Deutsche Wirtschaftsnachrichten (DWN): Wie wird sich bezüglich Web 3.0 die Verbreitung von Inhalten in Zukunft ändern?
Christian Schneider: Bei der exponentiellen Entwicklung, die wir gerade erleben, ist davon auszugehen, dass früher oder später neue Plattformen entstehen, die auf Technologien wie Blockchain aufbauen. Diese werden es Nutzenden ermöglichen, die Hoheit über ihre Inhalte nicht nur in der Hand zu behalten, sondern diese auch einfacher zu monetarisieren. Auch auf die Art der Verbreitung und Sichtbarkeit von Inhalten werden Nutzende mehr Einfluss haben - allein und als Teil einer Community. Musikschaffende etwa könnten neue Singles auf einer dezentralen, Blockchain-basierten Verbreitungsplattform veröffentlichen. Neue Fans stoßen auf die Songs, weil die Community bewertet, geteilt und damit die besten Inhalte gefördert hat. Erworben werden die Songs über Kryptowährungen oder plattformspezifische Token - vollkommen ohne Mittler-Instanz, die sich etwas von den Einnahmen abzweigt. Das schafft Unabhängigkeit und fördert Vielfalt, die nicht monetär ausgerichtet vorgefiltert ist.
Neue Player
DWN: Spielen die großen Player wie Google, Facebook oder Twitter dann überhaupt noch eine Rolle für die Verbreitung in naher Zukunft?
Schneider: Natürlich haben auch die großen Player die neuen Entwicklungen auf dem Schirm und treiben sie in eigenem Interesse aktiv für sich voran. Daher ist es unwahrscheinlich, dass sie in der Versenkung verschwinden. Sie werden sich anpassen oder das zumindest versuchen. Die Mittel dafür, mit der aktuellen Entwicklung Schritt zu halten, stehen ihnen jedenfalls zur Verfügung. Einen altbewährten vollen Tanker in eine andere Richtung zu lenken ist aber auch nicht immer ganz einfach. Somit werden wir auch neue Player sehen, die ihre Entwicklung von vornherein ohne Ballast spezieller auf eine Web 3.0-Umgebung ausgerichtet haben - und innerhalb kürzester Zeit aufgrund der veränderten Nachfrage zu neuen Platzhirschen werden.
DWN: Was genau erwartet uns mit der sogenannten "Creator Economy" in Zukunft, von der in letzter Zeit immer gesprochen wird?
Schneider: Der Name sagt es schon - in der "Creator Economy" geben die Creators den Takt für Handel mit ihrer Community vor. Um bei meinem Beispiel eines Musikschaffenden zu bleiben: Neue Werke werden als NFT erstellt und auf einer dezentralen Verkaufs-Plattform vermarktet. Sie werden dort von den Fans direkt erworben. Auf dem Profil werden für die besondere Fanbindung auch Abonnements für exklusive Einblicke, Meet & Greets oder Live-Streams angeboten. Das G anze funktioniert unabhängig von Mainstream oder Nische. So kann es ganz um kreative Entfaltung und Dialog mit der Community gehen, die durch ihre Nachfrage natürlich auch die Aufbereitung und Ausspielung der Inhalte anders steuert. Wir werden Songs hören oder auch Filme sehen, die sich an den Vorlieben orientieren, beim Film bedeutet das z.B. auch unterschiedliche Versionen des gleichen Films. Im Ergebnis entsteht das, was wir bei den großen Streaming-Plattformen in Ansätzen schon bemerken - eine größere Vielfalt in der Content-Landschaft mit noch mehr Potenzial für Individualisierung.
Neue Chancen für Unternehmen
DWN: Was bedeutet diese neue Entwicklung für Unternehmen?
Schneider: Das bedeutet neues Denken und viele Chancen - etwa das Denken in neuen Kooperationsmöglichkeiten mit diesen unabhängigen Content-Creatoren. Es wird darum gehen, die Authentizität und Leidenschaft dieser Einzelpersonen sinnvoll für beide Seiten in den Unternehmenskontext zu integrieren und neue Marketingstrategien mit engagierten, kooperativen Ansätzen zu entwickeln - quasi ein Influencer 2.0-Konzept. Solche Kooperationen können auch inspirativ für die eigene kreative und zielgenaue Produktentwicklung sein. Natürlich wird es den Unternehmen auch frei stehen, eigene neue Monetarisierungs- oder Geschäftsmodelle zu entwickeln. Entweder um den neuen Prozess für sich zu nutzen oder ihn aktiv mit voranzutreiben, indem man Angebote für die Communities schafft. Da die Datenhoheit zudem bei den Erstellenden und Nutzenden liegen wird, wird das Stichwort Daten-Transparenz zudem zum Wettbewerbsvorteil werden.
DWN: Wie vorbereitet sehen Sie den deutschen Mittelstand auf das Web 3.0?
Schneider: Der Mittelstand tut gut daran, nicht zu lange damit zu warten, schon jetzt eine starke digitale Präsenz aufzubauen. Dafür ist die traditionelle Website der Grundpfeiler, doch darüber hinaus auch in sozialen Medien, Blog und anderen Dialog-Plattformen aktiv zu sein. In der Vielfalt der mittelständischen Unternehmen wird das offensichtlich nicht für alle gleich einfach sein. Der Dialog mit den Zielgruppen wird aber immer wichtiger werden und eine starke digitale Präsenz wird ihnen dabei helfen, auch im Web 3.0 relevant zu bleiben. Dabei helfen auch neue Geschäftsmodelle oder zumindest die Offenheit für die stetige Anpassung von Prozessen, um im Wettbewerb zu bestehen. Oder auch mal eine Zusammenarbeit mit einem Influencer als Testfall für Creator-Zusammenarbeit. Wer noch nicht im Web 2.0 angekommen ist, sollte schleunigst damit loslegen. Firmen sollten zudem schon jetzt den Datenschutz sehr ernst nehmen und in den Fokus rücken - denn Vertrauen zu einer Marke wird zu einer entscheidenden Zukunftswährung werden.