Beim Ausbau erneuerbarer Energien hinkt die Bundesregierung ihren Zielen hinterher. Das manifestiert sich im Großen wie im Kleinen. Waren die Behörden in der durch den Ukrainekrieg ausgelösten Energiekrise sehr schnell dabei, der Bevölkerung Tipps zum sparsamen Strom-Verbrauch in ihrem Alltag zu geben, blieb der Weg für Privatleute, sich über kleine Balkonkraftwerke selbst zu versorgen, kompliziert. Dennoch hat sich, auch wegen der stark gestiegenen Strompreise, die Zahl der Minisolaranlagen in Deutschland seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt. Laut den Stammdaten der Bundesnetzagentur sind derzeit 290.400 in Betrieb.
Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, sollen es bald deutlich mehr werden. Um den Ausbau der Solarenergie im Land zu beschleunigen, hat das Bundeskabinett jetzt im Rahmen seines „Solarpakets“ beschlossen, den Bau und Betrieb von Anlagen deutlich zu erleichtern. Davon sollen sowohl Privatleute als auch gewerbliche Betreiber profitieren. Konkret bedeutet das, klarere Vorgaben, weniger Streitpotenzial mit Vermietern und Eigentümergemeinschaften, weniger Papierkram, mehr Leistung.
Nur noch eine Anmeldung nötig
„Balkon-PV-Anlagen sollen möglichst unkompliziert und unbürokratisch in Betrieb genommen werden. Hierfür entfällt die bisherige Anmeldung beim Netzbetreiber und die Anmeldung im Marktstammdatenregister wird auf wenige, einfach einzugebende Daten beschränkt“, sagt Susanne Ungrad, Pressereferentin des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
Wer Steckersolargeräte – wie die Balkonkraftwerke im Amtsdeutsch heißen – installieren will, soll künftig auch nicht mehr von Vermietern oder Miteigentümern ausgebremst werden können. Da die Montage von Solarpanelen als bauliche Veränderung gelten, können diese bisher dagegen stimmen oder den Abbau fordern. Das Miet- und Wohnungseigentumsgesetz soll deshalb entsprechend geändert werden. Geplant ist eine Aufnahme der Steckersolargeräte in den Katalog privilegierter Maßnahmen im WEG (Wohnungseigentumsgesetz) und BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Damit erhalten Mieter und Miteigentümer einen Anspruch auf die Installation, sofern die Minisolaranlage rückbaubar ist und die geringstmögliche Blendwirkung für Nachbarn beachtet wird.
Bei denkmalgeschützten Gebäuden könnte es etwas kniffliger werden, gibt der Balkonkraft-Anbieter solago GmbH zu Bedenken. Hier sollten Mieter sicherheitshalber zunächst mit den Eigentümern sprechen, um mögliche Denkmalauflagen zu klären.
Rückwärtsdrehende Zähler und mehr Leistung
Die Inbetriebnahme von Balkon-PV-Anlagen soll zudem nicht dadurch behindert werden, dass zunächst ein Zweirichtungszähler eingebaut werden muss. Daher sollen im Rahmen einer eng begrenzten Sonderregelung übergangsweise rückwärtsdrehende Zähler geduldet werden, bis ein ordnungsgemäß geeichter Zweirichtungszähler bereitgestellt wurde.
Das Ministerium strebt außerdem eine Anhebung der Leistungsgrenze von 600 auf 800 Watt an. Auch Anlagen mit Schukostecker sollen möglich werden. Entscheiden kann die Bundesregierung darüber allerdings nicht. Das obliegt, wie auch die benötigte Steckerverbindung, dem zuständigen Normgeber, hier ein Arbeitskreis der Deutschen Kommission Elektrotechnik (DKE). Das BMWK setzt sich für eine entsprechende Anpassung ein. Eine Aktualisierung der Norm werde im ersten Halbjahr 2024 erwartet, heißt es.
Die kleinen und vergleichsweise billigen Balkonkraftwerke bestehen in der Regel aus ein bis zwei Solarmodulen und einem Wechselrichter. Dieser wandelt den Solarstrom in Haushaltsstrom um, der direkt in die Steckdose eingespeist werden kann. Mit dem Strom können dann Haushaltsgeräte betrieben werden. Im Gegenzug wird weniger Strom aus dem öffentlichen Stromnetz bezogen. Ob sich ein solches System lohnt, hängt laut Verbraucherzentrale unter anderem von Anschaffungspreis und Strompreis ab, aber auch davon, ob das Modul möglichst lange und viel Sonne bekommt. Das Solarmodul eines Balkonkraftwerks kann demnach über 25 Jahre eingesetzt werden und ca. 250 bis 280 kWh pro Jahr erzeugen. Wohnungseigentümer mit einem Stromverbrauch von ca. 1500 kWh pro Jahr könnten demzufolge bis zu 20 Prozent Ihres Grundbedarfs mit einem Balkonkraftwerk decken. Die Anschaffungskosten liegen derzeit zwischen 400 und 1200 Euro.
Akzeptanz der Erneuerbaren Energien erhöhen
Bei der Stromerzeugung des Landes spielen die kleinen Kraftwerke aber noch keine allzu große Rolle. Laut Bundesnetzagentur kommen sie nur auf eine Gesamtleistung von etwa 170 Megawatt und dürften im Jahr maximal 170 Gigawattstunden erzeugen. Das sind 0,3 Promille des deutschen Stromverbrauchs.
Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) erwartet, dass der Anteil, den Steckersolargeräte zur Deckung des Strombedarfs in Deutschland liefern, auch absehbar vergleichsweise gering bleibt. Dennoch begrüßte Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig die Vereinfachungen, sprach zugleich aber von entsprechendem Handlungsbedarf für die größeren Dach- und andere Photovoltaikanlagen. Die Balkonkraftwerke ermöglichten jedoch vielen Menschen eine aktive Mitwirkung und Teilhabe an der Energiewende „und erhöhen so auch die Akzeptanz der Erneuerbaren Energien“, betont Körnig. Die Vorteile der Anlagen lägen in der technischen Einfachheit sowie in der kostengünstigen Anschaffung als Einstieg in die eigene Solarstromerzeugung für Mieterinnen und Mieter sowie Wohnungseigentümer. Zu ähnlichen Einschätzungen kommt auch das Bundeswirtschaftsministerium in seiner Photovoltaik-Strategie.
Viel Zustimmung aber noch Luft nach oben
Umweltverbände begrüßten die geplanten Neuerungen, sahen aber weiteren Verbesserungsbedarf. „Die Regierung drückt sich weiter davor, einen umfassenden Solardach-Standard für Neubauten einzuführen“, kritisierte Andree Böhling von Greenpeace, der auf eine Vereinbarung dazu im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP verwies. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) äußerte sich ähnlich und drängte auf eine Solarpflicht für Neubauten und Dachsanierungen, verbindliche Naturschutzkriterien bei Anlagen in der Fläche und bessere Rahmenbedingungen für Bürger für das gemeinsame Produzieren, Verbrauchen und Teilen von Energie.
Der Bundesverband Solarwirtschaft zeigte sich erwartungsgemäß erfreut. Mit dem Gesetzespaket würden Marktbarrieren abgeräumt, was den künftigen Zugang zu Stromnetzen, geeigneten Solarpark-Standorten und zur staatlich gewährten Solarförderung erleichtern und Planungsprozesse beschleunigen werde.
Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag äußerte sich ebenfalls positiv, vermisste aber eine Strategie für die Strom-Speicherung, umfassendere Steuererleichterungen für Klimatechnologien und Vorrang für eine doppelte Nutzung von Flächen. „Oben Sonne nutzen, unten ernten, schwimmen oder parken - das ist Energie mit Flächeneffizienz“, sagte der klima- und energiepolitische Sprecher und Fraktionsvize Andreas Jung (CDU) der Deutschen Presse-Agentur.
Grünen-Chefin Ricarda Lang zeigte sich zufrieden: „Künftig können viel mehr Menschen einfach und unbürokratisch vom Solarstrom profitieren und damit bares Geld sparen, zum Beispiel durch Solaranlagen auf dem eigenen Dach oder Balkon.“
Habeck will Tempo bei Energiewende verdreifachen
In Kraft treten soll das Solarpaket voraussichtlich zum Jahreswechsel. Zuvor muss sich noch der Bundestag mit dem Gesetzentwurf befassen. Die geplante Reform soll nicht nur für Balkonkraftwerke oder die Nutzung von selbst erzeugtem Photovoltaik-Strom in Mehrfamilienhäusern gelten. Auch die Möglichkeiten für Solaranlagen auf Äckern und Feldern sollen erweitert werden.
Ziel der Regierung aus SPD, Grünen und FDP ist es, den Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Bruttostromverbrauch bis 2030 auf 80 Prozent zu steigern. Im vergangenen Jahr waren es 46 Prozent gewesen. Nun soll es schneller gehen. „Wir müssen das Tempo verdreifachen“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch in einer Mitteilung. So seien im vergangenen Jahr 7,5 Gigawatt (GW) an neuer Leistung im Solarbereich entstanden, bis 2026 müsse man aber auf einen jährlichen Zubau von 22 GW kommen. (mit dpa)