Finanzen

Abschaffung der Präsenzpflicht ist ein Verlust der Aktionärsdemokratie

Durch die Pandemie ist die Präsenz-Hauptversammlung für Aktionäre von in Deutschland tätigen Unternehmen keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern die Ausnahme. Rechtsanwalt Robert Peres sieht diese Entwicklung kritisch.
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12.03.2023 00:01
Aktualisiert: 12.03.2023 00:01
Lesezeit: 3 min
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Im Zuge von Covid-19 wurde viel vom „New Normal“ gesprochen und dass nach der Pandemie nichts mehr so sein würde wie davor. Wir erleben das jetzt, wenn Menschen trotz des Auslaufens der meisten Pandemie-Maßnahmen noch immer mit Maske in der Öffentlichkeit zu sehen sind und bei Reisen in manche Länder Impfnachweise gefordert werden.

Sehr deutlich bemerken das sogenannte „New Normal“ vor allem auch die Aktionäre von in Deutschland tätigen Unternehmen – denn plötzlich ist die schöne Präsenz-Hauptversammlung mitsamt Würstchen und Kartoffelsalat keine Selbstverständlichkeit mehr, sondern die Ausnahme. Schließlich ermöglichte der Gesetzgeber mit dem „Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen“ im Juli letzten Jahres die Möglichkeit für Aktiengesellschaften (AG), ein rein virtuelles Hauptversammlungsformat in der Gesellschaftssatzung festzulegen. Aktionärstreffen also nur noch im Internet.

Temporäre Notfallregelung wurde zu Pandemiebeginn durchaus begrüßt

Die ursprüngliche, temporäre Notfallregelung war seinerzeit, Anfang 2020, durchaus begrüßt worden, denn so konnten die 14.000 AGs in Deutschland trotz Kontaktbeschränkungen ihre Jahrestreffen rechtssicher durchführen. Auch die Aktionärsschützer stimmten der Regelung damals zähneknirschend zu. Denn obwohl fundamentale Aktionärsrechte ausgesetzt wurden, war es doch immerhin den Gesellschaften möglich, wichtige und nicht aufschiebbare Unternehmensentscheidungen zu treffen.

Aber welche Möglichkeiten bietet das neue Gesetz nun in der Praxis überhaupt? Unternehmen können entscheiden, wie sie ihre Jahreshauptversammlungen durchführen wollen – die Aktionäre müssen allerdings mehrheitlich zustimmen. Allerdings sind die virtuellen Treffen nicht verpflichtend, das Management kann auch weiterhin Versammlungen in Präsenz durchführen. Dann ändert sich nichts.

Bei hybriden Hauptversammlungen sehen die Unternehmen derzeit zu viel Rechtsunsicherheit, daher hat sich hier noch keine große Gesellschaft herangetraut und im Gesetz steht dazu auch nichts. Von den 40 DAX-Unternehmen gaben immerhin sieben Konzerne laut eines Presseberichts an, ihre Hauptversammlung in diesem Jahr trotz der neuen Möglichkeit in Präsenz auszurichten. Dazu gehören Airbus, BASF, Deutsche Telekom, Henkel, Porsche, Qiagen und Symrise. 17 Firmen – darunter die Allianz, Merck, Mercedes, Sartorius und Vonovia – planten demnach, ein virtuelles Aktionärstreffen auszurichten.

Der Teufel steckt im Detail – und Gefahren lauern

Grundsätzlich sollten die Aktionärsrechte laut Koalitionsvertrag in einer virtuellen Ausgestaltung der Hauptversammlung gegenüber der klassischen Form gleichwertig sein. Das ist nicht ganz gelungen. Zwar sind gegenüber dem Referentenentwurf einige Benachteiligungen der Aktionäre bezüglich des Antrags- und Fragerechts entschärft worden, jedoch steckt oft der Teufel im Detail. Beispiel: bei der Vorab-Einreichung von Fragen kann das Fragerecht bereits mit der Einladung beschränkt werden. Nicht über die Fragen adressierte Themen können dann auch nicht über das Nachfragerecht eingeführt werden. Bei sogenannten „verspäteten Fragen“ steht es im Ermessen des Vorstands, diese zuzulassen.

Andererseits können die Aktionäre während der virtuellen Hauptversammlung Anträge stellen sowie Widerspruch gegen gefasste Beschlüsse erheben. Davon sind neben Verfahrensanträgen auch Gegenanträge und Wahlvorschläge erfasst. Das ist auch innerhalb einer Investorenrede möglich. Ergänzt wurde gegenüber dem Regierungsentwurf, dass sich die Gesellschaft eine Funktionsfähigkeitsprüfung der Videokommunikation des Aktionärs vorbehalten kann, um einen technisch möglichst reibungslosen Ablauf der Hauptversammlung zu gewährleisten. Grundsätzlich gehen Übertragungsfehler zu Lasten der Aktionäre. Insofern lauern Gefahren, wenn beispielsweise die eigene Internetverbindung nicht stabil ist.

Wer sind nun die Gewinner der neuen Regelungen – die Unternehmensleitungen oder die Investoren?

Neben der Effizienz wird aus Unternehmenssicht öffentlich vielfach auf die Kostenersparnis verwiesen. Auch das Argument der Nachhaltigkeit hört man öfter. Wenn man aber genau hinsieht, sind die Vorteile für die Unternehmen ganz andere. Sie liegen in der Risikominimierung. Vorstände mögen keine Überraschungen. Man nennt das Problemverlagerung ins Vorfeld. Präsenzhauptversammlungen sind in der Vergangenheit öfter eskaliert, siehe Bayer AG. Eine Demonstration vor der Halle bringt schlechte Presse und wenn ein Vorstand ausgebuht wird, ist sein Image ramponiert. In einer Präsenzveranstaltung gibt es Kommunikation der Anleger untereinander und das kann zu unerwarteten Anträgen führen. Im virtuellen Format sind auch die zeitlichen Umfänge besser beherrschbar. Endlose Wortbeiträge kommen seltener vor, bzw. können vom Versammlungsleiter verhindert werden.

Große Anleger, beispielsweise Fonds und Kapitalverwalter wie Blackrock, haben sich mit der virtuellen Hauptversammlung arrangiert. Sie planen ihr Abstimmungsverhalten lange im Voraus und haben auch die Gelegenheit, sich im Vorfeld mit dem Management über wichtige Themen – etwa Strukturmaßnahmen – auszutauschen. Da können auch Kritikpunkte zum Tragen kommen und vom Unternehmen berücksichtigt werden. Die traditionelle Hauptversammlung ist aber gerade für den kleineren Aktionär sehr wichtig, denn nur dort kommt er in Berührung mit der Unternehmensführung, aber auch anderen Investoren. Daher ist die Abschaffung der Pflicht zur Präsenz ein Verlust der Aktionärsdemokratie.

Aktionärsschützer kritisieren neues Format

Markus Kienle, Rechtsanwalt und Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), ist der Meinung, der Gesetzgeber habe mit dem Gesetz gar keine virtuelle, sondern eine rein digitale Hauptversammlung geschaffen. Wäre sie tatsächlich virtuell, würde sie eine vollständige Interaktion zwischen den Aktionären und der Verwaltung während der gesamten Dauer der Hauptversammlung erlauben. Das sei aber genau nicht der Fall. Vorstand und Aufsichtsrat verschanzten sich mit dem virtuellen Format in einem Elfenbeinturm, kritisierte etwa Ingo Speich, Experte für gute Unternehmensführung bei der Fondsgesellschaft Deka. "Die Bodenhaftung geht ihnen verloren, und sie entfernen sich weiter von ihren Aktionären."

So bleibt es also Unternehmen überlassen, wie sie in Zukunft die Mitwirkungsrechte der Aktionäre gestalten wollen. Einige haben sich bereits pro-Anleger positioniert, nicht nur DAX-Konzerne. Auch Unternehmen wie die Freenet AG haben bereits festgelegt, dass sie ihre Jahreshauptversammlung physisch durchführen werden. Anleger werden in Zukunft ein kritisches Auge auf diese wichtige Entscheidungsfindung richten – zum Beispiel, wenn es um Investitionsentscheidungen geht.

Über den Autor: Robert Peres ist Rechtsanwalt mit Sitz in Berlin und Wiesbaden und Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre, die sich für die Stärkung der Aktionärsrechte in Deutschland einsetzt.

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