Ökonomen, Aktivisten, engagierte Millionäre und politische Persönlichkeiten aus dem sozialdemokratischen Lager, darunter der Belgier Paul Magnette und die Französin Aurore Lalucq, haben eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) ins Leben gerufen. Ihr Ziel: Die Einführung einer dauerhaften jährlichen Vermögenssteuer für die reichsten 1-Prozent in Europa. Am Dienstag, dem 11. Juli 2023, gab die Europäische Kommission in einer Pressemitteilung bekannt, dass sie die Superpetition zur Besteuerung großer Vermögen in der Europäischen Union (EU) zur Finanzierung des ökologischen und sozialen Wandels registriert hat.
Diese Initiative, die unter dem Namen „tax the rich“ läuft, hat zu diesem Zeitpunkt alle erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, wie sie in den entsprechenden EU-Rechtsvorschriften festgelegt sind. Dies bedeutet, dass sie als rechtlich zulässig angesehen wird. Ein Schlüsselmoment, der im Jahr 2024 eine bedeutende politische Debatte auf europäischer Ebene über die Einführung einer Vermögenssteuer auslösen könnte.
Befürworter gibt es viele: Der renommierte französische Ökonom und Unterstützer, Thomas Piketty, weist darauf hin, dass „Europa immer ungleicher wird“. Er betont, dass „ein erheblicher Teil“ des Reichtums der Superreichen „unterbesteuert oder gar nicht besteuert wird“. Piketty ruft dazu auf, „unser Steuersystem in Europa gerechter zu gestalten, indem eine progressive Vermögenssteuer eingeführt wird“.
Auch die entwicklungspolitische Organisation Oxfam hat sich wiederholt für die Einführung einer Vermögenssteuer ausgesprochen. Sie argumentiert, dass eine Vermögenssteuer ein unerlässliches Instrument zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit ist. Oxfam zufolge hat sich die Vermögensungleichheit in den letzten Jahren dramatisch verschärft. Eine Vermögenssteuer würde es ermöglichen, diese Ungleichheit zu verringern, indem sie die reichsten Menschen zur Kasse bittet.
Deutliches Signal an die Politik
Die Kampagne zur Sammlung von einer Million Unterschriften europäischer Bürger läuft bereits seit September. Die Initiative hat verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Unterschriftensammlung zu fördern, darunter eine Website und eine App, öffentliche Proteste und Demonstrationen sowie Medienkampagnen.
Wenn innerhalb eines Jahres mindestens eine Millionen Unterstützungsbekundungen aus mindestens sieben verschiedenen EU-Mitgliedstaaten zusammenkommen, ist die EU-Kommission verpflichtet, darauf zu reagieren. Sie könnte die Initiative aufgreifen und einen gesetzgeberischen Prozess einleiten oder müsste zumindest ausführlich begründen, warum sie dies ablehnt. Die Europäische Kommission selbst erklärt, dass der Beschluss zur Registrierung der EBI lediglich ein erster Schritt ist und noch keine endgültigen politischen oder rechtlichen Schlussfolgerungen vorwegnimmt. Auch im Erfolgsfall sei nicht garantiert, dass diese Initiative politisch weiterverfolgt wird.
Dennoch sollten sich wohlhabende Personen darüber im Klaren sein, dass eine Petition mit einer derart großen Anzahl von Unterschriften ein überaus deutliches Signal an die EU-Politik senden würde. In Anbetracht des wachsenden Zuspruchs und der breiten Unterstützung in der Bevölkerung ist es äußerst wahrscheinlich, dass die erforderliche Anzahl von 1 Millionen Unterschriften erreicht wird.
Das bedeutet, dass eine EU-weite Vermögenssteuer möglicherweise schneller als erwartet für wohlhabende Bürger Wirklichkeit werden könnte. Interessanterweise könnte diese Steuer eine erhebliche Anzahl von Menschen betreffen. Schon ein Nettovermögen von 1,1 Millionen Euro genügt, um zu den reichsten 1-Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union zu gehören, wie im World Inequality Report festgestellt wurde.
Maßnahmen für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz
Die Initiatoren von „tax the rich“ argumentieren, dass eine Vermögenssteuer dazu beitragen würde, die wachsende Vermögensungleichheit in der Europäischen Union zu reduzieren. In den letzten Jahrzehnten ist diese Ungleichheit stark angestiegen und hat zu sozialen Spannungen, politischer Instabilität und wirtschaftlicher Ungleichheit geführt. Mit den geschätzten Mehreinnahmen von bis zu 250 Milliarden Euro durch eine Vermögenssteuer könnten nicht nur dringend benötigte Mittel für ökologische und soziale Projekte bereitgestellt werden, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung des Klimawandels und der sozialen Ungleichheit geleistet werden. Dies sei ihrer Einschätzung nach von entscheidender Bedeutung, um die Lebensqualität aller EU-Bürger zu verbessern und die drängenden Herausforderungen unserer Zeit anzugehen.
Insgesamt setzen sich die Initiatoren für drei wichtige Maßnahmen der Europäischen Kommission ein: Sie möchten, dass die EU eine Regel einführt, die es ermöglicht, von sehr wohlhabenden Menschen in Europa Geld zu erheben. Diese Gelder sollen dann für Umweltschutz und soziale Verbesserungen verwendet werden. Zudem fordern sie, die Regeln der EU zu ändern, um diese neue Steuer in die EU-Einnahmen aufzunehmen. Schließlich verlangen sie von der EU-Kommission Vorschläge dazu, wie das zusätzliche Geld aus dieser Steuer am besten für den Umwelt- und Sozialwandel genutzt werden kann. Dies könnte Änderungen in bestehenden Gesetzen erfordern, um sicherzustellen, dass die Gelder effektiv eingesetzt werden.
Die Europäische Bürgerinitiative wurde 2012 mit dem Vertrag von Lissabon eingeführt und ist ein Instrument der partizipativen Demokratie in der EU. Sie ermöglicht es den Bürgern der Europäischen Union, die EU-Kommission aufzufordern, neue Gesetzesvorschläge zu unterbreiten. Dies unterstreicht die Bedeutung der direkten Bürgerbeteiligung, bei der Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, politische Initiativen vorzuschlagen und aktiv an der Gestaltung der Zukunft Europas teilzunehmen.
Bisher wurden insgesamt 102 Europäische Bürgerinitiativen registriert. Davon haben 10 Initiativen die erforderliche Unterstützung von mindestens einer Millionen Bürgern aus mindestens sieben Mitgliedstaaten erhalten und wurden somit erfolgreich. Dazu gehören Initiativen wie das Verbot der Käfighaltung für Nutztiere, die Anerkennung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser als Menschenrecht und das Verbot von Tierversuchen für kosmetische Zwecke.