahr 2022 in etwa 9,5 Milliarden US-Dollar betragen, gegenüber 10,7 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr.

Vor der Invasion in der Ukraine konzentrierte sich Novatek auf die Beschaffung von Mitteln für sein Projekt Arctic LNG-2. Das unabhängige russische Unternehmen wollte mit der Inbetriebnahme von Arctic LNG-2 und Yamal LNG Train 4 seine LNG-Produktion von derzeit 18,8 Millionen Tpnnen pro Jahr (Mtpa) bis 2027 auf 40 Mtpa steigern. Es wird jedoch erwartet, dass die Erreichung dieses Ziels fünf bis sechs Jahre länger dauern wird. Der Betreiber konzentriert sich auf die Inbetriebnahme von Arctic LNG-2 Train 1, und die Arbeiten an den übrigen Trains wurden vorerst eingestellt. Die Projektpartner hatten die Finanzierung von 57 Prozent der bis Ende 2021 erforderlichen Gesamtinvestition von rund 23 Milliarden US-Dollar gesichert.


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