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Nach tödlicher Polizeigewalt erneut schwere Ausschreitungen in Frankreich

Lesezeit: 3 min
29.06.2023 10:51  Aktualisiert: 29.06.2023 10:51
Nachdem ein Polizist einen jungen Nordafrikaner erschossen hat, dient dies bereits eine zweite Nacht in Folge als Anlass für schwere Ausschreitungen in vielen Teilen Frankreichs. Hilft die Bestrafung eines Polizisten?
Nach tödlicher Polizeigewalt erneut schwere Ausschreitungen in Frankreich
Die zweite Nacht in Folge kam es in Nanterre, außerhalb von Paris, zu Ausschreitungen. (Foto: dpa)
Foto: Christophe Ena

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In Frankreich ist es nach einem tödlichen Schuss der Polizei auf einen Jugendlichen die zweite Nacht in Folge zu schweren Ausschreitungen gekommen. Landesweit seien 150 Menschen festgenommen worden, teilte Innenminister Gerald Darmanin am Donnerstag mit. Dutzende Polizisten seien bei Auseinandersetzungen mit Protestierenden verletzt worden.

"Eine Nacht unerträglicher Gewalt gegen Symbole der Republik: Rathäuser, Schulen und Polizeistationen werden in Brand gesteckt oder angegriffen", schrieb Darmanin auf Twitter. Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Gewalt als "nicht zu rechtfertigen".

Deren Auslöser ist der Tod eines 17-Jährigen nordafrikanischer Herkunft, der am Dienstag im Pariser Arbeitervorort Nanterre bei einer Verkehrskontrolle erschossen worden war. Der Staatsanwaltschaft zufolge hatte er trotz Aufforderung der Polizei seinen Wagen nicht gestoppt. Bereits in der Nacht zu Mittwoch kam es zu Gewalt auf den Straßen, die Macron "unentschuldbar" genannt hatte.

In Nanterre, wo der getötete Jugendliche namens Nahel gewohnt hatte, kam es zu den heftigsten Auseinandersetzungen. In der Nacht zu Donnerstag setzte eine aufgebrachte Menge Autos in Brand und schoss mit Feuerwerkskörpern auf die Polizei.

In Lille im Norden und in Toulouse im Südwesten kam es ebenfalls zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten. Ausschreitungen gab es nach Polizeiangaben auch in Amiens, Dijon und im Departement Essonne südlich von Paris.

Für den Vormittag kündigte die Staatsanwaltschaft von Nanterre eine Pressekonferenz an, um über die Ermittlungen zum gewaltsamen Tod des Jugendlichen zu berichten. Gegen einen Polizisten wird wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt.

Präsident Macron berief eine Krisensitzung des Kabinetts ein. "Die vergangenen Stunden waren geprägt von Gewaltszenen gegen Polizeiwachen, aber auch Schulen und Rathäuser und damit Institutionen der Republik, und diese Szenen sind völlig ungerechtfertigt", sagte er zu Beginn der Beratungen.

Am Mittwoch hatte Macron den gewaltsamen Tod des 17-Jährigen als unentschuldbar bezeichnet. "Wir haben einen Jugendlichen, der getötet wurde, das ist unerklärlich und unentschuldbar", sagte er in Marseille. "Nichts rechtfertigt den Tod eines jungen Mannes." Er forderte die Justiz dazu auf, ihre Arbeit zu tun.

Ein in den sozialen Medien veröffentlichtes und von Reuters verifiziertes Video zeigt zwei Polizisten neben einem Auto, von denen einer aus nächster Nähe auf den jugendlichen Fahrer schießt, als dieser davonfährt. Er sei kurz darauf an seinen Verletzungen gestorben, sagte der örtliche Staatsanwalt.

In Frankreich kommt es seit längerem immer wieder zu Polizeigewalt und Ausschreitungen - vor allem in den ärmeren Vororten rund um die Großstädte, in denen Menschen verschiedener ethnischer Herkunft leben. Menschenrechtsgruppen erklären, es gebe in den Strafverfolgungsbehörden in Frankreich systematischen Rassismus.

Befugnisse der französischen Polizei bei Verkehrskontrollen

Der 17-Jährige war von einem Polizisten erschossen worden, nachdem er einer Aufforderung zum Anhalten seines Wagens nicht nachgekommen war. Dies gilt in Frankreich als Verweigerung der Gehorsamspflicht ("refus d'obtemperer"). Die Justiz ermittelt gegen einen Beamten. Nachfolgend einige Fragen und Antworten zu diesem Thema:

WAS IST "REFUS D'OBTEMPERER"?

Eine "Verweigerung der Gehorsamspflicht" liegt vor, wenn ein Fahrer der Aufforderung zum Stopp des Fahrzeugs nicht nachkommt, die von einem als solches erkennbaren Mitglied der Polizei kommt. Es drohen bis zu zwei Jahren Haft und 15.000 Euro Strafe.

UNTER WELCHEN UMSTÄNDEN DARF DIE POLIZEI FAHRER STOPPEN?

Der französischen Straßenverkehrsordnung zufolge darf die Polizei ein Fahrzeug jederzeit anhalten, um die Papiere des Fahrers zu überprüfen. Dies gilt auch dann, wenn kein sichtbarer Gesetzesverstoß vorliegt.

WIE HÄUFIG FIELEN SCHÜSSE IN ÄHNLICHEN FÄLLEN?

Der Tod des 17-Jährigen war der dritte Fall dieser Art in Frankreich in diesem Jahr. 2022 wurden nach Angaben der Polizei insgesamt 13 Personen bei Verkehrskontrollen infolge von Gehorsamsverweigerung getötet - so viele wie nie zuvor. Einer Reuters-Zählung zufolge gab es 2021 drei und 2020 zwei solche Fälle. 2019 gab es keinen Vorfall und in den beiden Jahren davor jeweils sechs. Die meisten Opfer waren schwarz oder arabischer Herkunft.

Der französische Menschenrechtsbeauftragte hat eine Untersuchung des jüngsten Vorfalls eingeleitet. Es ist die sechste Prüfung seit 2022.

IN WELCHEN FÄLLEN DARF DIE FRANZÖSISCHE POLIZEI SCHIESSEN?

Seit einer Gesetzesänderung von 2017 ist der französischen Polizei der Schusswaffeneinsatz in fünf Fällen erlaubt:

- Bei Lebensgefahr für die Beamten selbst oder andere Menschen.

- Bei Angriffen auf Orte und Personen, mit deren Schutz die Polizei betraut ist.

- Wenn Beamte die Flucht einer Person, die wahrscheinlich Leib und Leben von Polizisten oder anderen Personen gefährdet, nicht verhindern können.

- Wenn ein Fahrer einer Aufforderung zum Stopp des Fahrzeugs nicht nachkommt und wahrscheinlich eine Gefahr für Leib und Leben der Beamten selbst oder anderer Personen darstellt.

- Wenn Grund zur Annahme besteht, dass dadurch ein Mord verhindert wird.

WAS SAGEN DIE KRITIKER?

Menschenrechtsgruppen kritisieren die Gesetzesreform von 2017, weil sie den rechtlichen Rahmen für den Schusswaffengebrauch in gefährlicher Weise erweitert habe. Fabien Jobard, Forscher am Soziologischen Forschungszentrum für Recht und Strafinstitutionen (CESDIP), moniert Unklarheiten der neuen Bestimmungen. Davor hätten Polizisten Schusswaffen nur einsetzen dürfen, um ihr eigenes Leben oder das von anderen Personen zu schützen. (Reuters)


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