In einem sechsseitigen Arbeitspapier hatte das Bundeswirtschaftsministerium seine Pläne dargelegt, mit einem subventionierten Industriestrompreis der energieintensiven Industrie unter die Arme zu greifen. Ziel müsse es sein, so das Ministerium, diese Industrien in Deutschland zu halten. Zu diesem Zweck solle der Preis für einen „klar definierten Empfängerkreis“ auf sechs Cent pro Kilowattstunde begrenzt werden.
Die Pläne des Habeck-Ministeriums stießen bei der Großindustrie und ihnen nahestehenden Verbänden auf lebhafte Zustimmung, auch weite Teile der SPD und der Gewerkschaften sprachen sich für die Einführung einer solchen Subvention aus. Jedoch stieß das Vorhaben Habecks sogleich auch auf entschiedene Ablehnung des Mittelstandes. So hatte der Vorsitzende des Bundesverbands der Mittelständischen Wirtschaft, Markus Jerger, eindringlich vor der Einführung eines solchen Industriestrompreises gewarnt, wie die Deutschen Wirtschaftsnachrichten berichteten. Jerger hatte geltend gemacht, dass die Einführung einer solchen Subvention zu massiven Wettbewerbsnachteilen für den Mittelstand führen würden. Zudem wird die Befürchtung geäußert, dass mit der Gewährung eines verbilligten Strompreises an die Industrie der Mittelstand einen Wettbewerbsnachteil erleide.
Nun bekommen die Vertreter des Mittelstands argumentative Unterstützung – und den Anfang machte nun die Vorsitzende des Sachverständigenrats der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer: „Einen Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen halte ich nicht für den richtigen Weg", sagte Schnitzer. Dieser verteile Steuergelder von weniger energieintensiven Branchen in energieintensive Branchen um. "Das bremst den Strukturwandel, der aber dringend notwendig ist", so Schnitzer. Es sei sinnvoller, wenn bestimmte Grundstoffe in Zukunft aus Ländern mit günstigeren Energiepreisen kämen und Deutschland sich auf Technologie-Produkte konzentriere, bei denen die deutsche Wirtschaft einen Wettbewerbsvorteil habe.
Auch die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier lehnt das Konzept Habecks ab. „Eine solche Preisverzerrung führt bloß dazu, dass die Wirtschaft bei Produktionsweisen hängen bleibt, in denen wir einen strategischen Nachteil haben", sagte sie. Es sei „kein Argument, dass bestimmte Industrien hier schon seit Jahrzehnten präsent sind".
Ebenfalls skeptisch ist der Wirtschaftsweise Martin Werding. "Ein Industriestrompreis ist viel zu wenig zielgenau und auch zu rückwärtsgewandt." Ratsmitglied Veronika Grimm hatte einen Industriestrompreis bereits zuvor abgelehnt. Allein der Wirtschaftsweise Achim Truger spricht sich im fünfköpfigen Sachverständigenrat für das Konzept aus: „Es ist weitgehender Konsens, dass es strategisch wichtige Branchen und Unternehmen gibt, die man im Inland oder in der EU halten möchte“, so seine Begründung Die Stellungnahme Trugers gilt indes in Fachkreisen als wenig überraschend, da dieser von den Gewerkschaften in das Gremium berufen worden ist und die Gewerkschaften sich zuvor für die Einführung eines Industriestrompreises ausgesprochen hatten.
Der Rat der Sachverständigen zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage, auch Wirtschaftsweise genannt, ist das höchste und renommierteste Gremium, das die Bundesregierung in allen wesentlichen volkswirtschaftlichen Fragen berät. Das Gremium wurde 1963 von dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard nach dem amerikanischen Vorbild des Council of Economic Advisors, das den amerikanischen Präsidenten berät, gebildet.
Mit der ablehnenden Stellungnahme von vier der fünf Wirtschaftsweisen haben die Pläne Habecks zur Einführung eines Industriestrompreises nun einen herben Dämpfer erhalten, aber auch in der Ampelregierung selbst hat sich Widerstand formiert. Denn inzwischen stößt das Vorhaben auf die entschiedene Ablehnung der FDP. Zum einen, weil die Liberalen mit der Einführung eines subventionierten Preises den Eintritt in einen neuen Subventionswettlauf befürchten, zum anderen aber stößt es bei ihnen auf, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermeintliche Wohltaten in Form neuer Subventionen in Aussicht stellt, der Bundesfinanzminister aber zusehen darf, wie er diese finanzieren soll.
Zweideutig ist die Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz in dieser Frage. Als Gastredner sagte er auf dem Wirtschaftsrat der CDU, dass er sich zwar einen Industriestrompreis – ähnlich wie Habeck auch – als eine Übergangslösung vorstellen könne. Sogleich warnte der Bundeskanzler aber, dass die Energiewirtschaft kein Dauersubventionsfall für die Bundesrepublik Deutschland werden könne: „Das kann in keinem Land gutgehen, und das würde auch bei uns nicht funktionieren.“ Seine Regierung verfolge das Ziel, dass „wir ausreichend Strom-Produktionskapazitäten für unser Land haben, die aber dann eben subventionsfrei billig sein müssen“.
Und so könnte Bundeswirtschaftsminister Habeck nun auch mit der Einführung eines Industriestrompreises auf erhebliche Widerstände in weiten Teilen der mittelständischen Wirtschaft, der Wissenschaft und nun auch innerhalb der Ampel-Regierung stoßen.