Auf dem Öl-Markt steht ein Showdown bevor. Während Händler darauf wetten, dass die Preise weiter fallen werden, drosseln die Förderländer ihre Produktion deutlich, um einen Preisanstieg herbeizuführen. Der Ausgang des Streits wird sich auch an deutschen Zapfsäulen niederschlagen, obwohl natürlich hierzulande der Großteil der Preise für Benzin und Diesel aus Steuern besteht.
Im Oktober hatte die als OPEC+ bekannte Koalition, die sich aus den Staaten der in Wien ansässigen Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) und einigen verbündeten Staaten wie Russland zusammensetzt, die Märkte mit einer Drosselung der Produktion um 2 Millionen Barrel pro Tag überrascht. Doch nach einer kurzen Rallye, die bis November 2022 anhielt, setzte sich der Preisrückgang weiter fort.
Im Februar dieses Jahres kündigte Russland an, die Produktion um eine weitere halbe Million Barrel zu drosseln, und im April kündigten acht Mitglieder von OPEC+ an, ihre Produktion um weitere 1,2 Millionen Barrel zu kürzen, wie das Wall Street Journal berichtet. Doch auch diese Ankündigungen konnten die Talfahrt beim Ölpreis nicht stoppen.
Der Preis für die Benchmark-Sorte Brent ist seit den ersten Förder-Kürzungen im Oktober letzten Jahres um mehr als 20 Prozent zurückgegangen. Am Donnerstag notierte der Preis bei 72,35 Dollar pro Barrel. Das ist deutlich weniger als die geschätzten 81 Dollar, die Saudi-Arabien benötigt, um seinen Staatshaushalt auszugleichen. Das Königreich ist der zweitgrößte Ölproduzent der Welt hinter den USA und der faktische Führer der OPEC.
Optimistische Analysten mussten ihre Prognosen wiederholt senken, und optimistische Händler sind wiederholt auf dem falschen Fuß erwischt worden. Die Förder-Kürzungen wurden vor allem durch drei entscheidende Faktoren mehr als ausgeglichen, und diese drei Faktoren können umgedreht auch als entscheidende Gründe für die wiederholten Förder-Kürzungen angesehen werden:
- Stärkere Förderung durch USA, Kanada und Brasilien, die nicht zu OPEC+ gehören
- Die Aussicht auf eine globale Konjunkturabschwächung und
- Russlands unerwartet robuste Ölexporte trotz westlicher Sanktionen
Die fallenden Kurse für Rohöl haben dazu beigetragen, dass Tanken und Heizen wieder erschwinglicher sind als noch im Sommer letzten Jahres. Zudem sind die Aktienkurse der großen Energieunternehmen deutlich gefallen. Die Aktien von Exxon Mobil und Chevron sind in diesem Jahr bereits um 7,4 Prozent beziehungsweise sogar 16 Prozent gesunken, während der Aktienindex S&P 500 insgesamt um 8,9 Prozent gestiegen ist.
In einem Bericht von Standard Chartered wurde letzte Woche festgestellt, dass in den letzten vier Wochen mehr Rohöl an den Termin- und Optionsmärkten verkauft wurde als in einem ähnlichen Zeitraum seit November 2018. Der Verkauf des Äquivalents von 60 Supertankern drückte den Index, den die Bank verwendet, um den spekulativen Handel zu verfolgen, auf einen Tiefstand, der dem zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 entspricht.
Am darauf folgenden Tag drohte der saudische Energieminister mit weiteren Kürzungen und forderte die Spekulanten auf, sich in Acht zu nehmen. Zwei Tage später widersprach ihm ein hochrangiger russischer Beamter, der sagte, dass seiner Meinung nach an diesem Wochenende keine Kürzungen zu erwarten seien und dass Brent bis zum Jahresende wahrscheinlich von selbst wieder auf 80 Dollar steigen wird. Diese widersprüchlichen Aussagen könnten die Bären ermutigen.
Bevor die OPEC+ im Jahr 2016 gegründet wurde, hatte der Schieferöl-Boom in den USA den Marktanteil der OPEC und ihre Fähigkeit beeinträchtigt, die globalen Preise zu kontrollieren. Durch den Zusammenschluss mit Ländern wie Russland, dem drittgrößten Produzenten der Welt, konnte das Kartell seinen Anteil an der weltweiten Produktion von etwa 40 Prozent auf fast 60 Prozent steigern.
Da sich die Prioritäten Russlands aufgrund der westlichen Sanktionen verschoben haben, sind einige Analysten der Ansicht, dass die OPEC+ praktisch nicht mehr existiert und Saudi-Arabien auf sich allein gestellt ist. "Wir befinden uns wieder in der alten Welt der OPEC, in der die meisten wichtigen Entscheidungen ausschließlich in Riad und nicht in Wien getroffen werden", sagte Jeff Colgan, Professor für Politikwissenschaft an der Brown University.
Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit durchaus die Bereitschaft gezeigt, seine massiven ungenutzten Produktionskapazitäten von etwa 2,5 Millionen Barrel pro Tag als Knüppel einzusetzen, um Abweichler in Schach zu halten. So weigerte sich Russland zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020, seine Produktion zu drosseln, bis Riad die Welt mit Rohöl überschwemmte und den Brent-Preis unter die Marke von 20 Dollar pro Barrel drückte.
Inzwischen aber halten sich die OPEC+-Länder an ihre Quoten, um eine weitere solche Episode zu vermeiden, sagte Paul Horsnell, Leiter der Rohstoffforschung bei Standard Chartered, gegenüber dem Wall Street Journal. Die OPEC+-Mitglieder könnten eher geneigt sein, die Preise mit stärkeren Kürzungen zu stützen als in der Vergangenheit, "weil sie wissen, dass das Jahr 2024 für sie etwas besser aussieht", sagt auch Jorge León, Analyst bei Rystad Energy.
Laut einer Analyse von Rystad dürfte sich der diesjährige sprunghafte Anstieg der Produktion in Staaten, die nicht zu OPEC+ gehören, in naher Zukunft nicht wiederholen, so die. Darüber hinaus stellen die amerikanischen Schieferölproduzenten nicht mehr wie früher Heerscharen von Bohrtürmen auf, um auf Preissteigerungen zu reagieren, sondern leiten ihre Gewinne an die Aktionäre weiter.
Allerdings vertrauen weiterhin viele Händler auf die Macht des OPEC-Kartells. Ein Händler, der bei einer europäischen Bank arbeitet, sagte dem Wall Street Journal, dass derzeit niemand "Angst" davor habe, Optionen zu verkaufen, die sich auszahlen, wenn Brent unter 65 Dollar pro Barrel fällt. Dies wertet er als Vertrauen in eine unterstellte "OPEC-Untergrenze" von 70 Dollar.