China treibt seine Tiefseebohrungen mit Nachdruck voran. Damit will das Land seine Abhängigkeit von ausländischem Öl verringern. Denn es muss bereits seit einigen Jahren mehr als 70 Prozent seines Öl-Bedarfs importieren, nachdem es um die Jahrtausendwende noch weniger als 10 Prozent waren. Ein Grund dafür besteht darin, dass die chinesischen Ölvorkommen an Land zur Neige gehen. Und die starke Nachfrage wird voraussichtlich auf Jahrzehnte anhalten.
Im Hinblick auf die Rohölimporte war der Mai der bisher dritthöchste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen, wie chinesische Zolldaten vom Mittwoch zeigten. Die Importe beliefen sich auf insgesamt 51,44 Millionen Tonnen 12,11 Millionen Barrel pro Tag (bpd). Das waren 17,4 Prozent mehr als im April und 12,2 Prozent mehr als im Mai letzten Jahres.
Zwar drückt die anhaltenden Abkühlung der chinesischen Wirtschaft die Nachfrage nach Rohölimporten. Doch der Aufbau von Lagerbeständen hat dazu beigetragen, die Nachfrage zu stützen. "Die Rohölvorräte in China sind von 44,9 Tagen im Dezember 2022 auf 46,1 Tage angestiegen", zitiert Reuters aus einer Mitteilung von JPMorgan von letzter Woche.
Die wichtigsten Öllieferanten für China sind Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten gefolgt von Russland, Westafrika, Südafrika, den ASEAN-Staaten, den USA, Kanada und einigen weiteren Staaten. Vor allem Russland hat im Verlauf des letzten Jahres seine Lieferungen nach China deutlich erhöht. Die russischen Öl-Exporte waren allen westlichen Sanktionen zum Trotz zuletzt so hoch, dass das Land einen Streit mit der OPEC riskiert.
Tiefsee-Bohrungen gegen Abhängigkeit von Öl-Importen
Zwar pflegt China gute Beziehungen zu seinen wichtigsten Öllieferanten am Golf und in Russland. Doch die hohe Abhängigkeit von Importen hat Chinas staatliche Ölkonzerne nun trotzdem dazu veranlasst, die eigene Rohölproduktion auszubauen. Wegen rückläufiger Vorräte in den Ölfeldern an Land, setzt man dabei auf Bohrungen in immer tieferer See.
Mit seiner ausgedehnten industriellen Basis und seinen Tiefsee-Ambitionen hat die China National Offshore Oil Corporation (Cnooc), eine der drei großen staatlichen Ölfirmen, zuletzt massive Investitionen getätigt, um eigene Bohrtechnologie zu entwickeln, die derzeit von westlichen Ölkonzernen dominiert wird. Seine Aktivitäten im umstrittenen Südchinesischen Meer haben das Unternehmen in Konflikt mit der US-Regierung gebracht.
Washington setzte Cnooc im Jahr 2021 auf eine schwarze Liste, weil das Unternehmen angeblich in Absprache mit dem chinesischen Militär Nachbarländer im Südchinesischen Meeres "schikaniert" hat. Der chinesische Ölkonzern hat das Bohai-Meer zwischen Nordchina und der koreanischen Halbinsel zum größten Ölfeld des Landes entwickelt und baut das Liuhua- und andere Felder im östlichen Südchinesischen Meer aus.
"Angesichts der beträchtlichen unerschlossenen Offshore-Volumina Chinas dürften sich die inländischen Offshore-Fässer zu einem unverzichtbaren Wachstumsmotor für das kommende Jahrzehnt entwickeln", zitiert Bloomberg Baihui Yu, einen Senior Research Analyst bei S&P Global Commodity Insights. "Der technologische Fortschritt und der verbesserte Zugang haben es ermöglicht, mehr Bohrungen in tiefere Gewässer zu verlegen."
Im vergangenen Jahr entfielen 60 Produktion der neuen chinesischen Ölproduktion auf Bohrungen im Meer. Dabei ist China nicht das erste Land, das die Offshore-Vorkommen nutzen muss, um schwindende Onshore-Reserven zu ersetzen. US-Bohrer erschlossen in den 1960er Jahren den Golf von Mexiko, und europäische Unternehmen machten in den 1970er und 1980er Jahren die Nordsee zu einem wichtigen Förderzentrum.
Cnooc ist Chinas einziger Offshore-Ölproduzent. Seine Produktion wuchs auf einen Anteil von 15 Prozent der gesamten chinesischen Förderung im Jahr 2013 auf etwa 23 Prozent im Jahr 2021, wie aus Unternehmensunterlagen und Daten von BP hervorgeht. Das Unternehmen investiert massiv, um die Produktion in diesem Jahr um 4 bis 6 Prozent und in den beiden kommenden Jahren um weitere 12 Prozent zu steigern.
China hat technologisch aufgeholt
Die technischen Herausforderungen bei Tiefseebohrungen sind immens. Die Stahlkonstruktionen sind so groß wie der Eiffelturm. Sie müssen stark genug sein, um massiven Wellen und Taifunen standhalten zu können. Aufgrund ihrer Größe können sie nicht mit Kränen transportiert werden und werden daher horizontal gebaut und von der Seite auf Schiffe gerollt. Dann werden sie hunderte Kilometer vor die Küste gebracht, wo sie vom Meeresboden bis über die Meeresoberfläche reichen.
Große Ölkonzerne wie Chevron und Shell sind immer noch die technologisch am weitesten fortgeschrittenen Akteure in diesem Sektor und verfügen über die Verfahren, um auch in raueren und tieferen Offshore-Umgebungen zu bohren. Aber Cnooc holt auf. Vor einem Jahr baute das Unternehmen den größten Mantel in der Geschichte Asiens für sein Haiji-1-Feld.
Nun verstärkt das staatliche Unternehmen die Exploration in tieferen Gewässern, die weiter von Chinas Küste entfernt sind. Cnooc rechnet damit, in diesem Jahr zwischen 650 und 660 Millionen Barrel Öläquivalent zu fördern, und beteiligt sich zudem an Projekten auf der ganzen Welt, darunter der Mammutfund der Exxon Mobil vor der Küste von Guyana.
Auf einer anderen Baustelle in Qingdao wird mit einer noch fortschrittlicheren Technologie experimentiert. Hier wird ein neues zylinderförmiges Schiff gebaut, das in der Nähe des Mantels und der Ölplattform schwimmt und das Öl an Bord verarbeitet und lagert, bevor es auf Tankschiffe verladen wird. Nach Angaben des Unternehmens hat der technische Fortschritt dazu geführt, dass einige zuvor unwirtschaftliche Offshore-Felder heute erschließbar geworden sind.