Politik

Die EU-Kommission agiert beim Datenschutz wie ein Terrorist

Lesezeit: 6 min
27.05.2023 09:29  Aktualisiert: 27.05.2023 09:29
Wenn die EU-Kommission Facebook erneut mit hohen Strafen belegt, macht sie nur ihrem Ärger darüber Luft, dass Europa den US-Technologiekonzernen nichts entgegenzusetzen hat.
Die EU-Kommission agiert beim Datenschutz wie ein Terrorist
Mit einer Milliarden-Strafe gegen Facebook lenkt die EU-Kommission erneut vom eigenen Versagen beim Datenschutz ab. (Foto: dpa)

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Was ist ein Terrorist? Eine Person, die aus den verschiedensten Gründen mit der Welt unzufrieden ist und daher wahllos tötet. Der oder die Betreffende macht in der Aggression seinem, ihrem Ärger Luft. Nebenher erzielt der Terror auch vermeintlich eine Wirkung, weil eine breite Öffentlichkeit auf die tatsächlichen oder behaupteten Missstände aufmerksam wird. Die krause und tödliche Argumentation hat dazu geführt, dass diese Mörder nicht als Mörder bezeichnet werden, sondern als Terroristen, die von einem hehren Ziel getrieben werden.

Was macht die EU-Kommission, wenn sie Facebook immer wieder mit hohen Strafen belegt, zuletzt waren es vor wenigen Tagen 1,2 Milliarden Euro? Sie macht ihrem Ärger über den Erfolg der US-amerikanischen Technologiekonzerne Luft, dem Europa nichts entgegenzusetzen hat. Die Strafen haben einen vermeintlich guten Grund: Facebook überträgt die in Europa erfassten Daten auf die US-Computer und verwertet die Informationen, die auf dem alten Kontinent verbleiben müssten. Diese Argumentation ist nur möglich, weil es kein europäisches Facebook gibt. Gäbe es so eine Einrichtung würde sie selbstverständlich Daten aus den USA nach Europa transferieren und eifrig zu Geld machen. Die üblichen Terroristen behaupten meist im Namen Allahs zu morden, die EU behauptet, sie sei ein Kämpfer für den Datenschutz.

DSGVO – das heilige Buch der Datenschützer

Nun könnte man den hier angestellten Vergleich als zynisch und unpassend bezeichnen. Schließlich ermordet die EU-Kommission niemanden, sondern verhängt nur Geldstrafen, wobei nicht einmal sicher ist, ob diese in den nun startenden Gerichtsverfahren halten. Die Attacken gegen Facebook und andere Konzerne haben in der Datenschutzgrundverordnung, kurz DSGVO, eine gesetzliche Grundlage, die als Legitimierung dient. Um noch einmal den Vorwurf des Zynismus zu riskieren: Die islamistischen Terroristen haben alle den Koran im Gepäck, der ihre Verbrechen rechtfertigen würde. Islamische Theologen lehnen diese vermeintliche Rechtfertigung als Fehlinterpretation des heiligen Buchs der Mohammedaner ab. Die DSGVO wurde zwar von den Parlamenten beschlossen, aber von jenen Akteuren geschrieben, die nun mit Milliardenstrafen um sich schlagen. Das heilige Buch der Datenschützer würde sogar noch höhere Strafen ermöglichen.

Ein Wirtschaftskrieg gegen die USA ist fehl am Platz

Die Aktion der EU gegen Facebook ist ebenso absurd wie alle sonstigen Terrorakte und das aus einer Vielzahl von Gründen, wobei sich keine Reihung nach der jeweiligen Bedeutung anbietet. Vorweg sei ein sehr pragmatischer Umstand angemerkt. Die Wirtschaften der USA und der EU sind eng verbunden und so ist eine gegenseitige Rücksichtnahme am Platz. Die Dienstleistungen von Facebook, Google und den mittlerweile schon zahlreichen anderen Anbietern sind moderne Exporte der USA nach Europa. Umgekehrt liefert Europa so viele Waren in den USA, dass sich Monat für Monat ein Milliardenüberschuss zugunsten der EU ergibt. Es ist nichts leichter für die USA, als bei Bedarf den Import aus Europa mit Zöllen und Vorschriften zu behindern. Milliardenstrafen sind Waffen in einem Wirtschaftskrieg, der gegenüber den USA derzeit sicher nicht angebracht ist.

Am Ende wird Facebook sogar von der EU-Aktion profitieren

Der Triumphschrei der Datenschützer, dass nun Facebook endlich Disziplin lernen werde, ist nicht sehr überzeugend. Die Abwicklung wird zwar etwas komplizierter, doch was hindert Facebook, eine eigene Datenzentrale für Europa im Rahmen einer einwandfrei europäischen Gesellschaft zu errichten und von dort aus die Verwertung der Daten zu betreiben? Viele Länder, die schon jetzt mit Begeisterung die Errichtung von Cloud-Fabriken mit tausenden Computern als willkommene Investition feiern, werden auch gerne Datenzentralen von Facebook beherbergen.

  • Das sich abzeichnende Konzept erinnert an eine andere Blamage von Behörden, die gegen Giganten ankämpfen: 1911 wurde Rockefeller gezwungen, den marktbeherrschenden Ölriesen Standard Oil zu zerschlagen. Der erfolgreiche Industrielle, der zuvor zahlreiche Konkurrenten besiegt hatte, gründete 34 Einzelgesellschaften, die ihm gehörten. In der Folge agierte das Imperium unter verschiedenen Marken, die sich sogar als nützliche Werbeträger erwiesen. Die Unternehmen entstanden, als das ursprünglich von den Öllampen dominierte Geschäft sich durch den Siegeszug des Automobils zu einer Goldgrube entwickelte.

Interessant ist die Frage, welche Daten denn so heikel sind, dass sie nicht über den Atlantik transportiert werden dürfen. Dominant auf Facebook sind freiwillig verbreitete Informationen über banale, alltägliche Ereignisse. Wie das Essen und die Getränke gestern Abend geschmeckt haben, wer sich schlecht benommen hat, den übermäßigen Alkoholkonsum nicht vertragen hat, wohin es auf Urlaub geht, welches spannende Buch unbedingt gelesen werden muss und wo man was am günstigsten einkaufen kann. Die Reihe lässt sich unendlich fortsetzen und reicht bis zu detaillierten Berichten über Verdauungsprobleme. Aus diesem Sammelsurium lassen sich mit einem guten Computerprogramm übersichtliche Bilder des Konsumverhaltens zeichnen, die Anbietern bei der Formulierung ihrer Marktstrategien helfen. Da das Verbraucherverhalten in den USA und in Europa nicht ident ist, dürfte es für Facebook sogar ein Vorteil sein, wenn man die Datenauswertung nach Regionen trennt.

Geheimdienste stört das Verbot des Datentransfers kaum bei der Arbeit

Eines der Argumente gegen den Datentransfer in die USA stellt auf die Gefahr ab, die Daten könnten auch den Geheimdiensten Informationen liefern. Diese Logik ist recht skurril, wenn man bedenkt, dass die US-Spione auch ohne Facebook filmgerecht die Handys der europäischen Spitzenpolitiker abhören und sich generell frei in den nur mutmaßlich durch Firewalls und Passwörter geschützten Computer-Welten bewegen. Es mag schon sein, dass den vielen James Bonds die Arbeit leichter fällt, wenn sie nur Computer hacken müssen, die in den USA stehen, doch wird das den unsichtbaren Helden gar nicht gefallen, arbeiten sie doch gerne mit hohen Auslandsgagen in europäischen Außenstellen.

Geheimdiensten wird es wenig nützen, wenn sie erfahren, dass gerade jetzt ein neuer Herausforderer auf dem Getränkemarkt Coca-Cola und Red-Bull attackiert. Vielleicht können Geheimdienste aus den Botschaften der Staaten und einzelner Politiker Informationen destillieren. Bezeichnend ist etwa die erste Reaktion der deutschen Bundesregierung, dass sie trotz des Brüsseler Kampfs gegen Facebook die Präsenz auf Facebook beibehalten werde. Bemerkenswert ist, dass die Politiker in den westlichen Demokratien eifrig die sozialen Netze als Informationsmedium benützen, wobei Facebook nicht einmal dominant ist, dieses Segment wird von Twitter beherrscht. Allerdings kann man diese Unsitte nicht den sozialen Medien anlasten. Da müssten sich die politischen Verantwortungsträger daran erinnern, dass sie den Staat vertreten und für offizielle Mitteilungen offizielle Kanäle zu verwenden hätten. Viele haben keine Scheu, aus einer heiklen Sitzung eine Information zu senden, um sich in der Öffentlichkeit zu profilieren. Manche Verordnungen werden verstümmelt „gepostet“ und erst später erfährt man aus einem Amtsblatt den eigentlichen Inhalt.

Wer hat Zeit und Lust eine Cookie-Regelung zu studieren?

Statt die DSGVO als Waffe in einem sinnlosen Wirtschaftskrieg einzusetzen, sollte die EU-Kommission dringend eine Reform dieser missglückten Regelung vornehmen. Was soll der „Cookie“-Wahn? Jeder Anbieter im Netz muss die Nutzer auffordern, die Details der jeweiligen Bestimmungen zu lesen und zu definieren, welche Zugriffe zu den Daten erlaubt werden und welche nicht. Kaum jemand hat die Zeit, dieser Aufforderung nachzukommen und so werden in der Regel alle akzeptiert, damit man prompt zu den gewünschten Informationen kommt. Diese Bestimmung erinnert an den Konsumentenschutz im Versicherungswesen, wo die Vorschriften dafür sorgen, dass eine banale Eigenheimversicherung bereits hundert Seiten Konsumenteninformationen umfasst, die niemand liest. Datenschutz und Konsumentenschutz sind wichtig, nur in der praktizierten Form nützen sie niemandem.

Jeder Teilnehmer am Internet müsste eine eindeutige Adresse haben

Wie realitätsfern die DSGVO ist, zeigt sich an einem entscheidenden Faktor. Teilnehmer im Internet können problemlos anonym agieren. Betrüger werden nicht gefasst. Bedrohungen bleiben ungesühnt. Man wird ständig belästigt. Eine sinnvolle Regelung müsste vorschreiben, dass ausnahmslos jeder Anbieter, jede Anbieterin eine digitale und eine analoge Adresse, also eine fixe IP-Adresse und einen genauen Heimatort, angeben muss. Liegen diese Informationen nicht vor, ist eine Teilnahme am Internet generell ausgeschlossen. Solange diese Vorschrift nicht existiert, sind alle Datenschutz-Bestimmungen wert- und wirkungslos. Nur bei tatsächlicher Transparenz kann man sich gegen Belästigungen und Missbräuche wehren.

Das Verbot, E-Mails an potenzielle Kunden zu senden, ist eine Wirtschaftsbremse

Die EU-Datenschützer sind auch gefordert, endlich eine wirtschaftsfeindliche Absurdität der DSGVO zu beseitigen. Derzeit darf ein Unternehmen einem potenziellen Kunden kein E-Mail senden, wenn nicht vorweg eine ausdrückliche Zustimmung erteilt wurde oder schon eine aufrechte Kundenbeziehung besteht. Man verbietet also ein Instrument, das in der modernen Welt ein selbstverständliches Werbemittel sein müsste. Ein Missbrauch wäre leicht abzustellen, würde man die US-amerikanische Regelung anwenden. Wer die Aufforderung zum „Unsubscribe“, also zur Beendigung der Zusendungen, missachtet, wird bestraft. In Europa wird der Vorgang von vornherein verboten. Ordentliche Unternehmen halten sich an die Bestimmung, Internet-Terroristen lachen nur über die EU-Vorschrift.

Der Schutz der staatlichen Internet-Spione nützt allen Internet-Terroristen

Die Verhinderung von Transparenz im Internet kann mehrere Gründe haben. Sympathisch, aber weltfremd ist die Forderung, jeder und jede möge sich frei von Regulierungen im Netz bewegen können. Gäbe es keine kriminelle Energie, die sich besonders leicht unter dem Schutzmantel der Anonymität ausleben lässt, könnte man diesen Zugang vielleicht überlegen.

Viel realistischer als die These von den lieben Menschen, die sich im Internet sozial und rücksichtsvoll bewegen, ist eine andere Annahme. Alle Staaten nützen das Internet, um die Bürger auszuspionieren. Egal, ob es um tatsächliche oder vermeintliche Verbrechen, Steuerhinterziehungen oder Verleumdungen geht, die Polizei, die Finanz, die Justiz, die Geheimdienste dringen heimlich in die Computer ein und ziehen Daten ab. Diese Verletzungen der Privatsphäre wären nicht möglich, könnte man bei jedem Eingriff die Täter an ihrer Adresse erkennen. Im Falle staatlicher Hacker würden die Beamten in Amtshaftungsverfahren landen, die zuständigen Minister müssten reihenweise zurücktreten.

Das soll verhindert werden. Im Endeffekt schützen aber die Staaten auch die privaten Kriminellen, die folglich unerkannt im Internet ihr Unwesen treiben. Die Geheimdienste aus Russland und China und die verschiedenen Terrorgruppen, die das Internet als Aktionsfeld ihrer Hacker missbrauchen, sind ebenfalls Nutznießer der Anonymität im Netz.

Es gäbe also viel zu tun für die Datenschützer der EU, doch ist es offenbar einfacher spektakulär eine Milliardenstrafe gegen Facebook zu verhängen, als tatsächlich die Daten und somit die Privatsphäre der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Vor allem aber gilt: Was bedeutet schon echter Datenschutz, wenn man als staatlicher Daten-Terrorist vielleicht einen Steuersünder mehr enttarnen kann?!

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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