Politik

Zahl der Insolvenzen deutlich gestiegen

Die Zahl der Insolvenzen steigt stark an. Kanzler Scholz versucht zu beruhigen. Allerdings, so Scholz, werden nun „alles ein bisschen teurer“.
11.08.2023 10:37
Aktualisiert: 11.08.2023 10:37
Lesezeit: 3 min
Zahl der Insolvenzen deutlich gestiegen
Die Zahl der Insolvenzen in Deutschland steigt. (Bild: istockphoto.com/:Galeanu Mihai) Foto: Galeanu Mihai

Im ersten Halbjahr haben in Deutschland deutlich mehr größere Betriebe dicht gemacht als im Vorjahreszeitraum. Die Gesamtzahl der vollständigen Gewerbeaufgaben war mit rund 246.500 um 14,0 Prozent höher als von Januar bis Juni 2022, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte.

Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzen stieg im Juli um 23,8 Prozent zum Vorjahresmonat, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Im Juni hatte es bereits ein Plus von 13,9 Prozent gegeben. Bei den Ergebnissen sei zu berücksichtigen, dass die Verfahren erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik einflössen, erklärte das Amt. Der tatsächliche Zeitpunkt des Insolvenzantrags liege in vielen Fällen annähernd drei Monate davor.

Im Mai war die Zahl der bei den Amtsgerichten gemeldeten Insolvenzen nach endgültigen Ergebnissen binnen Jahresfrist um 19 Prozent auf 1478 gestiegen. "Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nimmt bereits seit August 2022 kontinuierlich zu", erklärten die Statistiker. Die Forderungen der Gläubiger bezifferten die Amtsgerichte auf knapp 4,0 Milliarden Euro. Gemeldet wurden im Mai zudem 5679 Verbraucherinsolvenzen und damit 3,7 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.

Bezogen auf 10.000 Unternehmen gab es insgesamt im Mai 4,4 Insolvenzen. Die meisten Pleiten mit 8,7 Fällen entfielen auf den Bereich Verkehr und Lagerei. Dann folgte der Bereich der sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen, zu denen etwa Zeitarbeitsfirmen gehören, mit 7,4 Fällen. Die geringste Insolvenzhäufigkeit mit nur 0,3 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen gab es in der Energieversorgung.

Auch Zahl der Abmeldungen gestiegen

Die Zahl der Gewerbeabmeldungen bei den Ämtern lag mit rund 306.600 um 11,5 Prozent über dem Vorjahresniveau. Bei dieser Gesamtzahl handelt es sich nicht nur um Gewerbeaufgaben, sondern auch um Betriebsübergaben, Umwandlungen oder Fortzüge in andere Meldebezirke.

Die Zahl der Unternehmenspleiten in Deutschland ist einer Studie zufolge zu Beginn des zweiten Halbjahrs unterdessen hoch geblieben. Insgesamt 1.025 Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften seien im vorigen Monat registriert worden, teilte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) jüngst mit. Das seien zwei Prozent weniger als im Juni, aber 44 Prozent mehr als im Vorjahresmonat.

Scholz: Alles wird „ein bisschen teurer“

Bundeskanzler Olaf Scholz hat Warnungen vor einem wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands deutlich zurückgewiesen. Es gebe einen Widerspruch zwischen den Warnungen und der Realität, sagte Scholz am Donnerstagabend bei einem Bürgerdialog in Erfurt.

„Gerade entscheidet sich, dass die Halbleiterindustrie in Europa überwiegend in Deutschland stattfinden wird“, betonte er mit Blick auf Milliardeninvestitionen etwa des taiwanischen Konzerns TMSC. Intel sorge in Magdeburg sogar für die größte Einzelinvestition in Europa. Deutschland habe tolle Ingenieure, weshalb man zuversichtlich bleiben könne. Es würden zudem viele neue Batteriefabriken oder klimaneutrale Stahlwerke gebaut.

Lesen Sie dazu: Teuer erkaufte Erfolge

„Einige machen schlecht, was uns stark gemacht hat“, kritisierte Scholz zudem mit Hinweis auf die Exportwirtschaft. Als Exportnation werde man mit betroffen, wenn andere Staaten schwächelten. Es gebe aber kein deutsches Konjunkturprogramm, das den Absatz etwa in China oder Vietnam steuern könne.

Scholz setzte sich erneut dafür ein, einseitige Abhängigkeiten abzubauen. Das müssten alle im Blick haben, mahnte er. „Das bedeutet, dass alles ein bisschen teurer wird“, fügte er mit Hinweis darauf hinzu, dass Firmen mehrere Lieferanten suchen müssten. „Wenn wir es etwas sicherer haben wollen, wird es ein wenig teurer.“ Im Großen und Ganzen finde in der Industrie schon ein Umdenken statt, aber leider nicht überall. Anweisen könne er die Firmen aber nicht.

LBBW: Wir die Rezession zur neuen Normalität?

Die Landesbank Baden-Württemberg schreibt in einem Kommentar zur Entwicklung des Wachstums:

Im kommenden Jahr wird Deutschland nach Ansicht des LBBW Research zwar wieder ein Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt verzeichnen (nach -0,5 Prozent im laufenden Jahr). Trotzdem könnte die Rezession zum neuen Dauerzustand werden.

Zur Begründung verweist LBBW Chefvolkswirt Moritz Kraemer in seiner aktuellen Wochenkolumne Klartext gleich auf eine Handvoll Gründe. Das Wachstums-Potenzial liege inzwischen nahe Null. Seit der Finanzkrise habe zugleich das Produktivitäts- wachstum tendenziell abgenommen und liege mittlerweile deutlich unter einem Prozent. Schließlich koste der Rückzug der Babyboomer aus dem Arbeitsleben die deutsche Wirtschaft in Zukunft jährlich rund 1 Prozent Wirtschafts-Wachstum und damit einen massiven Anteil ihrer Wirtschaftskraft.

Rezession wird gemeinhin als zwei aufeinanderfolgende Quartale mit schrumpfender Wirtschaft definiert. Um einem regelmäßigen Abgleiten in eine solche Rezession zu verhindern, müsse die Wirtschaft zukünftig durchschnittlich um mehr als 1 Prozent pro Jahr zulegen, erklärt Kraemer. Das wäre ein ausreichender Sicherheitsabstand zur Null-Linie. „Das wird aber immer unwahrscheinlicher, war Deutschland bislang auch in guten Jahren doch eher ein Land mit vergleichsweise schwachen Zuwächsen. Wiederkehrende Rezessionen drohen zum New Normal zu werden.“

Bereits aktuell stecke das Land in einer Rezession. Immerhin sei die Wirtschaft im zweiten Quartal nicht weiter geschrumpft, urteilt der Ökonom. „Trotzdem sind wir das Schlusslicht unter den entwickelten Volkswirtschaften. Die Lage ist nicht gut und die Stimmung sogar noch schlechter“, sagt Kraemer und verweist auf die schwachen Werten des Verbrauchervertrauens oder der Unternehmenserwartungen. Fachkräftemangel, Überregulierung und eine als unbeständig empfundene Politik seien die Ursachen für das Stimmungstief bei den Unternehmen.

Die aktuelle Wirtschaftskrise hält Kraemer zufolge aber auch etwas Tröstliches parat. „Wir sind aktuell erstmals in einer Rezession mit Vollbeschäftigung. Würden uns die Statistiker nicht darauf stoßen, wüssten wir vermutlich gar nicht, dass wir uns in einer Rezession befinden.“ Auch zukünftige Wirtschaftsflauten könnten deshalb in ihrer Ausprägung milder ausfallen, als das in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war.

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