Die Ölraffinerien der Welt produzieren nicht genügend Diesel. In der Folge gehen die Preise durch die Decke. An den Rohstoffmärkten in den USA kostete Diesel am Donnerstag über 140 Dollar. Das ist der höchste Stand seit Januar und mehr als jemals zuvor zu dieser Jahreszeit. In Europa sind die Preise seit dem Sommer um 60 Prozent gestiegen. Dies macht sich auch längst auch an den Tankstelle bemerkbar, wo der Kraftstoff seit Mai etwa 30 Cent teurer geworden ist.
Und es könnte noch schlimmer kommen. Denn Saudi-Arabien und Russland haben die Produktion von jenen Rohölsorten gedrosselt, die mehr Diesel enthalten. Am 5. September kündigten die beiden führenden Mitglieder des OPEC+-Bündnisses an, dass sie diese Drosselung der Ölproduktion bis zum Jahresende verlängern wollen, obwohl normalerweise gerade in diesem Zeitraum die Nachfrage nach Diesel anzieht.
"Es besteht die Gefahr, dass der Markt, insbesondere für Destillate, in den Wintermonaten weiterhin angespannt bleibt", zitiert Bloomberg Toril Bosoni, den Leiter der Ölmarktabteilung bei der Internationalen Energieagentur (IEA), und bezog sich dabei auf die Kraftstoffkategorie, zu der auch Diesel gehört. "Die Raffinerien haben Mühe, damit Schritt zu halten."
Die Raffinerien produzieren seit Monaten weniger Diesel als üblich, sodass nun kaum Lagerbestände vorhanden sind. Wegen der Hitze auf der Nordhalbkugel im Sommer arbeiteten viele Anlagen langsamer als normal. Laut Callum Bruce, einem Analysten von Goldman Sachs, gab es für die Anlagen zudem den Anreiz, statt Diesel andere Produkte wie Kerosin oder Benzin herzustellen, wo die Nachfrage stark gestiegen ist.
"Die Gewinnspannen der Raffinerien erreichten im August ein Achtmonatshoch, da die Raffinerien Mühe hatten, mit dem Wachstum der Ölnachfrage Schritt zu halten, insbesondere bei Mitteldestillaten", schreibt die IEA in ihrem September-Bericht. Zu den Mitteldestillaten zählen Diesel, leichtes Heizöl und Kerosin. Die Agentur verweist auf nicht geplante Unterbrechungen, Qualitätsprobleme bei den Rohstoffen, Engpässe in der Lieferkette und niedrige Lagerbestände.
Es gibt aber auch Argumente dafür, dass sich die Dieselkrise wieder entspannen könnte. So nehmen mit dem Herannahen der kühleren Wintermonate auf der Nordhalbkugel die witterungsbedingten Einschränkungen für die Raffinerien insgesamt ab. "Wir sind der Meinung, dass die Gewinnspannen im Moment zu hoch sind", sagt auch Goldman-Analyst Bruce und verweist unter anderem auf die vorübergehende Natur einiger Raffineriestörungen.
Knappes Angebot bei wichtigen Diesel-Exportländern
Die aktuelle Angebotslücke im Dieselmarkt ist auch eine Spätfolge der Corona-Pandemie. Damals wurden weniger effiziente Anlagen stillgelegt, weil die globale Nachfrage stark einbrach. Jetzt, da der Verbrauch wieder an steigt, fehlen sie. Russland, das trotz der westlichen Sanktionen nach wie vor ein wichtiger Diesel-Exporteur ist, hat angedeutet, dass es die Menge des Kraftstoffs, den es auf die Weltmärkte liefert, einschränken will.
China hat vor kurzem eine neue Quote für den Treibstoffexport festgelegt, aber Händler und Analysten in Asien sind der Meinung, dass die derzeit geplante Menge nicht ausreichen wird, um eine Marktverknappung bis zum Ende des Jahres zu verhindern. Die chinesischen Exporte bewegen sich den Großteil des Jahres 2023 in der Nähe des saisonalen Fünfjahrestiefs.
Die geringeren verfügbaren Diesel-Mengen machen sich längst an den wichtigsten globalen Lagerstandorten bemerkbar. Die beobachtbaren Lagerbestände in den USA und Singapur liegen derzeit alle unter dem Niveau, das zu dieser Jahreszeit normal wäre. Die Vorräte in den OECD-Ländern sind niedriger als noch vor einem halben Jahrzehnt, berichtet Bloomberg.
Fehlender Diesel belastet die Konjunktur
Der Anstieg der US-Terminkontrakte ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass Lkw-Fahrer den Kraftstoff aufkaufen. "Diesel ist der Kraftstoff für 18-Rad-LKW, die Produkte von der Fabrik zum Markt transportieren. Wenn die Preise also in die Höhe schießen, werden die höheren Transportkosten an Unternehmen und Verbraucher weitergegeben", sagt Clay Seigle, Direktor des Global Oil Service bei der Rapidan Energy Group.
Während die Hoffnung wächst, dass die US-Wirtschaft eine Rezession vermeiden kann, "könnte ein Anstieg der Energiepreise - ob bei Benzin oder Diesel - einen Großteil dieser Fortschritte untergraben", fügt er hinzu. Steigende Dieselpreise könnten auch Raffinerien dazu veranlassen, dem Kraftstoff auf Kosten der Benzinproduktion Vorrang einzuräumen, sagt er.
Dass die Diesel-Knappheit nicht noch schlimmer war, ist darauf zurückzuführen, dass der Verbrauch nicht so robust war wie bei anderen Erdölproduklten. Im September-Bericht der IEA wurde für dieses Jahr ein Verbrauchswachstum von etwa 100.000 Barrel pro Tag erwartet. Dem stehen fast 500.000 Barrel pro Tag für Benzin und sogar mehr als 1 Million Barrel pro Tag für Flugzeugtreibstoff und Kerosin gegenüber.
"Im Grunde handelt es sich um ein Versorgungsproblem", zitiert Bloomberg Eugene Lindell, den Leiter des Bereichs Raffinerieprodukte beim Beratungsunternehmen FGE. "Die europäischen Raffinerien waren auch nicht in der Lage, ihre Vorräte während des Sommers aufzustocken, weil es zu weit verbreiteten ungeplanten Ausfällen kam, sodass die Lagerbestände vor dem Winter knapp sind."