Deutschland

Wirecard-Prozess: Verteidigung geht in die Offensive

Lesezeit: 2 min
12.12.2022 14:00  Aktualisiert: 12.12.2022 14:05
Der Verteidiger des ehemaligen Wirecard-CEO Markus Braun geht in die Offensive und erhebt schwere Vorwürfe gegen eine Reihe von Personen und Organisationen.
Wirecard-Prozess: Verteidigung geht in die Offensive
Der früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun (r) geht beim Prozessauftakt neben seinem Anwalt Alfred Dierlamm zur Anklagebank im Gerichtssaal. (Foto: dpa)
Foto: Peter Kneffel

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der Hauptangeklagte Markus Braun geht im Wirecard-Prozess auf Konfrontationskurs zur Staatsanwaltschaft und deren Kronzeugen. Die Ermittler seien voreingenommen und hätten bei der Aufklärung versagt, sagte der Verteidiger des langjährigen Wirecard-Chefs, Alfred Dierlamm, am Montag vor dem Münchner Landgericht. "Infolge der schweren Versäumnisse im Ermittlungsverfahren stehen wir heute vor einem Scherbenhaufen."

Der Anwalt beantragte, das Gericht solle den Prozess aussetzen und die Staatsanwaltschaft mit weiteren Ermittlungen beauftragen. Den ehemaligen Wirecard-Statthalter in Dubai, Oliver Bellenhaus, griff Dierlamm frontal an: Seine Aussagen, auf den sich die Staatsanwaltschaft maßgeblich stützt, seien unplausibel und nicht glaubwürdig. "Bellenhaus ist nicht Kronzeuge", sagte der Anwalt. "Bellenhaus ist Haupttäter einer Bande", deren alleiniges Ziel es gewesen sei, Gelder aus dem Unternehmen herauszuleiten und zu veruntreuen.

Braun sei seit der Insolvenz von Wirecard im Juni 2020 vorverurteilt worden wie kein anderer seiner Mandanten in 30 Jahren, sagte der Wiesbadener Anwalt. "Die Vorverurteilung ist beispiellos wie prägend für dieses Verfahren." Die Strafkammer habe sich nicht die Mühe gemacht, die Angaben der Staatsanwaltschaft vor der Zulassung der Anklage zu überprüfen. Auch das Oberlandesgericht, das für die Untersuchungshaft von Braun verantwortlich war, und der Untersuchungsausschuss des Bundestags seien der Falschaussage von Bellenhaus aufgesessen.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hält Braun laut Anklage für den Kopf einer kriminellen Bande, die über Jahre die Bilanzen des einstigen Börsenlieblings gefälscht und milliardenschwere Scheingeschäfte erfunden habe, um Verluste zu verschleiern. Mit ihm stehen Bellenhaus und der ehemalige Wirecard-Chefbuchhalter Stephan von Erffa vor Gericht. Der 53-jährige Österreicher Braun sieht sich als Opfer von Managern um den flüchtigen ehemaligen Vorstand Jan Marsalek, die Milliarden beiseite geschafft hätten. Von den tausend Mitarbeitern, die Marsalek unterstellt waren, sei kein einziger befragt worden, sagte der Verteidiger.

Dierlamm sagte, die Staatsanwaltschaft habe nach Marsaleks Flucht unter Erfolgsdruck gestanden. Damit sei klar gewesen: "Markus Braun musste hinter Gitter." Der über Jahre als Fintech-Visionär gefeierte Ex-Vorstandschef sitzt seit rund zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft.

Dierlamm sagte, die Staatsanwaltschaft habe relevante Kontounterlagen viel zu spät überprüft und den Prozessbeteiligten zur Verfügung gestellt. Nun brauche er mehr Zeit für die Prüfung dessen, "was uns auf den Tisch geschüttet wurde an Akten". Braun, dessen erste Einlassung für Montag erwartet worden war, sehe sich daher derzeit nicht in der Lage auszusagen. Für den Nachmittag waren Erklärungen der Anwälte von Bellenhaus und von Erffa angesetzt.

Der Ex-Vorstandschef beharrt darauf, dass das lukrative Geschäft von Wirecard mit Drittpartnern in Asien - anders als Bellenhaus behaupte - auch nach 2015 tatsächlich existiert hat. Dierlamm sagte, das ganze Verfahren beruhe auf einer "falschen Verdachtshypothese, nämlich der Annahme, dass es auf den Konten der Drittpartner keine Umsätze gegeben hätte". Dabei habe sich die Staatsanwaltschaft zwei Jahre lang nicht die Mühe gemacht, die Zahlungsflüsse aufzuklären.

Allein auf deren Konten in Deutschland seien aber zwischen 2016 und 2020 Einzahlungen von einer Milliarde Euro dokumentiert. "Von wegen null Euro, wie Herr Bellenhaus der Staatsanwaltschaft das vorgelogen hat", sagte Dierlamm. Allein an vier von Bellenhaus kontrollierte Firmen seien dabei 750 Millionen Euro geflossen. Die von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Geldwäsche-Vorwürfe seien "eine Nebelkerze".

Dass Braun Anführer einer Bande sei, bezeichnete Dierlammn als "geradezu absurde und abwegige Vorstellung". Schließlich habe er keine einzige Wirecard-Aktie verkauft, weil er von der Werthaltigkeit seines Depots überzeugt gewesen sei. Er habe sie sogar als Sicherheit für einen Kredit für "die Immobilie, in der seine Familie wohnt", gegeben. Zudem sei er es gewesen, der eine forensische Untersuchung der Vorgänge bei Wirecard durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG veranlasst habe.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Kostenloses Experten-Webinar: Die Zukunft der personalisierten Medizin aus der Cloud - und wie Sie davon profitieren

Eine individuelle Behandlung für jeden einzelnen Menschen - dieser Traum könnte nun Wirklichkeit werden. Bei der personalisierten Medizin...

 

DWN
Technologie
Technologie Kein Erdgas mehr durch die Ukraine? Westeuropa droht erneute Energiekrise
10.05.2024

Eines der größten Risiken für die europäische Erdgasversorgung im nächsten Winter ist die Frage, ob Gaslieferungen weiterhin durch die...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Chefredakteur kommentiert: Deutsche Bahn, du tust mir leid!
10.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Streik am Bau: Gewerkschaft kündigt Proteste in Niedersachsen an
10.05.2024

Die IG Bauen Agrar Umwelt hat angekündigt, dass die Streiks am Bau am kommenden Montag (13. Mai) zunächst in Niedersachsen starten...

DWN
Politik
Politik Selenskyj drängt auf EU-Beitrittsgespräche - Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Überblick
10.05.2024

Trotz der anhaltenden Spannungen an der Frontlinie im Ukraine-Krieg bleibt Präsident Selenskyj optimistisch und setzt auf die...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Rekordhoch: Deutscher Leitindex springt auf Allzeithoch über 18.800 Punkten
10.05.2024

Der DAX hat am Freitag zum Handelsstart mit einem Sprung über die Marke von 18.800 Punkten seinen Rekordlauf fortgesetzt. Was bedeutet das...

DWN
Politik
Politik Corona-Aufarbeitung: Spahn spricht sich für breite Analyse aus mit allen Blickwinkeln
10.05.2024

Im deutschen Parlament wird zunehmend eine umfassende Analyse der offiziellen Corona-Maßnahmen, einschließlich Masken und Impfnachweisen,...

DWN
Politik
Politik Pistorius in den USA: Deutschland bereit für seine Aufgaben
10.05.2024

Verteidigungsminister Boris Pistorius betont in Washington eine stärkere Rolle Deutschlands im transatlantischen Bündnis. Er sieht den...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Europäische Unternehmen sehen düstere Aussichten in China
10.05.2024

Die jährliche Geschäftsklimaumfrage der EU-Handelskammer in Peking zeigt, dass europäische Unternehmen ihre Wachstumschancen in China so...