Politik

Christenverfolgung in Pakistan: Die Sorge wächst

Ein wütender Mob hat in Pakistan mehrere Kirchen angegriffen. Erneut sind Islamisten involviert. Ignoriert die Regierung die wachsende Christenverfolgung?
19.08.2023 11:23
Aktualisiert: 19.08.2023 11:23
Lesezeit: 2 min

Ausgebrannte Kirchen, Chaos auf den Straßen und verzweifelte Anwohner, die Zeuge schwerer Ausschreitungen wurden: Zwei Tage nach der Gewalt gegen Christen in Pakistan herrscht immer noch Fassungslosigkeit in den Gemeinden. «Blitzschnell wurden ein Dutzend Kirchen und rund 50 Häuser in Schutt und Asche gelegt», erinnert sich der Pastor Arshad Nizam aus Jaranwala nahe der Millionenstadt Faisalabad an den Moment, als ein wütender Mob durch das Christenviertel zog. «So hat sich alles entwickelt.»

Radikale Prediger hatten am Mittwoch Tausende Anhänger aufgestachelt, nachdem zwei junge Christen ins Fadenkreuz der Islamisten geraten waren. Der Vorwurf: Sie sollen den Koran, die heilige Schrift des Islams, entwürdigt haben. Es war nicht das erste Mal, dass Extremisten in dem südasiatischen Land Vorwürfe der Gotteslästerung zum Anlass nahmen, die Wut einer Menschenmenge zu entfachen. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. In Panik hatten die Bewohner ihre Wohnungen verlassen und in Feldern Schutz gefunden, wo sie nachts ausharrten. Auch in anderen Landesteilen war Angst zu spüren.

In Jaranwala verhängten Sicherheitskräfte eine Ausgangssperre und nahmen mehr als 100 mutmaßliche Randalierer in Gewahrsam. Aber auch die beiden jungen Christen kamen nun in Haft. Den Brüdern droht eine Anklage gemäß der strengen Blasphemiegesetze in dem Land, die im Extremfall gar die Todesstrafe vorsehen. Vollstreckt wurde sie jedoch noch nie, seitdem die umstrittenen Gesetze unter dem früheren Militärherrscher Zia ul-Haq vor mehr als 30 Jahren eingeführt wurden. Die genauen Hintergründe der Vorwürfe waren weiter unklar. Beamte in der Provinz sagten gar, es handelte sich um einen anderen Streit.

In dem südasiatischen Land, in dem über 96 Prozent der mehr als 240 Millionen Einwohner dem Islam folgen, sind Christen eine Minderheit. Immer wieder hat die Regierung betont, für sie einstehen zu wollen. Spitzenpolitiker in der mehrheitlich muslimischen Atommacht verurteilten die Ausschreitungen scharf. Anwarul Haq Kakar, der amtierende Premierminister, hat die Sicherheitsbehörden eindringlich dazu aufgerufen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und vor Gericht zu stellen. In Lahore, der Hauptstadt der betroffenen Provinz, patrouillierten Eliteeinheiten in Christenvierteln.

Die Versprechen der Politik seien bloß ein Lippenbekenntnis, kritisierte der Pastor Nizam. «Wir können nicht beruhigt sein, wenn den Worten keine Taten folgen», sagte Nizam am Freitag am Telefon, nachdem er im Viertel den Familien tröstend zur Seite stand. «Die Menschen sind traumatisiert, sie haben Angst und fühlen sich bedroht. Worte werden sie nicht heilen. Taten werden es. Wir haben in der Vergangenheit keine greifbaren Taten gesehen», so der Pastor.

Wieder einmal waren Anführer der islamistischen Partei Tehreek-e Labbaik Pakistan (TLP) maßgeblich beteiligt. Die populistische Gruppe ist bekannt dafür, Menschenmassen mobilisieren zu können, vor allem im Zusammenhang mit Blasphemievorwürfen. Zeitweise war die Partei verboten. Offen unterstützte die TLP 2011 auch den Mörder eines liberalen Gouverneurs der Provinz Punjab, der sich für die bekannte Christin Asia Bibi eingesetzt hatte. Sie war vor mehr als zehn Jahren als erste Frau wegen Blasphemie zum Tode verurteilt, 2019 aber schließlich freigesprochen worden. Inzwischen lebt die bekannte Katholikin nicht mehr in Pakistan.

Die pakistanische Zeitung «Dawn» beklagte in einem Meinungsartikel die Selbstjustiz im Lichte von Vorwürfen der Gotteslästerung. «Offensichtlich sind in Pakistan keine Beweise erforderlich, wenn es um Blasphemie geht», hieß es in dem Artikel. Trotz der breiten Anteilnahme gab die Zeitung auch den Regierungen eine Mitschuld, die seit Jahren auch aus Angst vor dem Zorn und der Macht der Islamisten an den strengen Blasphemiegesetzen festhalten. «Können wir uns dann beschweren, wenn sich Vorfälle wie in Jaranwala mit beunruhigender Regelmäßigkeit ereignen?» (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Politik
Politik Bundestag beschließt Anreize für Firmeninvestitionen
26.06.2025

Investitionen gelten als Schlüssel zur wirtschaftlichen Erholung. Mit neuen Abschreibungsregeln und geplanten Steuersenkungen will die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft US-Angriffe auf Iran: Droht ein neues Gasloch wie bei Russland?
26.06.2025

US-Luftangriffe auf den Iran setzen neue Dynamik im globalen Energiemarkt frei. Droht Europa nach dem russischen Gas-Schock der nächste...

DWN
Politik
Politik Stromsteuer: Der Vertrauensbruch
26.06.2025

Die Ampel hatte versprochen, alle Bürger bei der Stromsteuer zu entlasten. Jetzt will Kanzler Merz nur die Industrie begünstigen – und...

DWN
Technologie
Technologie Digitalgesetz DMA: Start-ups warnen vor EU-Zugeständnissen an USA
26.06.2025

Hohe Zölle, harsche Kritik aus Washington, wachsende Nervosität bei jungen Tech-Firmen: Im transatlantischen Zollkonflikt droht Brüssel,...

DWN
Immobilien
Immobilien Mietpreisbremse: Bundestag plant Verlängerung bis Ende 2029
26.06.2025

Die Mietpreisbremse soll weitere vier Jahre gelten – doch sie ist umstritten wie eh und je. Während der Eigentümerverband sie für...

DWN
Politik
Politik Autoverbot: Berlin bald autofrei? Erfolg für Volksbegehren
26.06.2025

Die Initiative „Volksentscheid Berlin autofrei“ kann ihr Gesetzesvorhaben für ein weitgehendes Autoverbot in der Hauptstadt weiter...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Strompreise: Deutschland hat die fünfthöchsten der Welt
26.06.2025

Strom in Deutschland ist immer noch sehr teuer. Mit durchschnittlich 38 Cent pro Kilowattstunde rangieren die deutschen Strompreise...

DWN
Finanzen
Finanzen Depotübertrag: Wie Sie Ihr Wertpapierdepot wechseln - und dabei bares Geld sparen
25.06.2025

Ein Depotübertrag kann für Sie als Anleger zahlreiche Vorteile bieten, von geringeren Gebühren bis hin zu attraktiven Prämien für...